Darf's ein bisschen mehr sein?

Adam Fawer war viel krank, liebt die Literatur, dankt einer Menge Leute und ist auch sonst sehr mitteilsam

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Adam Fawer ist eine durch und durch bemerkenswerte Persönlichkeit, zumindest wenn man dem Klappentext seines Erstlings trauen darf. Dort erfährt man nämlich, dass der in New York geborene Autor mit sechs Jahren eine seltene Augenkrankheit hatte und - beinahe - sein Augenlicht verloren hätte. Auch sonst ist der spätere Autor in seiner Kindheit häufig krank gewesen, was aber in seinem Fall, trotz später Geburt - 1970 -, nicht zu übermäßigem TV-Konsum, sondern zu einer heftigen Zuneigung zur Literatur geführt habe. Vielleicht hat man ihn gezwungen, vor dem Fernseher auszuharren und das Wunderreich der Literatur wurde ihm so zwar begehrenswert, blieb ihm aber verschlossen? Denn studiert hat er dann später Wirtschaftswissenschaften und besonders gern wohl Statistik; den Master of Business Administration hat er sogar noch draufgelegt. Das hat ihm genutzt, denn er hat später drei Jahre ein erfolgreiches "Dot-com-Unternehmen in New York" geleitet, das wahrscheinlich das Jahr 2000 nicht überstanden hat, wie so viele andere. Jetzt ist er wohl arbeitslos. Und wenn es einem schlecht geht, erinnert man sich da nicht seiner alten Lieben, die einem helfen können, sich wieder aus dem Schlamassel zu ziehen? Oder er hat rechtzeitig verkauft und versucht nun, seinem Leben ein wenig Sinn zu geben, weil ein Vermögen zu verwalten auf Dauer für einen Dreißigjährigen so langweilig ist? Keine Ahnung. Welchen Grund es auf jeden Fall gab, Fawer hat sich jetzt einen Kindheitstraum erfüllt und ist mit einem Buch, diesem, dessen Klappentext wir gerade lesen, Schriftsteller geworden. Ist das nicht schön? Achja, auf dem Autorenfoto sieht Herr Fawer in der Tat ein wenig umschattet aus.

Bei seinem Buch haben ihm eine Menge Leute geholfen, und das, obwohl wir doch immer dachten, dass die Produktion von Literatur ein einsames Geschäft sei. Da gibt es zum Beispiel Stephanie Williams, die mit dem Autor im Cafe gesessen hat, Erin Hennicke, die aus der Branche ist und Rat wusste (ich hätte gern ihre Adresse, Leute, die wirklich Rat wissen, sind selten), dann Ted Gideonse, die sich mit japanischem Vertragsrecht und dem deutschen Steuerrecht auskennt (auch eine interessante Adresse, her damit), ein paar Leute, die lesen können, ein paar andere, die Fehler finden, schließlich Menschen, die Dinge tun und können, von denen auch der Autor nicht angeben kann, wozu sie nutzen sollen, eine Menge zu grüßender Freunde und Kumpane, Mediziner und Arbeitslose und schließlich natürlich die Frau, die er liebt. Und da er alle Danksagungen direkt adressiert, steht der Satz am Ende auch so da: "Ich liebe dich." (Falls sich jetzt niemand angesprochen fühlt, wär's schad um mich, oder?). Das alles muss man natürlich als Leser wissen, denn die Angesprochenen, denen hier immerhin auf vier Seiten gedankt wird, sprechen und lesen wahrscheinlich alle kein Deutsch. Sie kann er nicht meinen, sondern doch mich! Aha. Und warum soll ich das alles wissen?

