Kein Ausweis unehrlicher Boshaftigkeit

Ein Briefwechsel beleuchtet das Verhältnis Thomas Manns zur Literaturwissenschaftlerin Anna Jacobson

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anna Jacobson wurde 1888 in Lüneburg geboren. Bereits in den frühen 20er Jahren ging die promovierte Literaturwissenschaftlerin in die Vereinigten Staaten, wo sie am Hunter College in New York deutsche Literatur lehrte. Die Familie blieb einstweilen noch in Deutschland, wo sie seit 1933 die immer drastischer sich auswirkenden antisemitischen Maßnahmen der Nazis erdulden mussten. Während zwei Brüder Deutschland schließlich noch verlassen konnten, wurde der älteste Bruder nach Auschwitz deportiert und dort ermordet .

Mit Thomas Mann kam die Studentin 1914 bei einer Lesung des Schriftstellers in Freiburg erstmals in Kontakt. Seit diesem "eigenen entscheidenden 'Erlebnis'", wie sie sich in einem Brief an Thomas Mann aus dem Jahre 1942 erinnerte, blieb sie dem Schriftsteller und seinem Werk verbunden.

Die vorliegende Edition umfasst 81 Briefe. Vollständig liegen diejenigen, die Thomas Mann oder seine Frau Katia an die Literaturwissenschaftlerin schrieben, vor, während von den Briefen Jacobsons nur einige wenige erhalten blieben. Der Briefwechsel beginnt 1925 mit einem Schreiben Thomas Manns, in dem er freundlich eine Anfrage der Wissenschaftlerin zur Rezeption des amerikanischen Schriftstellers Walt Whitman beantwortet. Mann blieb im Übrigen distanziert. Die Dinge änderten sich 1933, im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme. Im Frühjahr des Jahres hatte ihm während einer Auslandsreise die Heimatstadt München einen "heftigen Choc von Ekel und Grauen", so notiert er im Tagebuch, versetzt mit dem "Protest der Richard-Wagner-Stadt München". Der schändliche Aufruf, versehen mit der Unterschrift u. a. des Dirigenten Hans Knappertsbusch, der Komponisten Hans Pfitzner und Richard Strauss, wandte sich gegen Thomas Manns Wagner-Vortrag, den er noch im Februar 1933 in München gehalten hatte. Auf dieses Ereignis hin schrieb ihm Anna Jacobson, selbst eine Wagner-Kennerin: "Abgesehen von persönlichem Leid, das meine Familie betraf, hat mir nichts die Rohheit und Dummheit der Geschehnisse so klar vor Augen geführt wie die einfach nicht faßbare Einstellung der 'Münchner' Ihnen gegenüber. Im 'Wagnerjahr' ist sicher nichts Tieferes und Feineres über Wagner gesagt und geschrieben worden als Ihr Aufsatz: Leiden und Größe R.W's." Thomas Mann mochte solcher Zuspruch getröstet haben.

Für Anna Jacobson war Thomas Manns Werk längst zu einem zentralen Arbeitsschwerpunkt geworden. In Vorträgen, Rezensionen und Publikationen pries sie interpretierend das Werk des Meisters, und so war ihr daran gelegen, den Hochverehrten als Gast am Hunter College begrüßen zu können. Tatsächlich wurde das New Yorker College seit 1938 bis Ende der 40er Jahre für Thomas Mann zu einem wichtigen Auftrittsort an der Ostküste. Zufrieden äußert sich der Tagebuchschreiber mehrmals über den Zuspruch, den seine Auftritte dort finden. So heißt es beispielsweise Anfang Mai 1947: "Gewaltiges Auditorium, gepackt mit 2000 Personen... Ich sprach 5 Viertelstunden, ausdauernd u. zu meiner Zufriedenheit."

Nach der Ankunft der Manns im amerikanischen Exil ergaben sich für Anna Jacobson immer öfter Gelegenheiten, persönlich bei Thomas Mann vorstellig zu werden. Der Kontakt zur Familie vertiefte sich - und Katia Mann scheute sich auch nicht, die 'Freundin' um Unterstützung im Umgang mit der 'schwierigen' Tochter Monika anzugehen, als dieser im Oktober 1942 eine Unterkunft in New York zu verschaffen war: "Es handelt sich um Monika, deren Aufenthalt im Elternhaus diesmal gar nicht so recht glücklich verlaufen ist [...]. Ich möchte Ihnen gewiss nicht zumuten, sie zu sich zu nehmen, aber vielleicht wissen Sie für sie eine derartige provisorische Unterbringung."

Mochte Anna Jacobson auf diese Weise einen Nutzen für die Manns bringen, war der Hausherr selber der Anwesenheit selbiger zuweilen auch überdrüssig. Es gehört zu den hübschen Lesefrüchten dieses Briefwechsels, die erlesen höflichen Briefaussagen Thomas Manns zuweilen in den ausführlichen Kommentaren kontrastiert zu sehen mit Tagebucheintragungen. Wenn dort das "verehrende Frauenzimmer", eine Bezeichnung, die ursprünglich der gemeinsamen Bekannten Käte Hamburger zugedacht war, als zuweilen nervige Belastung beschrieben ist, so ist das aber dennoch kein Ausweis unehrlicher Boshaftigkeit. Vielmehr bestätigt sich der Eindruck einer großzügigen 'Wohlerzogenheit' des Schriftstellers, dessen Ehrlichkeit im Tagebuch ihn nur noch umso glaubwürdiger macht.


Titelbild

Werner Frizen / Friedhelm Marx (Hg.): Thomas Mann, Katia Mann - Anna Jacobson. Ein Briefwechsel. Thomas-Mann-Studien Band 34.
Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 2005.
182 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-10: 3465034082

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