Geschichte einer Ehe

Getrud Heidegger gibt bei DVA die Briefe Martin Heideggers an seine Frau Elfride heraus

Von Stefan DegenkolbeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Degenkolbe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über Elfride Heidegger und über ihre Ehe mit Martin Heidegger wusste man bislang recht wenig. In den Biografien werden nur Kleinigkeiten erwähnt, wie zum Beispiel, dass sie es war, die Heidegger die legendäre Hütte über Todtnauberg geschenkt hat. Im Allgemeinen entsteht von Elfride der Eindruck einer Frau, die im Hintergrund des großen Philosophen das Alltägliche besorgt: Haus, Garten, Kinder.

Gertrud Heidegger, die Enkelin, hatte ein sehr inniges Verhältnis zu ihrer Großmutter, sodass diese ihr einige Jahre nach Heideggers Tod eine Holzkiste übergab, an deren Schlüssel ein kleiner Zettel hing mit der Aufschrift "Dieser Schlüssel gehört nach m. Tod ausschließlich meiner Enkelin Gertrud Heidegger." Die Holzkiste enthielt alle noch erhaltenen Briefe Martin Heideggers an seine Frau aus den Jahren 1915 bis 1970. Elfride hat ihrer Enkelin diese Briefe mit der einzigen Bedingung überlassen, dass sie, sofern sie sie zu veröffentlichen gedenke, dies nicht vor dem Jahr 2000 täte. Gertrud Heidegger fand erst 1999 Gelegenheit, das umfangreiche Material zu sichten. Ungefähr ein Siebtel der über tausend Briefe hat sie nun chronologisch geordnet und mit Kommentaren versehen veröffentlicht; eine vollständige kritische Ausgabe soll später folgen.

Gertrud Heidegger hat die Auswahl der Briefe mit dem Ziel gestaltet, ein möglichst klares Bild einer sechzig Jahre währenden Beziehung mit ihren Höhe-, Tief- und Wendepunkten zu vermitteln. Da ihr bewusst war, dass viele Leser auch auf politisch brisante Inhalte warten würden, hat sie, um Spekulationen vorzubeugen, den klugen Entschluss gefasst, sämtliche vorhandenen Briefe aus den Jahren 1933 bis 1938 zu veröffentlichen. Allerdings bemerkt sie, dass aus dieser Zeit auffallend wenige Briefe erhalten geblieben sind, aus dem Jahr 1933 nur ein einziger, den Heidegger einen Monat vor Antritt des Rektorats geschrieben hat, und in dem er über die weitere Entwicklung der Universität im Rahmen der "heutige[n] deutsche[n] Revolution" nachdenkt. Gertrud Heidegger vermutet, dass aus dieser Zeit deutlich mehr Briefe existiert haben müssen, da Heidegger während des Rektorats häufig auf Reisen war. Über ihren Verbleib ist nichts bekannt, allerdings erwähnt die Herausgeberin, dass ihre Großmutter alle Briefe noch einmal gelesen, sortiert und teilweise kommentiert hat, bevor sie sie ihr übergeben hat. Die Vermutung, dass dabei einiges Unangenehmes beiseite geschafft wurde, erscheint nicht gerade abwegig.

Der Briefwechsel beginnt 1915, als sich Martin Heidegger und Elfride Petri, eine protestantische Offizierstochter, kennen lernen. In den frühen Briefen schreibt Heidegger viel über seine Auseinandersetzungen mit dem katholischen Glauben und über seine persönliche Entwicklung als Philosoph. Für die Zukunft wünscht er sich ein ruhiges Familienleben, für Elfride wird die Rolle der Mutter vorgesehen: "[...] die stillen Wege Deines Wirkens in unserer Ehe, Deine frauliche Existenz in meiner unmittelbarsten Schaffenswirklichkeit, Deine mütterliche Mission in unserer metaphysischen Bestimmung, das sind mir heute unverlierbare Potenzen meines Daseins u. die lebendigen Wirkungs u. Lebenszusammenhänge unserer Liebe - sind das metaphysisch-historische unserer Lebenseinheit. -" (1917) Immer wieder betont Heidegger in den folgenden Jahren, wie wichtig dieses stille Wirken Elfrides im häuslichen Hintergrund für sein philosophisches Arbeiten sei. Dennoch ist sie ihm zumindest in den frühen Jahren auch ein echter Gesprächspartner, gerade in den Frage des Glaubens, die für Heidegger zunehmend zum Problem werden und schließlich in seinem Bruch mit dem "System Katholizismus" 1919 münden.

