Antisemitismus als anthropologische Grundkonstante?

Zur Neuauflage von Henryk M. Broders "Der ewige Antisemit"

Von Patrick EserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Eser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ende Januar 2004 kommt es in Hamburg auf einer antifaschistischen Demonstration, die einen Naziaufmarsch verhindern will, zu folgender kurioser Szene: an der Demonstrationsspitze kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen antifaschistischen Gruppierung und Einzelpersonen. Anlass der fliegenden Fäuste: entgegen der in der Demovorbereitung getroffenen Vereinbarung, das Tragen von Nationalfahnen zu unterlassen, reihen sich bestimmte Gruppierungen, Israel-Fahnen schwenkend, in die Demonstrationsspitze ein. Die Polizei muss eingreifen und die sich anfeindenden Gruppierungen auseinander treiben. Die bürgerlich-konservative "Welt" blieb in ihrer Berichterstattung über diese Ereignisse auf der Ebene der trügerischen, unmittelbaren Wahrnehmung stehen: Autonome prügelten auf junge Juden ein, die Israelflaggen gezeigt hatten.

Der Hintergrund dieser Auseinandersetzung ist jedoch ein anderer. Die offen zur Schau gestellte Solidarität mit Israel verweist vielmehr auf einen bewusst und offensiv artikulierten Positionierungsakt im innerlinken Spektrum. Letzteres hat in den vergangenen Jahren durch einen spezifischen Diskurs eine Ausdifferenzierung erfahren. Die Thesen und Argumente dieses Diskurses, die Anstoß für zunehmend polarisierende Debatten werden sollten, wurden schon in den frühen 80er Jahren entwickelt. Die Überlegungen Broders über den "ewigen Antisemitismus" spielten in diesem Zusammenhang auf dem journalistischen Feld eine bedeutende Rolle.

In den 90er Jahren spielt in innerlinken Auseinandersetzungen die Kritik der "deutschen Zustände" eine verstärkte Rolle. Anlass für diese Fokussierung sind der erstarkende deutsche Nationalismus, rassistische Ausbrüche und das Wiederaufleben antisemitischer Tendenzen. Es wird aber auch zunehmend die Einschätzung des Verhältnisses zu Israel thematisiert und, verstärkt nach 11/9 und dem Irak-Krieg, eine Debatte über eine - antisemitisch motivierte - vereinfachte Kritik an den USA geführt. Hinzu kommt eine offensiv geführte Auseinandersetzung mit dem politischen Islamismus. Aus diesen - vereinfachend dargestellten - stark polarisierenden Auseinandersetzungen hat sich schließlich eine gewisse Strömung herausgebildet, deren Hauptthema die Entlarvung weltweiter (und vor allem: linker) antisemitischer Tendenzen ist und deren politische Grundposition die uneingeschränkte Solidarität mit Israel ist, als dem in Reaktion auf den von Deutschen verübten Massenmord an dem jüdischen Volk gegründeten Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden. Diese sich "antideutsch" nennende Strömung hat mittlerweile in sämtlichen größeren deutschen Städten ihre Anhängerschaft und Gruppierungen gefunden und taucht hin und wieder mal, Israel-Fahnen-schwenkend öffentlich in Erscheinung. Was sich in den Augen der "Welt" am 30. Januar 2004 als eine direkte antisemitische Gewaltaktion darstellte, war vielmehr eine gewalttätige Manifestation dieser innerlinken Auseinandersetzung.

Das in diesem Jahr wieder aufgelegte Buch des Journalisten Henryk M. Broder, "Der ewige Antisemit", warf schon Mitte der 80er Jahre - es erschien zuerst 1986 - einige der Fragen und Problemstellungen auf, die in den 90er Jahren zunehmend auf die Tagesordnung der innerlinken Auseinandersetzungen kommen sollten.

Broders Analyse von "Sinn und Funktion eines beständigen Gefühls" (das des Antisemitismus) umfasst eine breite Darstellung vielfältiger Erscheinungsformen des Antisemitismus. Der Journalist handelt in mehr oder weniger systematisch gegliederten Kapiteln unterschiedliche Phänomenbereiche ab, in denen er seine grundlegende These, dass der Antisemitismus eine "anthropologischen Grundkonstante der abendländischen Kultur und Zivilisation" (und vor allem Deutschlands) sei, mit empirischen Befunden zu belegen versucht.