Nun, das Buch selbst wird das nicht zeigen. Dafür aber anderes: Ja, der Mann ist Statistiker und sicherlich auch nicht dumm (immerhin drei Jahre "Dot-com-Unternehmen in New York", das ist was!). So kann er in der Länge und Breite auseinander legen - und er tut es auch in der Länge und Breite -, worin der Unterschied zwischen Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung besteht. Dafür muss man natürlich dozieren, was einen denkbar schlechten Ruf hat, außer in Romanen wie diesem, wo die Studenten ihren Professoren an den Lippen hängen - natürlich nur den faszinierenden, die zwar nur Lehraufträge kriegen und sich mit epileptischen Anfällen herumschlagen, wenn sie nicht ihrer Spielsucht frönen, aber eben faszinierend sind, selbst wenn sie Statistik lehren. Wenn es also etwas zu erklären gibt, dann erinnert sich der Held unserer Geschichte an seine Zeit als Statistik-Dozent und an seine Vorlesungen, und das Problem ist gelöst. Gibt's dafür aber keine Gelegenheit, dann müssen sich eben zwei hochkarätige Wissenschaftler gegenseitig Dinge erklären, für die sie in der Romanwirklichkeit eigentlich die großen Experten sind. In den CSI-Serien sind solche Laborgespräche meine absoluten Lieblingsdialoge und sowieso der beste Beweis für Realismus in den neuen Medien. Im Theater hat man früher so etwas zur Seite gesprochen. In Krimis sind das immer diejenigen geständniswütigen Verbrecher, die ihre Taten und alle Hintergründe ungestört berichten dürfen - den Detektiv oder Kommissar mit der Waffe bedrohend und kurz bevor sie, gegen allen Anschein, doch verhaftet oder erschossen werden. Auch Adam Fawer hat keine andere Idee gehabt, wie er denn sein Fachwissen an den Mann bringen soll, und so kommt es denn zu solch Spitzendialogen wie dem hier: "'Ich glaube, die Halluzinationen und präkognitiven Erlebnisse, die David Caine erfahren hat, stammen aus seinem rechten Temporallappen, der auf Daten aus einem zeit- und raumlosen Realitätszweig zugreift.' 'Was, der Quantenmechanik zufolge, deshalb möglich ist, weil Zeit und Raum keine absoluten Begriffe sind; folglich existieren diese Daten außerhalb der Zeit als solcher', sagte Forsythe in dem Versuch, mit seinem eingeschränkten Verständnis von Einsteins Spezieller Relativitätstheorie zu glänzen. Tversky nickte bekräftigend." Und wir nicken natürlich auch bekräftigend, zumal eigentlich nur interessant ist, ob dieser David Caine es schafft, der versammelten Verfolgung von FBI, CIA, nordkoreanischem Geheimdienst und der Russenmafia zu entkommen. Womit wir wieder beim eigentlichen Thema wären: Das Ganze ist ein Mystery-Thriller, eine Mischung aus Science Fiction und Action-Krimi, bei dem eine ganze Menge in die Luft gesprengt und zerdeppert wird, damit alle ihren Spaß haben. Und trotz des, sagen wir, verbesserungswürdigen Klappentextes und der tilgungswürdigen Danksagung und der auftragenden Dialoge und aufdringlichen Welterklärungsorgien, trotz alldem kann man dieses Buch lesen.

Ja, dieses Buch hat von allem etwas zu viel, die handlungstragende Grundausstattung ist üppig zu nennen: Ein Spieler, der Statistikdozent war und Epileptiker ist, eine CIA-Agentin, die eigentlich eine KGB-Agentin ist und zudem auf eigene Kappe arbeitet, bevor sie sich dann zur Beschützerin unseres Helden aufschwingt, diverse Verfolger, die entweder hinter der Agentin oder hinter dem Spieler her sind oder hinter beiden, ein Medikament, mit dem man Parallelwelten wahrnehmen und damit die wahrscheinliche Zukunft vorhersehen kann (was immer klappt), und am Ende auch noch eine umfängliche und hochtrabende Theorie, nach der Epileptiker Leute sind, die Zugriff auf die erwähnten Parallelwelten haben und es halt nur nicht geregelt kriegen. Wen es betrifft, der möge nur genau genug lesen, vielleicht hilft es ja beim Aushalten. Diese Buch hat von allem zu viel, es hat sogar drei Übersetzer, es ist auch noch zu offensichtlich am Reißbrett entworfen, es bietet Suspense und echte Retortenkrisen, es ist wie viele andere Wissenschaftsthriller, und es wird wie sie über den grünen Klee gelobt, aber es hat einen ganz hübschen Umschlag. Man kann es lesen, man lernt auch was (auch, nicht alles ernst zu nehmen), es ist sogar spannend, aber es ist nicht wirklich dringend. Aber was ist schon dringend? Vor allem, solange man sich amüsiert?


Titelbild

Adam Fawer: Null. Thriller.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Jochen Schwarzer, Frank Böhmert, Andree Hesse.
Kindler Verlag, Berlin 2005.
586 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3463404761

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