Zwischenzeiten, Zwischenwelten

Heinrich Heines Lachen

Von Ralf SchnellRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ralf Schnell

Man kann Gedanken zu Heines Lachen kaum angemessener einleiten als durch das Zitat eines Gedichts aus dem "Buch der Lieder", das beispielhaft für dieses Thema steht:

"Sie saßen und tranken am Teetisch,
und sprachen von Liebe viel.
Die Herren, die waren ästhetisch,
Die Damen von zartem Gefühl.

Die Liebe muss sein platonisch,
der dürre Hofrat sprach.
Die Hofrätin lächelt ironisch,
Und dennoch seufzet sie: Ach!

Der Domherr öffnet den Mund weit:
Die Liebe sei nicht zu roh,
Sie schadet sonst der Gesundheit.
Das Fräulein lispelt: Wie so?

Die Gräfin spricht wehmütig:
Die Liebe ist eine Passion!
Und präsentieret gütig
Die Tasse dem Herrn Baron.

Am Tische war noch ein Plätzchen;
Mein Liebchen, da hast du gefehlt.
Du hättest so hübsch, mein Schätzchen,
Von deiner Liebe erzählt."

Das Gedicht bezieht seine erotische Faszination aus einer hochmodernen Brechung der Liebesthematik, auch des melancholisch-desillusionierten Liebesmotivs in der Tradition Francesco Petrarcas, die in Heine ihre bedeutendste Fortsetzung in der deutschsprachigen Lyrik gefunden hat. Es geht nicht eigentlich um Liebe, sondern es geht um den Diskurs über Liebe. Nicht: Was ist Liebe? Sondern: Wie spricht man über Liebe? lautet die Frage. Heine arbeitet mit indirekten Spiegelungen, mit einer Art von Interdiskursivität der Liebe, die als Medium der Gesellschaftskritik und der Gesellschaftskonturierung be- und genutzt wird, in Form von männlichem und weiblichem Rollenverhalten. Hierzu tragen die Charakterisierungen der Figuren durch ihre Sprechweisen ("Sie muss sein platonisch, der dürre Hofrat sprach") ebenso bei wie durch ihr Verhalten ("Die Hofrätin lächelt ironisch/ Und dennoch seufzet sie: Ach!") Die Spitzen und die Stützen der Gesellschaft - sie werden kritisiert durch die Sprache, die sie für die Liebe haben. Die Gräfin spricht "wehmütig", wie jemand also, dem etwas fehlt, der eine Sehnsucht hat, "Die Liebe ist eine Passion", sie weiß, wovon sie spricht, denn sie leidet, "Passion" bedeutet bekanntlich Leiden und Leidenschaft, "Und präsentieret gütig", also wohl auch begütigend, "die Tasse dem Herrn Baron", der offensichtlich Ziel ihrer Sehnsucht und Anlass ihrer Wehmut ist. All dies wird von Heine nicht geschildert, sondern in Form von diskursiven Zuschreibungen ausgedrückt, einschließlich der Pointe, welche die Schlussstrophe bildet: "Am Tische war noch ein Plätzchen; mein Liebchen, da hast du gefehlt. Du hättest so hübsch, mein Schätzchen, von deiner Liebe erzählt. Du hättest" - Konjunktiv II. Es ist aber das Liebchen nicht da, und es erzählt auch nicht von seiner Liebe. Heine belässt diesen Diskurs im Potential seiner Möglichkeitsform, wir können auch sagen: im Irrealis. Es hätte gewesen sein können - die Geliebte ist aber nicht da. Die Liebe, von der sie hätte erzählen können, geht nicht im allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs auf. Ein scharfsinnig und scharfsichtig gearbeitetes Gedicht, eine poetische Analyse und ein analytisches Poem, das prägnant die verlogene gesellschaftliche Maske zeigt, das Begehren, das hinter ihr steht, wenn nicht lauert, und ebenso die Verdrängungen, die in dieser Gesellschaft im Universum der Liebe wirksam sind.

Gewiss sind in solchen Gedichten auch Heines Erfahrungen enthalten. Er hat einmal gesagt: "Aus meinen großen Schmerzen mach ich die kleinen Lieder." Aber man darf das nicht mit der empirischen, biografischen Figur Heine verwechseln. Es ist immer wieder versucht worden, mit den Gedichten Zuordnungen zu treffen zu Liebesbegegnungen Heines - ein absurdes und aussichtsloses Unterfangen. Heine hat die Liebesbegegnungen, die er in der Wirklichkeit gehabt haben mag, als Erfahrungssubstrat, als Substanz und Nährboden genutzt, um daraus seine "kleinen Lieder" zu entwerfen, aber eben doch Gedichte, Kunst-Stücke im wörtlichen Sinn dieses Wortes, wie auch unser nächstes Beispiel zeigt. Auch hier geht es wieder um Liebe, auch hier in einer abermals anderen Form, die wiederum ihren eigenen Reiz hat:

"Die Jahre kommen und gehen,
Geschlechter steigen ins Grab,
Doch nimmer vergeht die Liebe,
Die ich im Herzen hab.

