Poet auf der Kanzel

Zum 85. Geburtstag des Dichters Kurt Marti

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Bei mir war das Schreiben eine Art Ausbruch aus der präformierten Sprache der Kirche und der Theologie", bekannte der Schweizer Kurt Marti in einem Interview. Als ihm im November vom Verlag der Deutschen Wirtschaft in Bonn der "Predigtpreis" verliehen wurde, musste er der Ehrung aus gesundheitlichen Gründen fernbleiben. Wie vor über 100 Jahren sein berühmter Landsmann Albert Bitzius, der unter dem Namen Jeremias Gotthelf in die Literaturgeschichte eingegangen ist, hat auch Marti über viele Jahrzehnte hinweg zwei Professionen ausgeübt: Pfarrer und Dichter.

Bei Marti, der 2002 mit dem Karl-Barth-Preis ausgezeichnet wurde, ist der eine Beruf ohne den anderen nicht denkbar gewesen. Als evangelischer Pfarrer in der Berner Nydegg-Gemeinde predigte er nicht nur die christliche Lehre von der Kanzel, sondern auch Zivilcourage und Anleitungen zur praktizierten Nächstenliebe. 1972 brachte ihn die unangepasste Querdenkerei in seinem Tagebuch "Zum Beispiel Bern" vor das Gericht, und als er im gleichen Jahr einen Wehrdienstverweigerer öffentlich verteidigte, wurde er in der Schweiz nicht nur als "Dreiviertelkommunist" beschimpft, sondern er musste auch auf einen in Aussicht gestellten theologischen Lehrstuhl verzichten.

1959 hatte Marti mit seinem zweiten Lyrikband (bis heute das bevorzugte Genre) "Republikanische Gedichte" für Aufsehen gesorgt, in dem er nachhaltig die Abkehr der Literatur vom Elfenbeinturm forderte: "Christliche Dichtung nicht im Museum, sondern an den Autostraßen." In seinen eigenen Werken hat Marti stets versucht, dieser Maxime gerecht zu werden - zuletzt im Lyrikbändchen "Zoé Zebra" (2004).

Mundartpoesie, Erzählungen, in denen der "kleine Mann" im Vordergrund steht; Liebes- und politische Lyrik und vor allem biblische, in die Gegenwart "verpflanzte" Sujets (zuletzt in "Im Sternzeichen des Esels", 1995) umfasst das Spektrum der Marti`schen Arbeiten. Vor fünf Jahren legte der Verlag Nagel und Kimche noch einmal die "Leichenreden" aus dem Jahr 1969 neu auf.

Durchaus repräsentativ für Martis Verbindung von Kunst und "aufklärerischer Nächstenliebe" heißt es darin: "als sie mit zwanzig / ein Kind erwartete / wurde ihr Heirat / befohlen. / als sie geheiratet hatte / wurde ihr Verzicht / auf alle Studienpläne / befohlen. / als sie mit dreißig / noch Unternehmungslust zeigte / wurde ihr Dienst im Hause / befohlen. / als sie mit vierzig / noch einmal zu leben versuchte / wurde ihr Anstand und Tugend / empfohlen. / Als sie mit fünfzig / verbraucht und enttäuscht war / zog ihr Mann / zu einer jüngeren Frau. / Liebe Gemeinde / wir befehlen zuviel / wir gehorchen zuviel / wir leben zu wenig." Peter Bichsel befand zur Neuauflage der Leichenreden: "Ich staune beim Wiederlesen, wie überraschend neu sie geblieben sind."

Kurt Marti, der am 31. Januar in Bern seinen 85. Geburtstag beging und der Georg Trakl und Arno Schmidt als seine bevorzugten Autoren bezeichnet, steht als unangepasster intellektueller Querdenker in der Tradition seiner verstorbenen Zeitgenossen Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt.


Titelbild

Kurt Marti: Zoé Zebra. Neue Gedichte.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2004.
91 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3312003474

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