Wie hungrige Katzen

Bernd Schroeders Liebe-lose Erzählung "Mutter & Sohn"

Von Sanja ZecRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sanja Zec

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erfrischend komisch und amüsant hätte es werden können, Bernd Schroeders aktuelles Buch "Mutter & Sohn", erfüllt es doch zumindest inhaltlich alle Voraussetzungen: Da wäre zunächst der Protagonist, Johannes Seidel, 57, erfolgloser Architekt, gerade verlassen von Lisa, seiner langjährigen Freundin, und ständig genervt von einer nörgelnden Mutter. Letztere wiederum lebt einsam in einer Wohnung, wartet abwechselnd auf die Putzfrau, ihren ungeliebten Sohn oder den Tod und unterhält sich derweil mit ihrer seit über 30 Jahren verstorbenen Tochter Franziska. Und dann wäre da noch die attraktive Anwältin Lisa, die über weite Strecken für Johannes vor allem "not available" ist und deren Bücherregal in seiner Wohnung ein klaffendes weißes Loch an der Wand hinterlässt.

"Mutter & Sohn" ist eine Gratwanderung zwischen luftig-leichter Pop-Unterhaltung und alltäglichem Drama, die nicht immer vollständig gelingt. Für Ersteres sind die Protagonisten zu tiefsinnig, für Letzteres zu stereotyp.

Die Handlung erstreckt sich über einen Tag im Leben des (unfreiwillig) frisch gebackenen Singles Johannes Seidel, der noch an einen guten Tag glaubt, weil es ihm gelingt, den Deckel seines Joghurtbechers in einem Stück abzuziehen, als ihn zwei schlechte Nachrichten ereilen: Das Architekturbüro, für das er mehr oder minder erfolglos arbeitet, will ihn als leitenden Mitarbeiter für mehrere Jahre nach Brasilien abschieben, und seine Mutter nervt wieder einmal mit einem ihrer gekränkt-weinerlichen Anrufe. "Es ist so furchtbar. Bitte, komm, bitte!", jammert sie ins Telefon - und Johannes macht sich auf dem Weg, wohl wissend: "Zu oft entpuppten sich ihre Hilferufe als irgendeine Hysterie, eine Empfindlichkeit, eine Banalität. Mit dem Wort Katastrophe geht sie inflationär um. Zu viel Regen, zu viel Sonne, zu viel Schnee, kein Schnee, alles wird als Katastrophe apostrophiert." Als er jedoch die einstmals "stolze, großgewachsene Frau, deren aufrechten, selbstbewussten Gang man immer bewundert hat", schließlich im Rollstuhl vorfindet, ist er schockiert und ahnt: "Nun wird er sich kümmern müssen. Mehr denn je. Nun hat es ihn auch erwischt."

Ebendies gleicht für Johannes einem Desaster, denn Zeit seines Lebens konnte er nie ein inniges Verhältnis zu seiner Mutter aufbauen. Stets habe die ältere Schwester Franziska im Mittelpunkt gestanden, die stellvertretend für die Mutter ein aufregendes Partyleben als Sängerin führen konnte, "das ihr [der Mutter] vor Augen führte, wie eng ihre eigene Welt immer gewesen war und was möglich war in einer anderen, glanzvollen Welt." Als Franziska 24-jährig, vollgepumpt mit Drogen aus einem Fenster stürzt und stirbt, lebt sie für die Mutter weiter. Nicht nur in den Bildern, die sie, gleich einem Altar, in ihrer Wohnung zu Hunderten aufhängt, sondern auch als unsichtbare Freundin, die sie stets in ihrer Gegenwart spürt und mit der sie sich oft unterhält. Die Liebe für den Sohn kommt dabei stets zu kurz und löst sich später beiderseitig sogar völlig in Luft auf.

Hier brilliert die Erzählung: in dem Fehlen von Liebe. Weder als Kindesliebe, Mutterliebe oder wahre Liebe wird ihr Gelegenheit gegeben, sich zu profilieren. Die Protagonisten schleichen darum wie hungrige Katzen um eine Beute, doch packt keiner zu. Es ist die Angst vor der Enttäuschung, vor der Erniedrigung, der Offenbarung einer Verletzlichkeit, die das Handeln der Figuren leitet und ihr Leben so lieblos gestaltet. Da wünscht der Sohn der Mutter lieber den Tod, als den Versuch zu unternehmen, das Handeln der einsamen, alten Frau zu verstehen. Und da vergleicht die Mutter den Sohn lieber mit dem trägen, alkoholsüchtigen Nazi-Vater, als offen zuzugeben, dass sie seine Hilfe braucht. Erst zum Ende, als Lisa endlich doch wieder "available" ist, scheint Hoffnung in Sicht, und Johannes erfährt mehr über seine Mutter als je zuvor. Das Problem der fehlenden Liebe lässt sich freilich nicht so schnell lösen, aber der Schritt in die richtige Richtung scheint getan.

Bis zu diesem Punkt, der die Erzählung schließlich doch lesenswert macht, ist es jedoch ein langer Weg, der leider oft mit merkwürdig-belanglosen Dialogen und Gedankengrübeleien gepflastert ist, die vor allem im Mittelteil schwer am Durchhaltevermögen zehren. Und letztlich wirkt auch die Geschichte um Johannes' verstorbene Schwester ein wenig arg übertrieben und verleiht Bernd Schroeders "Mutter & Sohn" einen Horror jenes skurrilen Touchs, ohne den das Buch vielleicht auch hätte besser leben können.


Titelbild

Bernd Schroeder: Mutter & Sohn. Erzählung.
Carl Hanser Verlag, München 2004.
165 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-10: 3446204660

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