Nur einmal noch möchte ich dich sehen,
Und sinken vor dir in Knie,
Und sterbend zu dir sprechen:
Madame, ich liebe Sie!"

Ein kunstvolles Spiel mit dem Verhältnis von Ich und Du. Die innere Anrede ist in der Du-Form gehalten, die Nähe herstellt. Doch die Begegnung selber mit diesem Kniefall, dem Ausdruck der Verehrung, dem Ausdruck der eigenen Unterwürfigkeit - all das wird mit dem Sie gefasst. Eine ironische Brechung der Liebesnähe, gleichzeitig doppelter Ausdruck der Verehrung. Und zugleich wird hier wieder das petrarkische Motiv der Unerreichbarkeit, der Unerfüllbarkeit und der Vergänglichkeit aller Liebe angesprochen.

Damit bin ich bei dem einen meiner beiden Stichworte: Zwischenzeiten. Das soll heißen: Heine befindet sich in einer transitorischen Position. Seine Zeit - das ist jene Epoche, die man nach dem Ereignis der März-Revolutionen von 1848 benannt hat, die Epoche des 'Vormärz'. Was diese Epoche politisch und ideengeschichtlich auszeichnet, ist das Aufbegehren, der Veränderungswille, der Freiheitsdrang, der politische Liberalismus, die Einheit der Nation - und in diesem Zusammenhang der Spezialfall des Jungen Deutschland, ein Begriff, der von dem Schriftsteller und Publizisten Ludolf Wienbarg stammt, aus einem Buch mit einer Reihe von Vorlesungen unter dem Titel "Ästhetische Feldzüge". Das Buch trägt den Untertitel "Dem jungen Deutschland gewidmet", und es trägt eine Zueignung, die lautet: "Dir, junges Deutschland widme ich diese Reden, nicht dem alten." Die Autoren des Jungen Deutschland - unter ihnen Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Georg Herwegh, Ferdinand Freiligrath, Heinrich Hoffmann von Fallersleben - sind zwischen 1810 und 1820 geboren. Sie sind explizite Vertreter einer selbsternannten Moderne. Kunst und Literatur stehen für sie im Kampf, sie dienen ihnen als Waffen: Dieser Impuls bildet die Gemeinsamkeit jener Autoren, die man zum Jungen Deutschland rechnet, er ist es auch, der 1835 zum Verbot durch die Bundesversammlung führt. Heinrich Heine gilt als führende Persönlichkeit dieser Gruppe, doch mit nur begrenztem Recht. Er hat zwar Teil an ihr. Doch politisch, philosophisch, intellektuell und auch als biografische Person bündelt er all das, was an Impulsen des Aufbruchs in dieser Zeit virulent ist, in sich - und ragt eben deshalb über das Junge Deutschland wie über seine Zeit hinaus, Leitfigur und Außenseiter in einem - in der Tat ein "Jahrhundertkerl", wie Kurt Tucholsky ihn gelegentlich genannt hat.

Möglich wird diese Ausnahmestellung freilich erst dadurch, dass Heine auch literaturgeschichtlich eine Zwischenzeit repräsentiert - jedoch gerade nicht durch die politischen, philosophischen oder ideengeschichtlichen Gehalte seiner Dichtung, sondern durch ihre Form. "Das Buch der Lieder", aus dem die beiden eben zitierten Gedichte stammen, ist Heines zweite große Begegnung mit der Romantik. Früh schon, in seiner Zeit als Student in Bonn, hat er einen hochfahrenden Essay geschrieben mit dem anspruchsvollen Titel: "Die Romantik". Heine arbeitet darin vor allem die scharfe Konturierung der Figuren, die Fülle der Lebendigkeit aller Lebensbeziehungen heraus, die in der romantischen Dichtung geschildert werden. Ein Essay, der originell im Denken ist, wenn auch nicht immer haltbar in den Aussagen, und der vor allen Dingen zeigt: Heine will auch als Theoretiker, als Denker und als Programmatiker, in eigener Sache also, an die Öffentlichkeit treten. "Das Buch der Lieder" nun bietet die Probe aufs Exempel. Es erscheint 1827 und versammelt eine Vielfalt von Gedichten, die zum Teil schon seit Anfang der 1820er Jahre geschrieben und auch publiziert worden waren. Es repräsentiert nicht eine einheitliche Sammlung, sondern besteht aus mehreren Zyklen, die in sich wieder durch eine - nicht unbedingt einheitliche, sondern bewegte - Struktur und Dynamik zusammen gehalten werden. Die zyklische Komposition ist nicht Heines Erfindung. Er hat sie bei Goethe vorgeprägt gefunden, im "West-östlichen Diwan", jener Sammlung von Gedichten, in der Goethe die zyklische Kompositionsform zum Gliederungsprinzip eines ganzen Bandes gemacht hat. Und Heine hat sich durch Goethe auch zum Titel seines Gedichtbandes anregen lassen, denn im "West-östlichen Diwan" findet sich ein Zyklus mit dem Titel "Buch der Liebe".