In groben Schritten geht er den antisemitischen Wurzeln in der geistesgeschichtlichen europäischen Moderne nach, von der Aufklärungsphilosophie und dem religiös motivierten Antisemitismus des Christentums bis hin zum linken, marxistischen Diskurs in seinen unterschiedlichen Schattierungen. Neben diesen allgemeineren historischen Rückblenden problematisiert er speziell die antisemitischen Tendenzen in der Geschichte der Linken: beginnend bei den Frühsozialisten über antisemitische Tendenzen bei Marx und den Theorien der frühen Sozialdemokratie bis hin zu marxistischen Erklärungsansätzen, die den Antisemitismus aus einer ökonomistisch verkürzten Perspektive analysieren. Broder konzentriert sich darüber hinaus auf den Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen im postfaschistischen Deutschland und den dort auftauchenden revisionistischen Tendenzen (die Relativierung und Verharmlosung der Shoah), und zwar vor allem vor dem Hintergrund der immer wieder auftauchenden deutschen Kritik am Staat Israel. Anhand zahlreicher Beispiele aus den zeitgenössischen politischen Debatten und vor allem aus denen der Linken versucht Broder antisemitische Neigungen zu entlarven, die sich im Nachkriegsdeutschland nicht mehr direkt, sondern unter dem Deckmantel des Antizionismus artikulieren. Begleitet wird diese dokumentierende Zusammenstellung der skandalösen Ereignisse aus der politischen Geschichte Nachkriegsdeutschlands von der Thematisierung und Analyse des Antisemitismus durch den deutschen sozialwissenschaftlichen Apparat. Ein letzter Themenbereich der Broder'schen Ausführungen ist schließlich die Darstellung und Analyse antizionistischer Rhetoriken und Politiken auf der Ebene der internationalen Politik.

Was Broder in dieser "tour d'horizon" durch den antisemitischen Dschungel gelingt, ist die Herausarbeitung der Funktionsweise eines gewissen antisemitischen Reflexes, der in unterschiedlichen geschichtlichen Kontexten in sehr angepassten Formen auftritt.

Interessant ist zum einen die Thematisierung und Problematisierung des "linken Antisemitismus", dessen Diskussion in den letzen Jahren in innerlinken Auseinandersetzungen eine gewisse Sprengkraft entfalten konnte. In diesem Punkt geht es ihm vor allem um die Problematisierung des weit geteilten "Unvereinbarkeitsbeschlusses" von "links" und "antisemitisch". Keineswegs sei der Antisemitismus ein Phänomen, das lediglich bei Konservativen und Rechtsextremen zu finden sei, sondern auch in der Linken. Broders Beweisführung geht in diesem Punkt von der kritischen Durchleuchtung unterschiedlicher Theorieansätze des marxistischen Diskurses und den Theorien der Arbeiterbewegung bis zum "antizionistischen Konsens" der außerparlamentarischen linken Strömung, der sich seit den 70er Jahren eingestellt hat und in der uneingeschränkten Palästinasolidarität als festem Bestandteil linker Positionierung seinen Ausdruck findet. Vor allem auf den letzten Punkt geht Broder verstärkt ein und versucht zu zeigen, wie das antizionistische Engagement der Linken von antisemitischen Ressentiments geleitet wird - was er durch skandalöse Zitate aus linken Flugblättern belegen kann. Hierzu greift Broder die These von Jean Améry auf, der zufolge der Antisemitismus im Anti-Israelismus oder Antizionismus wie das Gewitter in der Wolke enthalten sei. Im Antizionismus artikuliere sich ein allgemeines Missbehagen gegenüber den Juden - Antisemitismus im Gewande des Antizionismus.

