Was kostet denn das?

Konsum - Konsumkritik - Kritik der Konsumkritik

Von Maik SöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maik Söhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit gut 100 Jahren sind sie da, die großen Warenhäuser, in denen man so gut wie alles kaufen kann. Der französische Schriftsteller Emile Zola nannte sie mal die "Kathedralen des Konsums". Sie gehören heute ganz selbstverständlich zu unserem Alltag. Ihre Warenpräsentation ist subtil und aufdringlich zugleich, manchmal fasziniert sie uns, und manchmal stößt sie uns ab. Längst schon hat sich die Welt des Konsums weit über die Kaufhäuser hinaus ausgebreitet. Die Architektur nimmt Rücksicht auf sie, die Kunst versucht, ihre Widersprüche auszustellen, der Sport hat einige seiner Besten in wandelnde Werbeträger verwandelt. Zu Hause studieren wir Angebote oder bestellen, was wir zu brauchen glauben, gleich online. Anschließend gehen wir zu einer Lesung, die heute mal im Kulturkaufhaus stattfindet. Und das befindet sich in einer Shopping Mall.

Es reicht. Das meint zumindest Kalle Lasn, der Gründer des konsumkritischen "Adbusters Magazine", in seinem Buch "Culture Jamming": "Marken, Produkte, Moden, Stars, Unterhaltung - Spektakel, die entfernt zur Produktion der Kultur gehören, sind heute unsere Kultur. Unser Part erschöpft sich darin, zuzusehen und zuzuhören - um anschließend richtig shoppen zu gehen." Besonders schlimm ist es nach Ansicht des in Kanada lebenden Lasn in den USA, die er nur noch "America TM" (TM für Trademark) nennt, weil sie von Konzernen unterwandert worden seien. "Amerika ist kein Land mehr. Es ist eine Multi-Milliarden-Dollar-Marke."

Lasn meint zu wissen, was zu tun ist, damit wir Bewohner der westlichen Welt endlich aufhören, nur langweilige Shopper zu sein. Seine Gegenstrategie heißt wie sein Buch: "Culture Jamming". Darunter versteht er alles, was dazu beitragen kann, den Konsum unbeliebt zu machen: "rebranding" (durch Aufklärung und Gegenwerbung ein positives Markenimage attackieren und umcodieren), Konsumboykott (er ist zufällig auch der Erfinder des "Buy Nothing Day"), "downshifting" ("bewusst einfach leben" - weniger arbeiten und kaufen). Lasn ist überzeugt, dass "Culture Jamming" gesellschaftlich so bedeutend werden kann wie der Feminismus in den 70er oder die Umweltbewegung in den 80er Jahren: "Wir schlagen zu, in dem wir America TM die Marken madig machen, indem wir einen Widerstand organisieren gegen das Machtmonopol, dem die Marke gehört. Wir werden die Moden und die Stars von Brand America TM weniger cool machen."

"Cool" - das ist für Lasn das Allerletzte. Er bezeichnet den Begriff als "hochgradig manipulatives Konzernethos" und als vermarkteten Konformismus. Von den Werbesoldaten des "Coolheitsfaschismus" unter Dauerbeschuss genommen, taumeln wir Konsummaschinen ins nächste Kaufhaus und packen die Wagen und Taschen voll. Sowohl sein Workshop für Culture Jammer als auch sein Manifest zielen deshalb darauf ab, die Markencoolness durch eine neue Ernsthaftigkeit und das Konsumentendasein durch ein "authentisches" Leben zu ersetzen. Das ist problematisch. Denn was ist am Leben schon authentisch, also echt oder unverfälscht? Ist es nur derjenige, der sein Gemüse selbst anbaut - während derjenige, der es im Supermarkt kauft, unauthentisch ist? Diese Vorstellung ist so albern wie Lasns boykottverliebter Satz: "Jedes Mal, wenn man die Packung Maxwell Kaffee wieder ins Regal zurückstellt, ertönt die Glocke der Freiheit."

