Bundesdeutsche Propaganda für Anfänger

Benjamin Gesing & Co präsentieren eine Nachwuchsjournalistencombo, die neue deutsche Helden besingt

Von Frank HertelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Hertel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Deutschland im Jahr 2005: Ein unglaublicher Bestseller rüttelt die schlafende Bevölkerung wach. Endlich kein Jammern mehr, die Menschen packen an. Sie fragen nicht länger, was der Staat für sie tun kann, sondern umgekehrt lautet ihr ständiges Gemurmel: Oh, was kann ich nur für den Staat tun?

So oder so ähnlich stellen es sich wohl die Herausgeber dieses kleinen Buchs vor und auch die Herausgeber hinter den Herausgebern: Die Bundeszentrale für politische Bildung. Aber die Sache geht gründlich daneben. Zunächst fragt man sich, was das denn wohl für Leute seien, die da so schön ernst und seriös von dem Buchdeckel herabblicken. So erwartungsvoll schauen sie. Man fühlt sich schon ganz unvorbildlich. Dann schlägt man auf und weiß es endgültig. Das Buch ist mal wieder so ein Missgriff, au weia, hätte man nur etwas Anständiges gelernt. Aber es hilft ja nichts. Man ist nun einmal Rezensent und muss lesen, auch wenn es weh tut. Und es tut weh, gewaltig sogar. Es ist wirklich ein hartes Stück Arbeit, sich durch so viel Frohgemut und Aufbruchsstimmung hindurchzulesen. Man kommt sich vor wie ein überzeugter Raucher in einem Allen Carr Seminar, wie ein Atheist in einem weihnachtlichen Gottesdienst, wenn gerade "Stille Nacht" gesungen wird, also nicht nur fehl, sondern sogar bösartig faul am Platz.

Aber gerade dazu nutzt ja die Bildung, dass man eben nicht in die Knie geht, sondern irgendwann herzhaft lacht über solche plump vorgetragenen kategorischen Imperative. Und plump sind sie wirklich, diese Versuche, Vorbilder zu kreieren. Wenn man jedes Jahr 40 Bücher dieser Produktionslinie lesen müsste, wäre man vor lauter Kopfschütteln in spätestens drei Jahren vollkommen ohne Haupthaar. Glücklicherweise sind Bücher wie dieses sehr selten, allerdings ohne jeden Seltenheitswert.

Ach ja, der Inhalt. Nun, der ist schnell referiert. Leute um die 20, die in Hildesheim Kulturjournalismus, und - man kichert dabei ein bisschen - Kreatives Schreiben studieren, berichten gänzlich uninspiriert über fünfzehn Leute um die 20, die alle sehr vorbildlich leben. Diese Vorbilder engagieren sich vornehmlich im Osten gegen Rechts und im Westen für Grün und Rot. Sie arbeiten in der Kommunalpolitik und organisieren Schüleraustausche mit Afrika. Sie sind alle schon furchtbar erwachsen und wissen genau, was sie wollen, Klassensprechertypen eben, Leute, die die elende Leistungsspirale schon mit zwölf Jahren im Kopf hatten, Vorbilder halt. Schön, dass es sie gibt, allerdings ist die deutsche Realität eine andere. Die Typen in diesem Buch sind Ausnahmen, die die Regel bestätigen und nicht verändern. Das Konzept Vorbild funktioniert nicht. Wenn der politisch gestaltbare Rahmen nicht stimmt, nützt es wenig, wenn einige Optimisten positive Dinge tun. Die politischen Kräfte, die hinter dem Projekt stehen, haben sich mit der schlimmen Situation, für die sie selbst Verantwortung tragen, abgefunden und zeigen uns nun in diesem Buch ein paar Leute, die trotzdem den Mut nicht verloren haben. Wenn sich nun jemand wirklich von diesen Hoffnungsträgern eine Scheibe abschneiden könnte, dann wären das die Politiker selbst. Dass sich der bekannte Jugendforscher Klaus Hurrelmann dazu hergibt, so ein Buch am Ende noch mit ein paar Erkenntnissen zu schmücken, ist bedauerlich. Der Text ist auch aus einem ganz praktischen Grund unleserlich: Dort wo keine wörtliche Rede vorkommt, sind die Buchstaben so verschwindend dünn gedruckt, dass man meint, sie schämen sich ein bisschen.


Titelbild

Benjamin Gesing / Jochen Markett / Björn Richter (Hg.): Profil! Ansichten der Generation P.
Mit einem Nachwort von Klaus Hurrelmann.
Glück und Schiller Verlag, Hildesheim 2005.
185 Seiten, 6,80 EUR.
ISBN-10: 3938404035

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