Einen großen Teil der Briefe hat Heidegger geschrieben, während er auf Reisen war. Insbesondere die späteren Briefe schreibt er aus Meßkirch, bisweilen aber auch von Aufenthalten bei seinen verschiedenen Geliebten. Heideggers Affäre mit Hannah Arendt ist ja allgemein bekannt, und man hat bisweilen munkeln hören können, dass dies nicht die einzige war. Aus den Briefen an Elfride lässt sich erkennen, dass die Gerüchte keineswegs übertrieben waren. So schreibt Heidegger 1931: "Ich danke Dir vor allem für Deine Liebe - immer wieder erfahre ich ihre Größe u. davor meine Kleinheit, aber ich habe es noch nicht gelernt, Deine Liebe ganz in Deiner Strenge und Härte zu sehen; wohl weil ich immer noch zu sehr mich selbst sehe u. der Bewunderung u. dgl. zum Opfer falle. Ich weiß es ganz zu innerst, dass ich zu Dir gehöre u. dass Du allein mir helfen kannst, das Leben neu zu bauen. Ich lerne nur langsam gegen mich hart zu werden u. das Schwere in mir wirklich zu tragen u. zu übernehmen - statt zu vergessen. Und ich weiß, dass es jetzt allein auf das Handeln ankommt, auf die tägliche Arbeit an mir selbst. Der Blick Deines Herzens wird es sehen, ob ich voran komme oder nicht. Versprochen habe ich Dir genug." Dieses Muster der Entschuldigung wiederholt sich in den folgenden Jahrzehnten immer wieder, noch mit über sechzig Jahren bittet Heidegger Elfride, doch Geduld mit ihm zu haben, er werde noch auf den rechten Weg finden.

Als der Zweite Weltkrieg sich unübersehbar zum Untergang wendet, beginnt Heidegger, sich um Deutschland zu sorgen - und damit um das geistige Erbe der Abendlandes. Als dann ab 1944 die Front näher rückt, ist er verzweifelt bemüht, seine Manuskripte in Sicherheit zu bringen. Außerdem beschäftigt ihn das Schicksal seiner Söhne, die beide in sowjetischer Gefangenschaft sind. Dass die französische Verwaltung Heidegger nach dem Krieg die Lehrerlaubnis entzieht, stürzt ihn in eine schwere Krise. Zudem belastet seine Beziehung zu Margot von Sachsen-Meiningen das Verhältnis zu Elfride. Heidegger sucht schließlich Hilfe bei dem Psychiater Viktor Emil Freiherr von Gebsattel.

1951 wird Heidegger schließlich emeritiert und kann damit seine Vorlesungstätigkeit wieder aufnehmen. Er ist viel auf Reisen, teils in Meßkirch, um mit seinem Bruder Fritz die Manuskripte aufzuarbeiten, teils auf Vortragsreisen, und bisweilen auch bei einer seiner Geliebten. Die Briefe behandeln viel Alltägliches, das Wetter, Reisetermine, Fragen nach den Söhnen und dergleichen. Sie haben nicht mehr die Tiefe der frühen Briefe, in denen deutlich zu erkennen war, dass Heidegger Elfride, wenn auch vielleicht nicht als ebenbürtige, so doch als ernstzunehmende Partnerin ansah. Die späteren Briefe, in denen Heidegger sich regelmäßig für irgendwelche Affären entschuldigt, deuten eher auf ein Eheleben hin, in dem ganz traditionell der Mann seine Karriere und seine Leidenschaften pflegt, aber gleichzeitig darauf angewiesen ist, dass die treue Ehefrau den häuslichen Hintergrund in Ordnung und ihm die leidigen Alltagssorgen vom Hals hält. Wie dürftig die Beziehung inzwischen geworden ist, zeigt sich auch an der Anrede, die Heidegger inzwischen gebraucht. Hatte er in den ersten Jahrzehnten meist "Mein liebes Seelchen!" geschrieben und nur in Ausnahmefällen Abkürzungen gebraucht, beginnen seit den 50er Jahren die Briefe zumeist mit einem knappen "M.lb.S."