Ausgangspunkt für Heines lyrische Sprache ist das Formarsenal der Romantik: Clemens Brentano, Achim von Arnim, die Liedersammlung "Des Knaben Wunderhorn", vor allen Dingen auch Joseph von Eichendorff. Heine nimmt die Motive der Schauerromantik, die Liebesthematik, die Landschaftsimpressionen auf, er bedient sich der romantischen Formenvielfalt: Lieder, Romanzen, Sonette. Traumbilder, Heimkehr, die Nordsee bilden einen großen thematischen Bereich, die Wellen, das Meer, die wilde, ungebärdige Natur. Heine mischt Formen des Volksliedes, wie wir sie aus dem "Wunderhorn" kennen mit epigrammatischen, also lehrhaften, spruchartigen Gedichten. Er mischt Hymnen und Balladen, reimlose Verse und rhythmisch freie Verse. Kurz: Heine zieht im "Buch der Lieder" alle Register, deren er zu dieser Zeit fähig ist, sehr traditionsbewusst und zugleich auf eine höchst moderne Weise. Es ist der bedeutendste Beitrag zur deutschsprachigen Lyrik im 19. Jahrhundert, ein Schritt in die Moderne. Heine bricht als erster mit dem gesamten Formenarsenal der bis dahin entwickelten lyrischen Literaturgeschichte. Er setzt dieses Formenarsenal voraus, er kennt es gut, er hatte viel gelesen und viel gelernt. Doch er nimmt die Tradition in dem Wissen auf, sie nicht fortsetzen zu können. "Mit mir ward die alte deutsche Schule der Dichtkunst geschlossen und eine neue ward eröffnet" - so beschreibt Heine treffend seine Funktion des Übergängers von der alten Epoche der Lyrik, der Kunstperiode, wie er an anderer Stelle, im Blick auf Goethe, sagt, hin zu einer Zeit, die neue Erfahrungen in sich aufnehmen muss: die Erfahrungen ihrer Zeit - und das heißt: Störungen, Brechungen, Widersprüche. Das alte, klassisch-romantische Motivarsenal ist nicht mehr zu halten - oder in Heines Worten: "Doch Lieder und Sterne und Blümelein und Äuglein und Mondglanz und Sonnenschein, wie sehr das Zeug auch gefällt, so macht's doch noch lang keine Welt." Was bei Eichendorff noch als Zwielicht enthalten ist - Sehnsucht, Stimmung, die immer wieder beide Bereiche, Ich und Natur, aufeinander verweist -, findet sich bei Heine zerschlagen und zerbrochen. Die Sehnsucht nach der Einheit, nach der Verschmelzung von Ich und Natur bleibt erhalten. Doch bei Heine wird deutlich: Sie ist nicht mehr zu stillen.

Diese Spannung ist es, der Heines Lachen entspringt. Dieses Lachen lässt sich kaum mit einer der bekannten Theorien des Lachens erschließen, die uns von Thomas Hobbes über Henri Bergson und Sigmund Freud bis zu Helmut Plessner und Michail Bachtin überliefert sind. Heines Lacherzeugungstechnik lässt sich weder in anthropologischen Kategorien fassen noch kann man sie - zumindest nicht zureichend - über die Kategorien der "Verdichtung" oder "Ersparnis" (Freud) erschließen, und auch die karnevalesk-subversive Funktion der Literatur bietet kein schlüssiges Kriterium. Vielmehr arbeitet Heines Form der Lacherzeugung mit einem Mechanismus, den ich als "Technik der Lücke" bezeichnen möchte. Eine Technik, die mit der spannungsreichen transitorischen Position Heines aufs engste zusammenhängt. Kombiniert, vielleicht kann man sagen: montiert werden zwei Komponenten, die zueinander nicht kommen, die miteinander nicht kommunizieren können, weil sie einander nicht kongruent sind. Das Lachen, das durch diese Inkongruenz erzeugt wird, entspringt der Lücke, die zwischen den unvereinbaren Komponenten besteht. Die Voraussetzung, diese Lücke zu konstruieren, bildet eine poetische Distanznahme. Sie spart aus, was zu sagen wäre, und eröffnet auf diese Weise Spielräume der Ironie, die auf intelligente Leser rechnen.

