Weiße, Aleuten, Athabaskaner, Tlingits

Ein spannender, lebendiger Kriminalroman von Dana Stabenow

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Serien sind immer schön. Da kann man sich mit den Figuren anfreunden, man kann ihre Ticks und ihre nicht so netten Seiten kennen lernen, man kann vertraut mit ihnen werden. Und so verlegen sich vor allem Krimiautoren auf Serien. Natürlich auch aus wirtschaftlichen Gründen: Ist ein Team, ein Kommissar erst einmal eingeführt und sind die Helden lebendig geworden, will der Leser auch erfahren, wie es mit ihnen weitergeht. Schon gleich gar, wenn es so exotisch ist und in Alaska spielt.

Ausgerechnet Alaska. Auch von diesem fernen Land wissen wir wenig (manchmal zählen selbst die Amerikaner es nicht zu ihrem Land, sondern reden von Alaska und den "Lower 48"-Staaten). Und da wir Bücher auch lesen, um etwas über andere Länder, andere Sitten, andere Menschen zu erfahren, kommen uns die Romane von Dana Stabenow ganz gelegen. Stabenow schreibt über ihre Heimat, sie ist selbst in Alaska geboren (1952), wuchs zeitweise auf einem Fischkutter auf und lebt jetzt in Anchorage. Neben der Liam-Campbell-Serie gibt es von ihr noch eine Star-Svensdotter- und eine Kate-Shugak-Serie. Um den jetzt erschienenen 13. Band dieser letztgenannten Serie geht es hier. Kate Shugak, die allein lebende Hauptfigur, versucht, sich trotz grassierender Arbeitslosigkeit auf dem alaskanischen Land einen Aushilfsjob bei der Polizei zu verschaffen. Sie will die Assistentin von Jim Chopin, einem Alaska State Trooper, werden.

Denn das Leben ist nicht einfach in Alaska. Viele Jobs gibt es nicht, nicht für die Weißen, und die Ureinwohner haben es noch viel schwerer. Auch Kate Shugak, sie ist eine Aleutin, die mit ihrem halb Wolfs-, halb Huskyhund Mutt auf dem großen Gelände eines Nationalparks lebt. Im Park wohnen viele Einzelgänger, viele Sonderlinge, Trapper und Buschpiloten, Jäger, Fischer und Goldschürfer. Weiße, Aleuten, Athabaskaner, Tlingits. Das nächste Dorf heißt Niniltna, es liegt am lachsreichen Kanuyaq-Fluss, der in den Prince-William-Sound mündet. Ihre nächsten Nachbarn aber sind Grizzlys und Elche. So wohnen viele dort.

Keine heile Welt. Auch nicht im neuesten Band der Serie. Da findet der 14-jährige Johnny Morgan auf dem Ausflug seiner Schulklasse eine Leiche in einem Gletscher: Es ist der Einzelgänger Len Dreyer. Er war sehr gefragt, wenn man irgendetwas am Haus oder im Garten zu tun hatte, er war immer pünktlich und sehr zuverlässig. Aber ansonsten hielt er sich immer abseits. Zwar hatte er ein paar sexuelle Kontakte, aber weder eine richtige Freundin noch einen Freund.

Kate und Jim finden schnell heraus, dass Len Deyer nicht der war, der er zu sein vorgab. Er führte ein Doppelleben. Und noch viel schneller finden sie heraus, dass der Mörder auch vor weiteren Morden nicht zurückschreckt. Sein nächstes Ziel ist Kate Shugak selbst. Ihr Haus brennt ab, sie wird niedergeschlagen und lebendig begraben. Ein anderer Polizist, der beweisen will, dass er besser ist als Kate, stirbt.

Aber nicht nur der sehr spannende Fall und die geheimnisvolle Atmosphäre um diese unerwarteten Serienmorde machen das Buch zu einem page turner. Es sind vor allem die persönlichen und sehr menschlichen Geschichten, die den Roman lebendig und lesenwert machen. Da ist Kate, die Johnny aufgenommen hat, den pubertierenden Sohn ihres verstorbenen Liebhabers, und mit dem sie klarkommen muss. Sie selber hat den starken Wunsch nach Unabhängigkeit, nach Eigenständigkeit. Sie will beweisen, dass sie in der harten Umgebung durchaus auch alleine ihre Frau stehen kann. Aber sie hat auch Sehnsucht nach Zärtlichkeit, nach Liebe und nach Sex. Nach Jim Chopin. Und sie schafft es nicht, diese beiden sehr starken Gefühle unter einen Hut zu bringen. Auf der anderen Seite ist da Jim Chopin, der State Trooper, der plötzlich einen starken Beschützerinstinkt entwickelt und weder mit seinen noch mit Kates Gefühlen klarkommt. Und schließlich Johnny, der sich in ein Mädchen verliebt und Angst vor seiner richtigen Mutter hat, weil die immer mal wieder damit droht, ihn aus der alaskanischen Wildnis zu holen und Kate ins Gefängnis werfen zu lassen. Und da sind die vielen einzelgängerischen, seltsamen, aber auch nachbarschaftlichen, helfenden Menschen, die ihr Leben in einer kleinen Gemeinschaft führen, wo jeder jeden kennt oder zu kennen meint, und wo es dann doch immer wieder Überraschungen gibt. Romanzen und Streitereien, Liebesverhältnisse und Eifersucht, Selbstbewusstsein und Depressionen.

Geschrieben sind Stabenows Romane lebendig, klar und einfach. Keine philosophischen Ausflüge, keine sozialkritischen Überhänge. Ihre Sprache ist schlicht, geradlinig und ungekünstelt, aber immer sehr sicher. Sie treibt die Handlung voran, ohne sich zu überschlagen oder zu hetzen, sie lässt sich zwischendurch immer wieder Zeit, um ihre Charaktere zu entwickeln, sie in Diskussionen, Flirts, Alltagsunterhaltungen zu verwickeln. Eine Menge von Nebenfiguren stellt sie vor, aus deren wechselnden, sich kreuzenden Beziehungen sich aber nie ein Gestrüpp bildet, sondern immer nur ein kunstvolles, lebendiges Gebüsch. Durchsetzt mit klugen Kommentaren über die Alaskaner, die ein Völkchen für sich sind, verliert sich Stabenow nie in Stereotypen, immer bleiben oder werden ihre Figuren zu lebendigen Charakteren. Darüber hinaus spielt das Buch vor der wilden, schönen, harten, herausfordernden Kulisse des alaskanischen Buschs, eine Welt, in der wir verzärtelten Mitteleuropäer es bestimmt nicht länger als drei Wochen Urlaub aushalten würden.


Titelbild

Dana Stabenow: Das verleugnete Grab.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Barbara Schnell.
btb Verlag, München 2005.
384 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-10: 3442733057

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