Doch Broder beschränkt sich in seinem Unternehmen nicht nur auf die problematischen Einstellungen in der Linken, sondern liefert auch eine Darstellung antisemitischer Exzesse des bundesdeutschen politisch-öffentlichen Diskurses. Die Spezifik des Antisemitismus sieht Broder hier vor allem im revisionistischen Versuch, die Kollektivschuld der Deutschen an der Shoah zu relativieren oder gar zu bestreiten. Der deutsche Umgang ist dadurch charakterisiert, dass - Broder greift hier eine Bemerkung von Wolfgang Pohrt auf - die Deutschen sich in ihrem Verhältnis Israel gegenüber als Bewährungshelfer aufführen. Diese "große vaterländische Entlastungsoffensive" bestehe in der Projektion der eigenen kriminellen Geschichte auf deren Opfer. Broder analysiert die Logik dieses Entlastungsdiskurses, der zufolge im Israel-Palästina-Konflikt immer wieder neue Beweise für die Schuld der Juden gesucht und gefunden werden müssen. Die selektive Wahrnehmung der Konfliktparteien - der Palästinenser als Opfer und der Juden als Täter - ist Teil der entlastenden Projektion: Wenn die Opfer ihre Unschuld verlieren, kann der Täter endlich von seiner Schuld loskommen. Folgendes von Broder zitiertes Beispiel artikuliert diese Interpretationslinie und die Logik des Entlastungsdiskurses unverblümt: "Die Anerkenntnis unserer historischen Schuld und das Bestreben nach Wiedergutmachung darf nicht dazu führen, dass wir den Blick abwenden und zusehen, wie die Praxis des an den Juden begangenen Unrechts nun seinerseits an den Palästinensern wiederholt". Dieser vermeintlich harmlose und plausible Satz umfasst bei genauerer Beleuchtung folgende zwei Ideologeme: zum einen die Relativierung der historischen Einzigartigkeit der von den Deutschen in der Shoah begangenen Verbrechen und die skandalöse Vergleichbarkeit und Gleichsetzung der deutschen mit israelischen Verbrechen. Zum anderen die geschichtspolitische Fruchtbarmachung der eigenen kriminellen Geschichte: die Deutschen hätten aufgrund ihrer verbrecherischen Vergangenheit eine Pflicht zur internationalen, friedensstiftenden Intervention - auch wenn letztere hier noch lediglich auf den Israel-Palästina-Konflikt bezogen gedacht wird, was seit der deutschen Beteiligung am Kosovo-Krieg auch schon wieder hinfällig ist. Dass solche Deutungen sich nicht mehr nur, wie der zitierte Satz, in Examensarbeiten, sondern als sehr geläufige Sichtweisen (auch als regierungsoffizielle Version) im politischen Diskurs wieder finden, ist bemerkenswert. Die schon nahezu geschichtsphilosophisch hergeleitete Verpflichtung der Deutschen gegenüber dem Frieden gilt seit dem Schröder-Kabinett auf die ganze Welt bezogen. Die von Broder schon in den 80er Jahren geäußerte Skepsis gegenüber Sätzen, die mit "Gerade wir als Deutsche" anfangen und mit der "besonderen Verpflichtung gegenüber Frieden in der Welt" enden, hat sich als berechtigt erwiesen - wurde nicht zuletzt die deutsche Beteiligung an der Bombardierung Jugoslawiens von der sozialdemokratisch geführten Regierung gerechtfertigt vor dem Hinweis auf Auschwitz.

Neben diesem Aspekt der geschichtspolitischen Deutung der NS-Vergangenheit skizziert Broder anhand zahlreicher Beispiele, wie und nach welcher Logik sich antisemitische Äußerungen in öffentlichen Diskussionen artikulieren. Ein herausragendes Beispiel, das Broder anführt, sind die deutschen Reaktionen auf die Kritik des israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin, die dieser geäußert hatte, als der damalige deutsche Kanzler Helmut Schmidt von einer "besonderen deutschen Verantwortung" sprach. Die deutschen Reaktionen waren empört über die Anmaßung Begins, den deutschen Bundeskanzler zu kritisieren. Selbst Schmidts größter Konkurrent Helmut Kohl solidarisierte sich mit Schmidt und äußerte sich in einem drohenden Ton wie folgt: "Die Deutschen waren und sind keine Antisemiten. Wenn aber Herr Begin den Bundeskanzler und andere Deutsche beschimpft, erreichen sie es sehr bald, dass alle Deutsche Antisemiten werden". Diese Reaktion Kohls war nur die prominenteste weiterer heftiger Reaktionen aus Deutschland. Sie allesamt bilden nach Broder einen Teil des antisemitischen Reflexes, der sich in - vor allem deutschen - Diskussionen immer wieder manifestiert. Die Juden seien schließlich selbst daran schuld, dass der Antisemitismus ein ewiges Phänomen sei: "Es gibt Juden, die alles tun, um den Antisemitismus in Deutschland am Leben zu erhalten". Die Breite, in der solche Reaktionen in diesem konkreten Fall auftauchten, lässt Broder von dem ruhigen, festen Tritt der Volksgemeinschaft reden, die selbstverständlich von rechtsextremen Kreisen über den Chefredakteur des "Spiegel" bis weit hinein ins sozialliberale Milieu reiche. Das spezifisch antisemitische an diesen Reaktionen ist, dass gerade die von Juden artikulierte Kritik einen Reflex auslöst, der sich bei anderen Kritisierten nicht einstellt - ebenso wie von Juden begangene Taten oder Untaten besonders kritikwürdig sind, die, wären sie von anderen Tätern begangen, vielleicht nicht mal wahrgenommen worden wären.