Und damit bin ich bei meinem anderen Stichwort: Zwischenwelten. "Das Buch der Lieder" bietet im Grunde alle Motive dessen, was man "Heines Lachen" nennen kann. Doch Heines zweiter großer Gedichtband mit dem Titel "Neue Gedichte" der im Pariser Exil erscheint, zeigt, wie bedeutend der neu gewonnene soziale Kontext seine weitere Entwicklung prägt. Heine hat hier Gedichte zusammengetragen, die schon zum Teil in den 1830er Jahren veröffentlicht worden sind, einzeln in Zeitschriften und Zeitungen. Man muss dennoch sagen, der Titel ist nicht ganz falsch gewählt, denn in der Tat komponiert Heine hier neue Elemente, die über das "Buch der Lieder" hinaustragen. 1844 - das heißt: 17 Jahre sind vergangen zwischen dem ersten Erscheinen des "Buchs der Lieder" und dem Band "Neue Gedichte". Worum es Heine hier vor allen Dingen geht, das ist eine veränderte Funktionsbestimmung seiner Lyrik. Heine hat die Jahre zwischen 1827 und 1844 damit verbracht, die politischen Entwicklungen seiner Zeit zu kommentieren. Er hat aus Paris berichtet, hat in deutschen Zeitungen veröffentlicht, hat seine großen Essays geschrieben - "Die romantische Schule" und "Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland" -, beide Mitte bzw. Ende der 1830er Jahre erschienen. Und er hat in dieser Zeit kaum Lyrik produziert. Den Grund hierfür nennt er in einer Neuausgabe des "Buchs der Lieder" von 1837: "Es will mich bedünken, als sei in schönen Versen allzu viel gelogen worden und die Wahrheit scheue sich, in metrischen Wanden zu erscheinen." Man hört die Vorbehalte gegenüber einer Dichtung, die nur Metrum, Reim, Versform kennt, die gleichsam die Wirklichkeit verklären, verschönen könnte, in einer Zeit, die sich ihrerseits in Prosa ausdrückt. Deshalb wählt Heine in den 1830er Jahren die Form des Essays, die Form der Reportage, die Form der Chronik, um Einfluss zu nehmen auf seine Zeit. In seinem Vorwort zur Neuausgabe des "Buchs der Lieder" von 1837 heißt es weiter: "Die poetische Flamme, die einst in brillanten Feuerwerkspielen die Welt ergötzte, sie musste plötzlich zu weit ernsteren Bränden verwendet werden."

Warum aber dann Anfang der 1840er Jahre ein neuer Gedichtband? Wir befinden uns in dieser Zeit, um 1840, in der sogenannten Rheinkrise, eine alte Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Frankreich. In dieser Zeit sah man in Deutschland den Rhein durch Frankreich abermals bedroht, und es fand sich eine Reihe mediokerer Poeten, die in Form von Rheingedichten den deutschen Strom feierten. Einer von ihnen, Nikolaus Becker, dichtete beispielsweise: "Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein." Das war die 'politische Poesie' dieser Zeit. Ein anderer Autor, Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der Dichter des Deutschlandlieds, erzielte 1840/41 mit seinen "Unpolitischen Liedern" enorme Auflagen für die Zeit, 12.000 Exemplare wurden davon verkauft. Heine erfuhr diese Nachricht von seinem Verleger Campe und war entsetzt. Andere ihm gut bekannte Autoren, wie Franz Dingelstedt, Georg Herwegh, Ferdinand Freiligrath wurden unversehens in den Rang bedeutender politischer Poeten erhoben. Heine schreibt 1842 an seinen Campe, die Gedichte Heinrich Hoffmanns von Fallersleben seien - so wörtlich - "spottschlecht". Sie seien schlechte Späßchen, um Philister zu amüsieren bei Bier und Tabak. Heine spricht gar von der "scheelsüchtigen Impotenz dieser sogenannten politischen Dichtkunst". Es hat ihn gekränkt, dass plötzlich andere Schriftsteller die Stelle - seine Stelle - des politischen Autors, des Autors politischer Poesie besetzt hatten. Deshalb nimmt er all seine Kraft zusammen und schreibt Anfang der 40er Jahre, konzentriert vor allem auf die Jahre 1841/42, an seinen "Neuen Gedichten", außerdem an "Deutschland, ein Wintermärchen" und an dem Versepos "Atta Troll" - eine Phase der konzentrierten Rückkehr und Zuwendung zu lyrischen und lyrisch-epischen Formen. Der Band "Neue Gedichte" erscheint 1844 - zusammen mit dem "Wintermärchen", das bereits 1843/44 abgeschlossen worden war - und erlebt trotz Verboten und Beschlagnahmen innerhalb weniger Wochen eine zweite Auflage. Insgesamt 4.500 Exemplare erscheinen in kurzer Zeit. Eine dritte, erweiterte Auflage, die mit dem frühen "William Ratcliff", einem kleinem Versdrama, verbunden wurde, erschien noch zu Lebzeiten Heines 1852.