Hier setzt zu Recht die Kritik der - ebenfalls kanadischen - Autoren Joseph Heath und Andrew Potter ein. In ihrem Buch "Konsumrebellen" rechnen sie mit der Gegenkultur ab, zu der auch die "Culture Jammer" gehörten. Sie stellen fest, dass konsumkritische Bücher ("No Logo!", "Luxury Fever"), Zeitschriften ("Adbusters") und Filme ("Fight Club", "American Beauty") sich seit Jahren großer Beliebtheit erfreuen. "Was können wir daraus entnehmen? Zunächst einmal, dass der Markt offenbar bestens funktioniert, indem er sich auf die Konsumentennachfrage nach konsumkritischen Produkten und Schriften einstellt." Und daran seien die Gegner der Konsumkultur mitschuldig. Denn das, was sie bekämpfen, werde noch gestärkt, weil all "die Autoren, Herausgeber und Regisseure das Wesen der Konsumgesellschaft nicht begriffen haben. Sie identifizieren Konsumkultur mit Konformismus. Und so entgeht ihnen, dass der Markt schon seit Jahrzehnten nicht dem Konformismus gehorcht, sondern der Rebellion."

Den Konzernen und der Werbung gehe es eben nicht um die Gleichschaltung der Konsumentenbedürfnisse, sondern im Gegenteil darum, ihr Produkt von anderen abzuheben. Der moderne Kapitalismus rufe eben keinen Bedürfnis- und Konsumzwang hervor, sondern allenfalls eine Konsumkonkurrenz. Um sich von den Nike-Turnschuhträgern abzuheben, kauften immer mehr Leute den Black-Spot-Sneaker, diese von "Adbusters" vertriebenen markenlosen Schuhe, die dadurch zur Marke der "Culture Jammers" schlechthin wurden. Vermutlich tragen bei der nächsten großen Demo zigtausende Nonkonformisten die gleichen Treter.

Heath und Potter wollen nicht gegen Konzerne, Marken und Werbung ankämpfen. Sie fordern mehr staatliche Eingriffe und mehr Regeln, wo wirtschaftliche Macht gefährlich zu werden drohe und wo offensichtlich manipuliert werde. Wenn mehr Menschen über hohe Medienkompetenz und ein ausgeprägtes kulturelles Bewusstsein verfügten, habe Werbung so gut wie keine Chance. Nicht Widerstand, sondern Bildung werde gebraucht, um zu begreifen, was "Konsumdenken" bedeutet: Davon besessen zu sein, "immer mehr Konsumgüter zu erwerben, obwohl dafür in anderen Lebensbereichen unsinnige Opfer" gebracht werden müssen.

Seit es die großen Kaufhäuser gibt, also seit gut 100 Jahren, entsprechen wir nicht den manipulierten Kaufrobotern, die Lasn in uns sieht. Wir brauchen aber auch nicht, wie Heath und Potter es fordern, "mehr Uniformität und mehr Ordnung". Wir haben die Wahl. Wir können uns informieren. Wir können uns entscheiden: shoppen zu gehen oder es sein zu lassen. Um beides sollte man jedenfalls nicht so ein großes Trallala machen.

Anmerkung der Redaktion: Der Text erschien zuerst Ende November auf http://www.fluter.de. Wir danken dem Autor für die Publikationsgenehmigung.


Titelbild

Christoph Grunenberg / Max Hollein (Hg.): Shopping. Kunst und Konsum im 20. Jahrhundert.
Hatje Cantz Verlag, Ostfilden-Ruit 2002.
269 Seiten, 39,99 EUR.
ISBN-10: 3775712135

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Kalle Lasn: Culture Jamming. Die Rückeroberung der Zeichen.
Übersetzt aus dem Englischen von Tin Man.
Orange Press, Freiburg 2005.
240 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3936086222

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Titelbild

Joseph Heath / Andrew Potter: Konsumrebellen. Der Mythos der Gegenkultur.
Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Laugstien.
Rogner & Bernhard Verlag, Berlin 2005.
432 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3807710086

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