Als kollektives Phänomen zeigt sich der Antisemitismus schließlich auch im Verlauf öffentlicher Diskussionen, in denen sich antisemitische Ressentiments mit zunehmender Tendenz immer freier und ungehemmter artikulieren. An zahlreichen öffentlichen Diskursen, in denen Israel Gegenstand war, zeigt Broder auf, wie im Sinne einer "Gleichschaltung" antisemitische Stimmungen entstehen, die, wenn sie erst einmal losgetreten sind, kaum noch zu bändigen sind. "Antisemitismus scheint anzustecken".

Ein weiterer zentraler Punkt der Broder'schen Ausführungen ist der eigenartige Umgang mit dem Staat Israel, dem "Juden unter den Staaten" (Leon Poliakov) auf der Ebene der internationalen Politik. Habe die "Judenfrage" schon immer einen Hang zum Universellen gehabt, so wurde nach Broder durch die Gründung des Staates Israel insofern etwas verändert, als der 'Kollektivjude' an die Stelle des 'Individualjuden' getreten sei - und zwar als eine organische Masse, die eine neue und ergiebige Projektionsfläche für den Antisemitismus liefere. Die Beweisführung auf dem Feld der internationalen Politik beginnt Broder mit der UN-Resolution Nr. 3379 vom 10. November 1975, in der folgender Satz auftaucht: "Der Zionismus ist ein Form des Rassismus und der rassistischen Diskriminierung". Die Disqualifizierung der zionistischen Idee und die Identifizierung des Zionismus mit Rassismus, wie es in Reden auf der UN-Ebene immer wieder geschehen ist (und geschieht), stellt Broder ausführlich dar. Vor allem die UN-Delegierten arabischer Länder übertrumpfen sich in den von Broder angeführten Reden mit antizionistischen und antisemitischen Äußerungen: "Das zionistische Gebilde muss wie ein Krebsgeschwür entfernt werden". Broder vermag durch zahlreiche Beispiele zu zeigen, wie das Existenzrecht Israels auf der höchsten Ebene der Diplomatie offensichtlich und freimütig in Frage gestellt wird.

Wie in der Darstellung der grundlegenden Aspekte der Broder'schen Ausführungen schon teilweise klar wurde, haben seine Beobachtungen und Sensibilisierungsversuche erschreckenderweise kaum an Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil: Führt man sich die geschichtspolitischen Diskussionen der letzten Jahre vor Augen, in denen sich die "Berliner Republik" durch Re-Interpretationen ihrer eigenen Geschichte eine neue Identität stiften will, wird klar, dass die kritischen Bemerkungen Broders fortgesetzt und aktualisiert werden müssen. Das von Broder festgestellte Unschuldigwerden der Täter von einst (und deren Nachkommen) durch eine Fokussierung auf die Verbrechen der Opfer (und deren Nachkommen) war nur der Beginn eines Identitätsstiftungsfeldzugs, der momentan an der Thematisierung der Deutschen als Opfer angelangt ist. Eine weitere Dimension der geschichtspolitischen Argumentation besteht in der Formierung einer selbstbewussten deutschen Nation, die vor dem Hintergrund der Aufarbeitung ihrer kriminellen Geschichte eine besondere Pflicht hat, eine "friedensstiftende" und aktive Außenpolitik zu betreiben. Das erste historische Beispiel für die deutsche Verpflichtung, Nachahmungsversuche des deutsch-faschistischen Gewaltexzesses zu verhindern, war die Beteiligung an der Bombardierung Jugoslawiens.