Worauf ist dieser Erfolg zurückzuführen? Er hängt damit zusammen, dass Heine in diesem neuen Gedichtband ein altes Verfahren aus dem "Buch der Lieder" wieder aufgenommen hat. Heine hat seine Gedichtbände stets sorgfältig komponiert. Er hat Zyklen zusammengestellt, mit Motivkreisen, die sich entwickeln, deren Ende auf den Anfang zurückverweist, und auch innerhalb der Gedichtbände diese einzelnen Zyklen aufeinander abgestimmt, so dass eine Art von Mosaik entstanden ist, das erst das Gesamtbild ergibt. Zwar kann man jedes einzelne Mosaik- oder Gedichtsteinchen aus diesem Fresko heraus nehmen, denn jedes besitzt seine eigene Schönheit. Aber es ist doch nicht das Ganze, sondern das Ganze erscheint erst, wenn man ein Abstand nimmt und sich die Komposition ansieht. Erst dann tritt hervor, was Heine anstrebt. Man hat deshalb mit Recht von einer "Ästhetik des Arrangements" (Norbert Altenhofer) gesprochen, eine Ästhetik, die über das einzelne Gedicht hinaus den Gedichtband noch als eine Art Komposition erscheinen lässt.

Um ein Beispiel zu nennen: Der erste Zyklus heißt "Neuer Frühling", er ist bereits 1830/31 entstanden, ursprünglich eine Auftragsarbeit des Komponisten Albert Gottlieb Methfessel. "Neuer Frühling": Es geht also wiederum um Liebe, um Nachtigallen und Rosen, es geht um die Farbe blau und den Himmel der Gefühle in diesem Zyklus, doch alle Motive, wie wir das von Heine kennen, sind in sich gebrochen. Keine Verklärung der Lust, kein Zuckerguss der Leidenschaften. Entwickelt wird vielmehr "der Liebe süßes Elend und der Liebe bittere Lust". Das Stilmittel des Oxymorons dominiert, Ausdruck von Konstellationen des Widerspruchs, die Unterminierung von Erfüllung und Glück. Heine hat diesen Zyklus mit Bedacht komponiert. Es sind 44 lyrische Einheiten, die in 22 zweistrophige und 22 mehrstrophige Gedichte zerfallen. In den Zyklus eingelassen ist die Geschichte einer Liebe. Sie beginnt im Winter, die Ahnung des Frühlings, des Glücks klingt bereits an: "Schnee verwandelt sich in Blüten, und dein Herz, es blüht aufs Neu". Und dann entwickelt sich diese Liebe mit dem Zyklus durch die 44 Gedichte hindurch. Es geht abermals um den Diskurs der Liebe, um die Liebesgefühle, um Schwankungen innerhalb des Gefühlsbarometers. Am Ende aber mündet die Liebe wieder in den Herbst des Lebens: Sie vergeht. Und mit dem letzten Gedicht zieht der Regenalltag Norddeutschlands in die Liebesatmosphäre ein, mit dem letzten Wort dieses Gedichts sind alle Gefühle vergangen und verloren:

"Himmelgrau und wochentäglich
auch die Stadt ist noch dieselbe
und noch immer blüht und kläglich
spiegelt sie sich in Elbe.

Lange Nasen, noch langweilig
werden sie wie sonst geschnäuzt
und es duckt sich noch scheinheilig
oder bläht sich stolz gespreizet.

Schöner Süden, wie verehr' ich
deine Himmel, deine Götter,
seit ich diesen Menschenkehricht
wieder seh' und dieses Wetter."

Man sieht, wie im Zyklus "Neuer Frühling" die Technik der Lacherzeugung variiert wird, und zwar durch eine Dehnung der Lücke. Diese Erweiterung dient der Neuakzentuierung des Lachens. Es tendiert von einem Verlachen durch die Montage unvereinbarer Komponenten zu einer Ironie, die das Liebesmotiv nicht zurücknimmt, sondern in Frage stellt. Der zweite Zyklus des Bandes "Neue Gedichte" mit dem Titel "Verschiedene" zeigt diesen Zusammenhang in vielfältigen Variationen. 'Verschiedene': Das bedeutet einerseits: verschiedene Gedichtformen und -arten, ein buntes Spektrum von Formspielereien. Aber "Verschiedene" bedeutet auch verschiedene Frauengestalten. Heine hat das Motiv der Erotik, selbst der Sexualität in einer - für die damalige Zeit - äußerst kühnen Form entwickelt.

Neu sind diese Gedichte, weil in ihnen zum ersten Mal in der deutschen Dichtung das Motiv der Großstadt in Verbindung mit dem Liebesmotiv oder der Erotik zum Thema wird, durchgespielt als eine Form höchst moderner Kultur, als Form eines Lebenszusammenhangs, in dem bestimmte Abhängigkeitskonstellationen - Mann und Frau, Liebe und Ökonomie oder auch Erotik und Amüsement - miteinander durchgespielt werden. Zwischenwelten auch dies: Selbst dort, wo es um eine Bordellszenerie geht, ist diese Welt in Wahrheit Ausdruck der Verhältnisse zwischen den Menschen. Es handelt sich um die Signatur einer neuen Welt und eines neuen Weltgefühls, um die Dynamik moderner Lebens- und Liebesbeziehungen, auch um so etwas wie das Gesetz einer Beschleunigung in den Liebesbeziehungen der Moderne, die sich rasch zu verändern beginnen und gegeneinander austauschbar werden. Eine Beschleunigung, die etwas sagt über die politischen und sozialen Verhältnisse, die sich beschleunigt haben, ebenso wie die neuzeitlichen Wahrnehmungen von Raum und Zeit und Bewegung.

