Der Gejagte

Einblick in Leben und Werk Heinrich Heines

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Harry Heine, der sich später Heinrich Heine nannte, seinen Vater nach seiner Herkunft befragte, erhielt er zur Antwort: "Dein Großvater war ein kleiner Jude und hatte einen großen Bart." Als Harry diese Mitteilung am Tag darauf an seine Mitschüler weitergab, brach ein großer Tumult aus, ein wahres "Höllenspektakel", wie der Dichter die Reaktion in seinen Erinnerungen später beschrieb, das ihm zu guter Letzt selbst noch vom Lehrer angekreidet wurde. Dieses Höllenspektakel hat Heine sein Leben lang begleitet, von Eduard Mörikes Verdammung "der Lüge seines ganzen Wesens" und Karl Kraus' Verdikt "So war er ein Talent, weil kein Charakter" bis hinein in unsere Zeit. Dabei galten die Prügel, die er auch später bezog, nachdem er zu Ruhm gekommen war, oft nicht so sehr dem Dichter, sondern dem Juden Heine. "Meine Ahnen gehörten [...] nicht zu den Jagenden, viel eher zu den Gejagten", behauptete er nicht von ungefähr.

Wie sehr der Dichter Heinrich Heine nicht nur Zeit seines Lebens die Gemüter, im Positiven wie im Negativen, bewegt hat, beschreibt Christian Liedtke, Mitarbeiter am Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut, in seiner Monografie anschaulich und lebendig. Er leuchtet seinen Werdegang und sein Œuvre detailliert und gründlich aus und räumt zugleich mit manchen früheren Irrtümern auf.

Laut Liedtke verkörperte Heine den modernen Typus des engagierten Dichters, der bloße Gesinnungsliteratur ohne ästhetischen Anspruch ebenso entschieden ablehnte wie jede elitäre, auf sich selbst bezogene Kunst, "die auf einem sozialen Isolierschemel steht".

Heine verfasste scharfe sozialkritische Gedichte - man denke nur an "Die schlesischen Weber" oder an "Deutschland, ein Wintermärchen" - und die bedeutendste Liebeslyrik seiner Zeit. Die einen bevorzugten den poetischen Autor und beargwöhnten den politischen, der angeblich "die Poesie in die Niederungen der Politik" hinabzog. Andere warfen dem politischen Autor vor, er jage, "auf dem Schlachtfeld nach Schmetterlingen". Liedtke geht auch auf die literarischen und politischen Auseinandersetzungen von Heines Zeit ein, auf die großen historischen Veränderungen, die sich in seinem Leben und seiner Dichtung so deutlich wie bei kaum einem anderen widerspiegeln, und weist darauf hin, dass der Dichter die Widersprüche der Gesellschaft selbst in seinen Liebesgedichten sichtbar gemacht habe. Doch oft wurden diese nur als Verarbeitungen persönlicher Liebeserlebnisse verstanden.

Den Druck der damaligen preußischen Verhältnisse spürte Heine schon während seiner Berliner Studienzeit. Wurde doch die Universität in der Zeit der Restauration besonders scharf bewacht. Verhaftungen von Burschenschaftern waren durchaus an der Tagesordnung.

Mit den Judentum fühlte sich Heine nicht so sehr durch den jüdischen Glauben, sondern vor allem durch die jüdische Geschichte verbunden. Zu Heinrich Laube sagte er einmal: "Wie kann ich aus meiner Haut, die aus Palästina stammt, und welche von den Christen gegerbt wird seit achtzehnhundert Jahren!"

Mit seiner "im subjektivisten Styl" geschriebenen Harzreise, mit der er erstmals gegen die ästhetischen Normen der Kunstperiode Goethes und Schillers verstieß, gelang Heine der Durchbruch als zeitkritischer Prosaautor. Zwischendurch machten ihm immer wieder Krankheit und Geldsorgen zu schaffen. 1827 lernte Heine Ludwig Börne kennen und bildete mit ihm eine kurze Zeitlang lang, zumindest in den Augen einiger seiner Zeitgenossen, ein ähnliches Gespann wie dreißig Jahre zuvor Goethe und Schiller. Später kam es zu heftigen Zerwürfnissen, die Hans Mayer als Kampf zweier Außenseiter der restaurativen Gesellschaft interpretiert.

Ab 1831 wohnte Heine in Paris. Für ihn war die Stadt an der Seine "das neue Jerusalem" und der Rhein "der Jordan, der das geweihte Land der Freiheit trennt von dem Lande der Philister." Im Unterschied zu den meisten Pariser Emigranten gelang Heine die Integration mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit. "Kaum ein anderer ausländischer Schriftsteller hat je eine solche Anerkennung und Aufnahme in Frankreich gefunden, wie Heine."

Von 1840 bis 1843 erscheinen Heines "Berichte über Politik, Kunst und Volksleben" - so lautet später der Untertitel zu "Lutetia". Es entstehen das Versepos "Atta Troll. Ein Sommernachtstraum", und "Deutschland. Ein Wintermärchen".

Am Ende seines Lebens vollzieht Heine einen, durch seine Krankheit bedingten religiösen Wandel. Obwohl er die letzten Jahre in der "Matratzengruft" zubringen musste, war er bis zuletzt voller Schaffenskraft. Auf der einen Seite lassen ihn viele im Stich, auch seine "revolutionären" Freunde. Etliche Rezensenten weisen Heines Spätwerk, in dem er von seinen Gebresten und religiösen Zweifeln spricht, als anachronistisches Ärgernis von sich. "Wir sind ungern hart gegen einen Leidenden, besonders gegen einen Dichter der Märchen aus alten Zeiten", heißt es in einer Rezension. "Doch verdient Heine der Schonung nicht, denn mit echt semitischer Spürkraft hat er auf das Mitgefühl des Publikums einen Wechsel gezogen. Wie kann das Mitleid aufkommen, wo der Ekel uns überwältigt."

Gleichwohl kann sich Heine über Einsamkeit nicht beklagen. Er bekommt viel Besuch in seiner "Matratzengruft" und fühlt sich mitunter gequält von Besuchern aus aller Welt.

Bis zuletzt arbeitete er emsig und war noch in seinem Todesmonat, im Februar 1856, mit der Korrektur von Druckfahnen beschäftigt.

Heinrich Heine starb am 17. Februar 1856 und wurde drei Tage später auf dem Pariser Friedhof Montmartre beigesetzt.

Nach Goethes Tod war er der erste deutsche Dichter, "der - bereits zu Lebzeiten - weltliterarischen Rang erlangte und dessen Ruhm sich doch erst in der ganzen Welt verbreitete, bis er schließlich auch wieder seine 'deutsche Heimat, Land der Rätsel und der Schmerzen', erreichte", lautet Christian Liedtkes Resumee.

Wer sich in seine gut lesbare Darstellung vertieft, die wie bei dieser Reihe üblich, viele Selbstzeugnisse und Bilddokumente enthält, der bekommt einen guten Einblick in Leben und Werk des Schriftstellers Heinrich Heine.


Titelbild

Christian Liedtke: Heinrich Heine. Biographie.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005.
200 Seiten, 8,50 EUR.
ISBN-10: 3499506858

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