Mörderisch gut
Friedbert Aspetsberger und Daniela Strigl haben ein spannendes Buch zum Krimi herausgegeben
Von Stefan Neuhaus
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMiss Marple, Kojak und der Bulle von Tölz sind Zeugen, dass der Krimi seit Beginn des Fernsehens ein äußerst populäres Bildschirm-Genre war und heute vielleicht sogar das populärste ist. Gleiches gilt für die Literatur, seit ihrem Entstehen im 19. Jahrhundert hat die Gattung ihre Autoren- und Leserzahl beständig erhöht. In den letzten Jahrzehnten gab es Grenzüberschreitungen zu anderen Gattungen, die das Spektrum dessen, was man mit Krimis so alles machen kann, signifikant erweitert haben - von Ecos historischem Kriminalfall "Der Name der Rose" über Süskinds Mördergeschichte "Das Parfum" bis hin zum Elternmörder Lord Voldemort in Rowlings "Harry Potter". Nicht Schritt gehalten mit dieser Entwicklung hat die Forschung, für die der Krimi immer ein Schmuddelgenre war - zu trivial, um literaturfähig zu sein. Hier unterliegt sie aber der gleichen Täuschung wie die Mörder in Inspektor Columbos Fällen: Weil sie den kleinen Mann mit zerknittertem Trenchcoat, Glasauge und schrottreifem Peugeot nicht ernst nehmen, müssen sie es sich gefallen lassen, schlussendlich doch überführt zu werden.
Wenn Doris Priesching in sieben Schritten einen Fall zum "österreichischen Fernsehkrimi" konstruiert und auf vorbildliche Weise löst, dann ist dies das Strukturmodell, das dem ganzen Band zugrunde liegt. Neun Literatur-Detektive bieten eine Fülle von Indizien auf und Lösungsmöglichkeiten an. Der Band ist eine Fundgrube für alle, die im Krimi eine literarische Gattung und ein kulturelles Phänomen gleichermaßen sehen und die endlich mehr darüber wissen wollen, wie der Krimi funktioniert und was seine Attraktivität ausmacht.
Gleichsam als Vorspeise zum Mörder-Mahl servieren Gertrude Stein und Christine Grün zwei Mini-Krimis, die programmatisch vorführen, wie literaturhaltig ein Krimi sein kann. Anschließend kommt Mit-Herausgeber Friedbert Aspetsberger zu Wort, der an der Universität Klagenfurt Germanistik lehrt. Seine "Einführung" ist essayistisch gehalten und spannt den Bogen von Kain, der seinen Bruder Abel erschlug, bis zum Tier-Fernseh-Detektiv "Kommissar Rex", von der "Schema-Literatur" bis zum Anti-Krimi Dürrenmatts. Es finden sich zahlreiche interessante Beobachtungen zur Entwicklung der Gattung, etwa zu Kästners Kinderkrimi "Emil und die Detektive", den Aspetsberger dankenswerterweise gegen ideologisch grundierte Kritik verteidigt, und zum Krimi-Comic des 20. Jahrhunderts.
Konrad Paul Liessmann beschäftigt sich und seine Leser mit der Faszination, die Verbrechern entgegen gebracht wird, trotz oder wegen der Abscheulichkeit ihrer Taten. Das hat sicher auch damit zu tun, dass ein Verbrechen "immer ein Bruch mit existierenden Rechtsnormen und Gesetzen" ist, insofern eine gewisse Anziehungskraft für all jene hat, die in dem engen Normenkorsett der Gesellschaft eingeschnürt sind und den Täter um seine anarchische Freiheit beneiden. Liessmann spricht von "Farbe" im "eintönigen Leben" des Lesers oder Zuschauers. Die Grundierung der Farbe ließe sich noch weiter ermitteln. Liessmann hat auf einen wichtigen Punkt aufmerksam gemacht, denn Sympathie mit dem Täter gestehen sich wohl nur die wenigsten ein.
Bernhard Fetz begibt sich auf eine tour de force durch Kriminalromane, die in der Zukunft spielen - es ist verblüffend, wie umfangreich und ausdifferenziert sich dieses Misch- oder Subgenre darstellt. Mit-Herausgeberin Daniela Strigl leistet nicht weniger für ein zentrales Motiv. Sie führt auf eindrucksvolle Weise vor, "warum in Krimis so viel gegessen und getrunken wird". Krimifiguren sind, wie ihre Autoren und Leser, Hedonisten. Insofern lässt sich so mancher Krimi auch als Protest gegen die Täter in der Werbung und im Dienste gesundheitlicher political correctness verstehen. Erich Perschon inventarisiert Kinder- und Jugendkrimis, er legt einen, wenn auch angesichts des beschränkten Raums skizzenhaften, Überblick über die Entwicklung dieser sträflich vernachlässigten Gattung vor und liefert zugleich eine Typologie, mit der sich die Krimis nach verwendeten Mustern und Intentionen unterscheiden lassen.
Karl Mellacher wirft die wichtige Frage auf, inwiefern sich Kriminalromane sinnvoll in der Oberstufe behandeln lassen. Das Triviale, aber auch das Literarische und Faszinierende der Gattung kann dazu dienen, exemplarisch die Funktionen und Leistungen von Literatur vorzuführen. Evelyne Polt-Heinzl schreibt eine kleine Geschichte der "Frauenkrimis" und löst den alten, aber nicht verjährten Fall der Auguste Groner, die bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine der innovativsten Krimiautorinnen war und dennoch heute weitgehend vergessen ist. Männliche Dominanz und Vorurteile gegenüber dem Krimi-Genre machten es möglich. Aufschlussreich ist auch die Frage nach dem weiblichen Krimi-Schreiben. Hier trägt Polt-Heinzl auf kluge Weise Indizien zusammen, ohne sie zu einem - was ja auch trivial wäre - Geschlechter-Schema zu verdichten.
Fatima Naqvi untersucht die "Opfer"-Thematik in den beunruhigenden Filmen Michael Hanekes, legt Missverständnisse offen und entwickelt das Programm des Regisseurs, dem die Beobachtung zugrunde liegt, dass "Opfer und Gewalt nicht voneinander getrennt werden" können. Die heutigen Verhältnisse führen zu einer paradox scheinenden Entwicklung: "Über den Ausschluß von Gewalt wird sie in die Gesellschaft erst recht eingeschlossen."
Zuguterletzt kommt noch einmal Friedbert Aspetsberger zu Wort. Mit dem Aufriss der österreichischen Kult-Serie "Kottan ermittelt", geschrieben von einem enfant terrible der österreichischen Literaturszene, Helmut Zenker, wird der Krimi endgültig zur intermedialen Kunstform. In den Fernsehfilmen wie in den Romanen wird die Gattung an ihre Grenzen und darüber hinaus getrieben. Die dadurch ausgelösten Irritationen zeigen auf beunruhigende Weise, wie dumm so mancher einflussreiche Krimi-Zuschauer oder -Leser sein kann. So lange Fernsehbosse lieber SOKOs zum Ermitteln schicken, deren vorrangige Aufgabe die Quotenjagd oder die Werbung für den österreichischen Fremdenverkehr ist, wird Doris Priesching wohl leider Recht behalten mit ihrer Bemerkung, das Fernsehen sei der "Spielplatz des Banalen".
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