Das alles hat selbstverständlich mit Paris zu tun. Paris ist in dieser Zeit die Metropole Europas. Paris ist das Zentrum der sozialen Bewegungen wie der politischen Entwicklungen. Frankreich ist, gemeinsam mit England, führend in der Industrialisierung. Und die französische Kultur, das französische Denken überstrahlt alles, was es in dieser Zeit in Europa gibt. Dies gilt ebenso für die Atmosphäre, die diese Stadt aufweist, für die Ausstrahlung, die sie besitzt. Heine schreibt 1832 über Paris: "Versammelt ist hier alles, was groß ist durch Liebe oder Hass, durch Fühlen oder Denken, durch Wissen oder Können, durch Glück oder Unglück, durch Zukunft oder Vergangenheit. Und dabei lacht und tanzt man überall, überall blüht der leichte Scherz, die heiterste Mokerie." Das ist eine Liebeserklärung an diese Stadt, und eben davon spricht auch der Zyklus "Verschiedene".

Der Zyklus "Verschiedene" selber ist nichts anderes als ein Plädoyer für eine Sinnlichkeit ohne Sündenbegriff und ohne Doppelmoral. Heine spricht blendet aus, was die bürgerliche Fassade für erforderlich hält. Er hat eine Vielfalt von Formen entwickelt, unterschiedliche Stimmungslagen, Situationsskizzen mit leichten Arabesken, Reflexionen über das Thema Liebe mit Polemik, Ironie mit Sentimentalität, Übermut mit Trauer. Inhaltlich geht es um Alltäglichkeiten und Banalitäten in Liebeshändeln. Aber es geht auch immer wieder, unter der Hand sozusagen, um Deutschland, um die Situation des Exils und die Position des Dichters. Heine selbst hat diese Art von erotischer Dichtung nie als nur private verstanden. Und er hat gelegentlich, vermittelt wiederum über die strukturell lancierte Lücke, satirische und kritische Elemente eingearbeitet, die seiner Kunst des Lachens auf ironisch-selbstironische Weise Ausdruck geben:

"Angelique

V

Wenn ich, beseligt von schönen Küssen,
In deinen Armen mich wohl befinde,
Dann musst du mir nie von Deutschland reden; -
Ich kanns nicht vertragen - es hat seine Gründe.

Ich bitte dich, laß mich mit Deutschland in Frieden!
Du musst mich nicht plagen mit ewigen Fragen
Nach Heimat, Sippschaft und Lebensverhältnis; -
Es hat seine Gründe - ich kanns nicht vertragen.

Die Eichen sind grün, und blau sind die Augen
Der deutschen Frauen; sie schmachten gelinde
Und seufzen von Liebe, Hoffnung und Glauben; -
Ich kanns nicht vertragen - es hat seine Gründe."

Und wo bleibt der Zeitkritiker, der ebenso berühmte wie berüchtigte politische Dichter Heinrich Heine? Werfen wir zur Beantwortung dieser Frage zwei knappe Blicke auf die Versepen, die in dieser Zeit entstanden sind, abermals unter dem besonderen Aspekt von Heines Lachen. Zunächst "Deutschland - ein Wintermärchen". Zwölf Jahre war Heine nicht zu Hause gewesen, dann macht er zum ersten Mal wieder eine mehrwöchige Reise nach Deutschland, per Kutsche, Bahn und Schiff. Von Paris aus unter anderem über Brüssel, Aachen, Köln, dann Hagen, Unna, Münster und Bremen, Hamburg, und von dort im Dezember über Celle, Hannover, Minden, Bückeburg, Münster, Hagen, Köln und Brüssel zurück nach Paris. "Deutschland - ein Wintermärchen" stellt die Summe der Erlebnisse und Erfahrungen dieser Reise dar, insbesondere der politischen Erlebnisse und Erfahrungen dieser Zeit. Heine hat in den Jahren 1843/44 daran gearbeitet. Ein erster Separatdruck mit eigenem Vorwort erschien zwischen dem 23. Oktober und dem 30. November im "Vorwärts", auf Vermittlung von Karl Marx. Heine hat das Epos "ein ganz neues Genre" genannt. Er sprach von "versifizierten Reisebildern", sein großes Prosagenre der 1820er Jahre, hier also in Form von Versen. Eine Collage aus Reisebericht und Zeitgeschichte, die Märchen und Mythen, Fakten und Fiktionen, Phantasien und Träume einbezieht, eine Mischung aus Scherz, Satire und Ironie, auch Sarkasmus, und stets mit hintergründiger Bedeutung. Episoden und Exkurse, Assoziationen und Arabesken mischen sich in bunter Folge. Politische Kritik, scharfer Witz, Pathos, aber auch Melancholie - alles das ist hier nebeneinander, formal umgesetzt in so genannten Chevy-Chase-Strophen, das heißt im Wechsel von vierhebigen und dreihebigen Zeilen, von denen sich jeweils der zweite und der vierte Vers reimen, zum Teil mit komischen Effekten, die Heine spielerisch gezielt erzielt. So wird etwa Hegel auf Kegel gereimt, König auf wenig. Doch der Auftakt des Epos klingt keineswegs scherzhaft - es ist die Traditionslinie des utopischen Saint-Simonismus, der hier zum Programm wird:

