Es müssen nicht immer sechs Gänge sein

Manuel Vasquez Montalbans Roman "Requiem für einen Genießer"

Von Wolfgang HaanRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Haan

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Pepe Carvalho, ein von Montalban geschaffener, schnurriger, alternder Privatdetektiv, hat seine Reise von langer Hand vorbereitet: Biscuter, sein treuer Freund und Begleiter, hat die nötigen gefälschten Papiere für beide besorgt. Denn - Carvalho möchte inkognito reisen und hat keine Lust darauf, während seines Urlaubs von Klienten belästigt zu werden. Was, nebenbei bemerkt, eigentlich die Standardsituation eines Krimis á la "Miss Marple" ist.

Was er jedoch nicht weiß: Kurz nach seiner Abreise wird er eines Mordes beschuldigt - und die Jagd auf ihn geht los.

Dies ist die Ausgangssituation, die Montalban erzählt und sie erinnert an so große literarische Vorbilder wie Jules Vernes "In 80 Tagen um die Welt", in denen Phileas Fogg mit seinem treuen Butler nur verreist, um eine Wette zu gewinnen, während er in London in den Verdacht gerät, ein Bankräuber zu sein. Allerdings könnten die Intentionen der beiden Autoren nicht weiter voneinander entfernt sein als der Süd- und der Nordpol.

Die Welt ist ein Dorf

Ging es Jules Verne damals darum, zu beweisen, wie sehr die technischen Erfindungen der letzten Jahrzehnte den Menschen beschleunigt hatten und die Krimihandlung nur dazu dient, dem ganzen einen stabileren Rahmen zu geben, so geht Montalban einen völlig anderen Weg.

Er erzählt mit traumwandlerischer mediterraner Leichtigkeit von der Reise zweier guter Freunde durch die Welt, die vor Antritt ihres Urlaubs die Reiseroute akribisch geplant haben, sich allerdings nur zu gerne von Allem und Allen ablenken lassen. Wie fallende Blätter im Herbst ihres Lebens schweben sie mal hierhin, mal dorthin und nehmen dabei die Annehmlichkeiten des Lebens sehr ernst. Weibliche Bekanntschaften spielen im Roman eine ebenso große Rolle wie kulinarische Highlights. Das ganze wird von Montalban mit viel Humor, dessen Bandbreite von allegorisch bis zum schwärzesten Schwarz reicht, spannenden und leichtfüßigen Orts- und Handlungswechseln sowie irrwitzigen Dialogen gewürzt, die das fast 800-seitige Werk bis zum Finale zu einer alle Sinne kitzelnden, überragenden "Gaumenfreude" machen. Ein Tipp am Rande: Man sollte dieses Buch nicht Lesen, wenn nichts zum Essen im Hause ist, denn es macht regelrecht Appetit.

Montalban zeigt uns aber auch pragmatisch die Schattenseiten unserer virtuellen Welten, dass unsere durch die heutigen technischen Möglichkeiten gewonnene Freiheit nichts als Schall und Rauch ist, weil eins dabei weitestgehend auf der Strecke bleibt: menschliche Wärme und direkter Kontakt, Zu- und Vertrauen in Dritte, langlebige Freundschaften und ruhige, stille Augenblicke, die zum Verweilen und Genießen einladen.

Kommunikation per E-Mail, MMS, Video-Telefonie, Live-Streams etc. ist heute Standard, ein Verkäuferlächeln schnell antrainiert. Aber wer steckt wirklich hinter der artifiziell geschaffenen Identität?

Mit der explosionsartigen Verbreitung des Internets und anderer elektronischer Kommunikationsmittel wie Mobil-Telefone oder Laptop entstanden auch gleich zwei neue gesellschaftliche Probleme unermesslichen Ausmaßes: Internet-Piraterie und Internet-Handy-Sucht. Schnell und akkurat kann man "seine persönlichen Dinge" erledigen, aber zu welchem Preis?

Montalban demonstriert in seinem, in Struktur und Aufbau an den klassischen Abenteuer- und Kriminalroman angelehnten, mit Gesellschaftskritik nicht sparenden Roman, dass nicht das Ziel, sondern der Weg dahin wichtig ist. Was gewinnt man durch all die Zeitersparnis, wenn man die gewonnene Zeit nicht genießt, sondern investiert, sie wie einst die "Grauen Herren" in Michael Endes "Momo" auf der "Zeitsparkasse" anlegt und sie dann in einem grauen Nebel verpufft?

Nehmen wir uns doch einfach die Zeit, dieses grandiose Buch von der ersten bis zur letzten Seite zu genießen. Es sei hoch und heilig versprochen: dass Sie dabei etwas erleben werden, das in unserer hektischen Zeit eher selten geworden ist. Entspannung, Spaß und die Lust, mal wieder für sich, seine Freunde und/oder Familie schön gemütlich zu kochen.


Titelbild

Manuel Vázquez Montalbán: Requiem für einen Genießer. Ein Pepe-Carvalho-Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Theres Moser.
Piper Verlag, München 2005.
791 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3492046967

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