Dass auch in gegenwärtigen politischen Diskussionen antisemitische Töne nicht ausbleiben und sich jene im Verlauf von Diskussionen immer wieder verschärft artikulieren, ist auch in den letzten Jahren sichtbar geworden. Die Äußerungen Hohmanns, Möllemanns, Karslis etc. und nicht zuletzt auch der schon populär und gängig gewordene Vergleich Sharons mit Hitler liefern ausreichend neues empirisches Material für eine Fortsetzung der Broder'schen Beobachtungen.

Auch für den dritten Punkt, die antizionistischen Tendenzen auf der Ebene der internationalen Politik, fehlt es nicht an Aktualisierungen, machte doch gerade vor einigen Wochen der iranische Staatspräsident Mahmud Achmadineschad auf sich aufmerksam, als er die "Ausradierung Israels" forderte. Als staatlich organisierte Demonstrationen gegen Israel durch Teheran zogen verkündete der Staatspräsident, dass jeder der Israel anerkenne, im Zornesfeuer der islamischen Nationen verbrennen werde.

All diese Verweise auf die aktuellen antisemitischen Artikulationen in politischen Diskursen (antisemitisch motivierte Straftaten, die seit 2000 in Deutschland zugenommen haben, werden hier erst gar nicht hinzugezogen), hätten eine Aktualisierung der Broder'schen empirischen Beweisführung notwendig gemacht. Die im Buch wiedergegebenen zeitgenössischen Debatten, die größtenteils aus dem Zeitraum Mitte der 70er bis Mitte der 80er Jahre stammen, erscheinen vor dem Hintergrund der Diskussionen und Ereignisse aus den letzten Jahren etwas veraltet. Das Buch hätte wohl eher einen Fortsetzungsband als eine Neuauflage verdient. Abgesehen von diesem Nachteil - um den sich noch weitere kleinere Mängel scharen, z. B. Broders stark narzisstisch motivierte und in einem platzhirschartigen Stil geführte Auseinandersetzung mit dem konkret-Herausgeber Helmut Gremliza - ist "Der ewige Antisemit" ein bedeutendes historisches Dokument der politischen Diskussion der frühen 80er Jahre, das schon früh eine kritische Analyse antizionistischer Bewegungen betreibt und sie in ihrer antisemitischen Motiviertheit darstellt.

Auch wenn ohne Probleme weitere 320 Seiten mit journalistisch-feullietonistischen Untersuchungen über antisemitische Tendenzen im bundesdeutschen politischen Diskurs gefüllt werden könnten und damit die These von der "Ewigkeit", der Persistenz des Antisemitismus bestätigt zu werden scheint, sind doch gerade diese Thesen Broders abschließend doch noch zu kritisieren. Seine Ausführungen verlieren dort ihren kritischen Stachel, wo er naturalisierend vom Antisemitismus als einer anthropologischen Grundkonstante spricht. Hat Broder Recht, wenn er sagt, dass der Antisemitismus ein vitales und paradoxes Phänomen sei, das sich nahezu wissenschaftlichen Erklärungen entziehe, so ist es jedoch überzogen, wenn er den Antisemitismus als ein invariantes Gefühl darstellt - Broder zufolge ist Antisemitismus vergleichbar mit emotionalen Kategorien wie Hass, Neid und Eifersucht. Dieser pessimistischen und falschen Darstellung zufolge wäre jegliche rationale Argumentation und Aufklärungsarbeit gegenüber Antisemitismus zum Scheitern verurteilt. Der kategorische Imperativ Adornos, "Denken und Handeln so einzurichten, dass sich Auschwitz nicht wiederhole, nichts ähnliches geschehe", wäre vor dem Hintergrund der harten Thesen Broders obsolet.


Titelbild

Henryk M. Broder: Der ewige Antisemit. Über Sinn und Funktion eines beständigen Gefühls.
Berliner Taschenbuchverlag, Berlin 2005.
320 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3833303042

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