"Ein neues Lied, ein besseres Lied,
oh Freunde, will ich euch dichten.
Wir wollten hier auf Erden schon
das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein
und wollen nicht mehr darben.
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
was fleißige Hände erwarben.

Es wächst hienieden Brot genug
für alle Menschenkinder.
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust
und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann,
sobald die Schoten platzen.
Den Himmel überlassen wir
den Engeln und den Spatzen."

Man hat - sei es kritisch, sei es zustimmend - diese Eingangsverse immer wieder als Ausdruck von Heines Egalitarismus, seiner Nähe zum Kommunismus und seines Hedonismus gedeutet. Doch Heine hat die Utopie nicht in den luftleeren Raum hinein entworfen. Was ihrer Verwirklichung entgegensteht, und zwar gerade in Deutschland - der König, die sozialen Verhältnisse, die politische Wirklichkeit der Städte Hamburg und Köln -

"Dummheit und Bosheit buhlten hier,
gleich Hunden auf freier Gasse.
Die Enkelbrut erkennt man noch heut'
an ihrem Glaubenshasse."

- all diese Hindernisse auf dem Weg zu einer Befreiung der Gesellschaft sind nicht weniger scharfsichtig eingefangen worden. "Der Messias in goldenen Ketten" bildet einen festen Topos der Heine'schen Revolutionstheorie. Zwar ist der Revolutionsgedanke ein zentrales Element dieses Epos, die antiklerikale Tendenz ein anderes. Doch erscheint die Realität der Revolution nicht als Befreiung, sondern - als Apokalypse. Das Dichter-Ich, geht durch Köln, hinter ihm stellt sich ein unheimlicher Doppelgänger ein, der unter dem Mantel ein Richtbeil trägt. Eine gespenstisch anmutende Figur, die sich als Büttel und als Lictor, nach dem Vorbild des alten Rom mit einem Scharfrichterschwert, zu erkennen gibt, eine allegorische Figur jener revolutionären Praxis zur utopischen Revolutionsphilosophie, die Heine am Ende seines großen Essays "Zur Geschichte der Religion und Philosophie" von 1835 visionär heraufbeschworen hatte: "Ich bin die Tat von deinem Gedanken." Und so erscheint am Ende des Epos, ganz konsequent, nicht die Vision einer befreiten Welt, sondern als Höhepunkt: die breit ausgemalte Begegnung mit Hammonia, Schutzgöttin der Stadt Hamburg, Tochter einer Schellfischkönigin, ein hehres Weib, ein hochbusiges Frauenzimmer mit übermenschlichem Hinterteil und Beinen wie dorischen Säulen. Sie lädt den Dichter zu sich ein, bewirtet und umgarnt ihn, plädiert für preußische Zucht und Sitte, propagiert das biedermeierlich-stille Vergnügen und schwärmt für die Reize politischer Unterdrückung. "Man konnte entrinnen der Knechtschaft wie einst in Rom durch Selbstentleibung", heißt es an dieser Stelle, an der auch Hoffmann, der Zensor, noch in das Zimmer hereingestürmt kommt: "Es rückte der wilde Geselle dir auf den Leib. Er schneidet ins Fleisch - es war die beste Stelle!" - eine poetisch-politische Kastration. Und zum schlechten Schluss lässt Heine die Politsatire zur Fäkalgroteske werden. Das Gegenwartsbild der Restauration verwandelt sich in den Zukunftsgestank von 36 Gruben - entsprechend den 36 Fürstentümern -, welcher der Kloake der deutschen Wirklichkeit entströmt:

"Was ich gesehen, verrate ich nicht.
Ich habe zu schweigen versprochen.
Erlaubt ist mir zu sagen kaum,
oh Gott, was ich gerochen."

Abermals die lachen machende Lücke - sie appelliert an ein intelligentes Lesepublikum, das die Leerstelle auszufüllen versteht. Und vollends, wenn man weiß, dass Heine immer wieder den Geruchssinn einsetzt, um Atmosphäre zu schaffen und Dinge zu bezeichnen, kann man diese Szene unschwer auf seine Wahrnehmung der deutschen Wirklichkeit übertragen: eine scharfe, eine abgründige, eine unmissverständliche Satire auf die deutschen Zustände, deren Höhepunkt in einer Aussparung besteht.