In die Sammlung aufgenommen findet sich ein Brief von Elfrides Hand, der allerdings nie abgeschickt worden ist. In ihm klingt die ganze Bitterkeit über die Jahre des Betrogenwerdens durch: "In Deinem ersten Brief standen Worte aus einer ganz flachen Sphäre 'Schwäche' und 'entschuldigen' ach nein - so geht's doch nicht. Ich weiß doch um Deine Tat, um die Befeuerung, die Du brauchst u. ich habe auch jetzt mich gemüht, das Beglückende für Dich zu sehen u. sie als die, die schenken darf. Aber dass das alles nicht nur mit 'Lüge' - nein mit dem unmenschlichsten Missbrauch meines Vertrauens verbunden sein müsste, darüber bin ich noch immer voll Verzweiflung. [...] Immer wieder sagst Du, dass Du mir verbunden seist - was ist das Band? Liebe ist's nicht, Vertrauen ist's nicht, bei anderen Frauen suchst Du 'Heimat' - ach Martin - wie sieht's in mir aus - und diese eisige Einsamkeit. [...] Hast Du einmal darüber nachgedacht, was leere Worte sind - hohle Worte? Was fehlt solchen Worten?" Auch wenn man nicht überinterpretieren sollte; dieses Fehlen, von dem Elfride schreibt, gemahnt doch sehr an die, so vielen Lesern von Heideggers Werken aufgefallene eigenartige Leere des Begriffs des "Mitseins".

In den folgenden Jahren schreibt Heidegger weiterhin von seinen Reisen. Die Briefe bleiben verhältnismäßig oberflächlich, befassen sich immer wieder mit Alltäglichem oder dem, was Heidegger auf seinen Reisen begegnete. Man bekommt den Eindruck einer Beziehung, in der sich beide irgendwie arrangiert haben. Der letzte Brief, den Heidegger an Elfride geschrieben hat, stammt vom April 1970 aus München. Er enthält nur einige kurze Sätze, fast wie ein Telegram. Elfride hat zu diesem Brief notiert: "letzter Brief (vor Augsburg) der Zusammenbruch dort brachte endgültig alles ans Licht - seitdem waren wir nie mehr getrennt." In Augsburg, wo Heidegger ein Rendezvous hatte, erlitt er einen Schlaganfall; er wurde in Freiburg von Elfride wieder gesund gepflegt. Elfride sagte später zu ihrer Enkelin, damit habe die schönste Zeit ihres Lebens begonnen, da sie nun bis zu seinem Tod nicht mehr von Martin Heidegger getrennt war.

Für die Herausgeberin Gertrud Heidegger muss diese Arbeit eine Gratwanderung gewesen sein zwischen den Großeltern, zu denen sie, insbesondere zu Elfride, ein sehr gutes Verhältnis hatte, und der Tatsache, dass ihr Großvater eine historische Persönlichkeit ist, über die nicht nur die Forschung Dinge wissen will, die man in Familien sonst gerne verschweigt. Ihr ist dieser Balanceakt gut gelungen. Insbesondere, weil sie mit Kommentaren zu den Briefen sparsam umgegangen ist. Natürlich bleibt dabei einiges im Dunkeln, anderseits liegt schon genug offen, als dass man noch um einen voyeuristischen Blick in die Ehe der Heideggers bitten müsste.

Das Nachwort von Hermann Heidegger hat nachgerade etwas Anrührendes. Dort bekennt der inzwischen 85jährige, dass er zwar als ehelicher Sohn von Martin und Elfride Heidegger geboren wurde, dass sein leiblicher Vater allerdings ein 1946 verstorbener Jugendfreund von Elfride gewesen ist. Hermann Heidegger schließt mit den Worten: "Nun bin ich meiner Nichte dankbar, mich mit dieser Erklärung von einer mich 71 Jahre lang bedrückenden und quälenden Last zu befreien und die geschichtliche Wahrheit bekennen zu dürfen."

Es ist eigenartig; als ich Hermann Heidegger einmal auf einer Konferenz gesehen habe, war ich wirklich überrascht über die große Ähnlichkeit zu seinem vermeintlichen Vater und sagte noch zu einem Freund, dass er sowohl die gleiche Stimme, als auch die gleiche Nase habe, wie Martin Heidegger.


Titelbild

Gertrud Heidegger (Hg.): „Mein liebes Seelchen!“. Briefe von Martin Heidegger an seine Frau Elfride. 1915-1970.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005.
415 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3421058490
ISBN-13: 9783421058492

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