Das Geschlecht der Engel

Lucia Etxebarrias melancholisch-feministischer Roman über Frauen, die anders sein wollen, zeigt sich auch humorvoll

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Haben Feministinnen Humor? Vor einigen Jahren noch gehörte es nicht nur zu den Gepflogenheiten chauvinistischer Stammtischheroen, dies lautstark zu bezweifeln. Haben die Herren doch noch nie eine Feministin über einen ihrer schlüpfrigen Herrenwitze lachen hören oder auch nur schmunzeln gesehen. Was sicher nicht nur daran liegt, dass die Meisten von ihnen wohl nie eine Angehörige dieser ominösen Spezies zu Gesicht bekommen haben.

Dass sich Humor nicht gerade in schenkelklopfenden Lachsalven über Pennäler-, Stammtisch- und Altherrenrunden-Zoten äußert, ist natürlich schon seit Längerem bekannt. Auch wurde die Mär von der humorlosen Feministin schon vor Jahrzehnten widerlegt, durch Alice Schwarzer am öffentlichkeitswirksamsten und durch Elfriede Jelinek am eindrucksvollsten.

Wenn es jedoch noch eines Beweises feministischen Humors bedürfte, Lucia Etxebarrias bereits 1999 im spanischen Original erschienener und jüngst auch ins Deutsche übersetzter Roman hätte ihn geliefert. Während sich Schwarzers Humor nicht zuletzt durch seine Schlagfertigkeit auszeichnet, so präferiert Etxebarria die Variante des schwarzen Humors, des feministischen Galgenhumors gar, womit sie ihrer Kollegin Jelinek näher steht als der Journalistin Schwarzer. Kommt etwa eine von Etxebarrias Protagonistinnen abends nachhause, so fällt ihr "meistens ein eindrucksvoller Selbstmord ein, eine harmonische Art, der Welt um sie herum Schuldgefühle zu machen". Hat auch jede der drei Autorinnen ihren eigenen Humor, so sind sie doch alle ebenso stilsicher wie eloquent.

Vier berufstätige Frauen auf unterschiedlichen Karrierestufen bilden die zentralen Figuren in Etxebarrias Roman, dessen nur locker mit einander verbundene Episoden teilweise so raffiniert aufgebaut sind, dass sie einen zunächst schon mal in die Irre führen können. In den ersten Kapiteln treten die Protagonistinnen jeweils ohne die anderen auf. Doch langsam stellt sich heraus, dass ein gewisses Beziehungsgeflecht zwischen ihnen besteht, das sie in der letzten Episode in einer Tanzbar zusammenführt, ohne dass jedoch alle einander kennen würden.

Keine von ihnen findet sich noch auf den untersten Sprossen der Karriereleiter. Eine jedoch ziemlich weit oben: Raquel, 25 Jahre alt, mit abgeschlossenem Kunststudium ausgestattet und "eines der gefragtesten Models der vergangenen Saison". Sie ist in einem heruntergekommen Vorstadtviertel aufgewachsen, wurde dreizehn-jährig gewaltsam entjungfert und ist tabletten- und alkoholabhängig. Ihre Rolle, sagt sie, habe sie sich nicht ausgesucht. Sie sei ihr "zugewiesen worden, als [ihr] mit zwölf Brüste gewachsen sind".

Raquels beste Freundin ist die drei Jahre ältere Elsa, eine promovierte Anglistin, die als Verlags-Lektorin sowie als Feuilleton-Autorin tätig ist und sich "wie eine Bahnhofshalle" fühlt: "nie menschenleer, nie verlassen, aber außer Stande, jemandem dauerhaft Unterschlupf zu gewähren". Nach einer Vergewaltigung unfähig, sexuellen Kontakt zuzulassen, versucht sie die Traumatisierung zu überwinden, indem sie sich zu einem One-Night-Stand zwingen will. Eine solche "Durchreise eines fremden Körpers durch den eigenen", hofft sie, werde "die Spuren des Aufenthalts seines Vorgängers verwischen". So gefühlskalt dies wirken könnte, erweist sie sich doch als Romantikerin, der nicht die "Sexspielchen", sondern das, was wirklich "wichtig" ist, in Erinnerung bleiben: "die Küsse am Strand".

Susi, die dritte im Bunde, ein immerhin 30-jähriges "seltsam unangepasstes Mädchen, über dessen Gesicht immer ein Schatten liegt", und das "weder richtig glücklich noch richtig unglücklich" ist, war ihrem unter tragischen Umständen früh verstorbenen Bruder in inzestuöser Neigung verbunden, ohne diese allerdings je ausleben zu können. Ihren Lebensunterhalt verdient sie als Juristin eines vermutlich größeren mittelständischen Unternehmens.

Die etwa gleichaltrige Maria ist nicht nur Marketingchefin besagten Betriebs, sondern auch die "einzige gute Freundin", die Susi in der Stadt hat. Allerdings hat Susi einige Zeit auf Marias freundschaftlichen Beistand verzichten müssen. Denn nachdem deren Freund einen gemeinsamen Urlaub abgesagt und damit die Beziehung beendet hat, unternimmt Maria alleine eine Urlaubsreise nach Schottland, wo sie sich mit Lilian, einem "vor Beherrschung und Glamour strotzender Vamp von geradezu beleidigender Schönheit" anfreundet. Lilian finanziert ihr Studium, indem sie sich prostituiert, denkt - anders als die in der schottischen Fremde immer etwas allzu naiv wirkende Maria - über Männer völlig illusionslos und kennt sich offenbar bestens mit diesem Geschlecht aus.

Alle diese Frauen sind auf ihre Weise stark, aber auch verletzlich. Tatsächlich wurden jeder von ihnen Wunden zugefügt, die kaum mehr auf Heilung hoffen lassen. Nicht nur von den machistischen Männern Spaniens und Schottlands, sondern vor allem vom Leben selbst.

All dies ist nicht nur mit besagtem schwarzen Humor erzählt, sondern öfter noch mit der tiefen Melancholie "resignierte[r]" Wolken, die vor eine "geknebelte Sonne" ziehen.

Dabei erliegt die Autorin nicht der vermeintlich feministischen Versuchung, alle Männer - deren Leben sie im übrigen ebenso trost- und ausweglos wie das der Frauen beschreibt - als böse Täter und alle Frauen als gute Opfer oder starke Rächerinnen darzustellen. Sicher sind die Frauen nicht die besseren Menschen, vermutlich die Männer aber doch die schlechteren.

Glück existiert in der Welt dieses Romans nicht, und wenn doch, dann handelt es sich um "kein[en] Seelenzustand", sondern ist "flüchtig wie ein Orgasmus: punktuell, vergänglich und eng an jemand anderen gebunden". Eröffnet sich entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch einmal die Möglichkeit eines nicht nur momentanen Glücks, so wird sie nicht wahrgenommen. Zu groß ist die Verzweiflung. Auch ist zweifelhaft, ob dieses Glück der Wirklichkeit tatsächlich stand gehalten hätte, bleibt die Liebe doch "so unerklärlich wie das Geschlecht der Engel".


Titelbild

Lucia Etxebarria: Wir sind anders als die anderen Frauen. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Catalina Rojas Hauser.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2005.
318 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3627001265

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