"Deutschland - ein Wintermärchen" ist das eine der beiden großen Versepen, das andere ist "Atta Troll". Für dieses Epos hat Heine ebenfalls bereits Anfang der 1840er Jahre Material gesammelt und daran bis Ende 1846 intensiv gearbeitet. Heine erzählt darin von dem Tanzbären Atta Troll, der sich während einer Tanzvorführung im eleganten Bad Cauteret, in den Pyrenäen, wo Heine selbst gelegentlich war wegen seiner Krankheit, losreist von seiner "Sklavenfessel", um zu seinen Jungen in die Berghöhle zurückzukehren, doch hat er bei dem Tanzvorführer seine Gattin zurückgelassen, die schwarze Mumma. In derselben Zeit bricht der anonyme Ich-Erzähler, der die Geschichte wiedergibt, auf, um gemeinsam mit dem Bärenjäger Laskaro Atta Troll zu erlegen, was nach einer furiosen Hatz im dritten Hauptteil des Epos schließlich gelingt. Das Epos bietet nichts geringeres als eine Satire auf die Restauration in Deutschland. Der Bär selber ist eine Art Restaurationsfigur, eine Allegorie des politischen Liberalismus in Deutschland, der keine Kraft mehr hat. Die Handlung ist gerahmt, Anfang und Ende beziehen sich aufeinander, und in der Mitte dieser drei Teile, als Höhepunkt des Versepos, findet sich die sogenannte wilde Jagd, ein Geisterzug, in dem Diana, die Fee Abunde und Herodias die Tradition repräsentieren. Die griechische Antike, die nordische Romantik, das Judentum, ein Zug voller Gespenster, Nachtgesichte, Fieberträume. Es sind allegorische Figuren aus Mythos und Geschichte, Literatur und Kunst, Politik und Gesellschaft. Insgesamt hat Heine dieses Epos als einen großen Spaß in romantischer Tradition betrachtet:

"Traum der Sommernacht, phantastisch,
zwecklos ist mein Lied. Ja, zwecklos,
wie die Liebe, wie das Leben,
wie der Schöpfer samt der Schöpfung.
Ach, es ist vielleicht das letzte
freie Waldlied der Romantik
in des Tages Brand und Schlachtlärm
wird es kümmerlich verhallen."

Abermals Heine, der Romantiker, der romantique defroqué, ein entlaufener, seiner Kutte entkleideter Romantiker, der in Wahrheit immer Romantiker geblieben sei, "in einem höheren Grade als ich selbst ahnte." Doch ebenso, wie romantische Traditionsbezüge erhalten bleiben, ebenso ist kontinuierlich das Moment der Diskontinuität enthalten, des Brechens, des Verschiebens von romantischen Elementen auf Ebenen der Satire und der Ironie, des Stimmungswechsels, der nie in einer bestimmten Richtung affirmativ wirken will, sondern stets Potentialitäten freisetzt, die in eine neue Richtung weisen, sei es utopischer Art, inhaltlich-politisch, sei es innovativ in poetischer Hinsicht.

Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die späte Lyrik, auf die Zeit der "Matratzengruft", in der Heine bereits schwer krank ist, in der er seinen "Romanzero" schreibt und die "Gedichte 1853/54". Heine hat im Nachwort zum "Romanzero" ein sehr schönes, sehr trauriges und anrührendes Bild gebraucht, mit dem er seine eigene Entwicklung im Fluss der Zeit spiegelt, in der politischen Entwicklung seiner Zeit, in der niedergeschlagenen Revolution des Jahres 1848. Heine hat sich stets als Mittelpunkt der Welt gesehen, als zerrissenen Mittelpunkt einer zerrissenen Welt, und deshalb seinen Lebenslauf immer wieder in einer Korrespondenz zu den allgemeinen politischen Zeitläufen gedeutet. So macht er es auch hier, im Jahre 1848, als er beschreibt, wie er zum letzten Male ausging:

"Es war im Mai 1848, an dem Tage, wo ich zum letzten Male ausging, als ich Abschied nahm von den holden Idolen, die ich angebetet in den Zeiten meines Glücks. Nur mit Mühe schleppte ich mich bis zum Louvre. Und ich brach fast zusammen, als ich in den erhabenen Saal trat, wo die hochgebenedeite Göttin der Schönheit, unsere liebe Frau von Milo, auf ihrem Postamente steht. Zu ihren Füßen lag ich lange und ich weinte so heftig, dass sich dessen ein Stein erbarmen musste. Auch schaute die Göttin mitleidig auf mich herab, doch zugleich so trostlos, als wollte sie sagen: Siehst du denn nicht, dass ich keine Arme habe und also nicht helfen kann."

Das ist die Situation, in der sich Heine befindet, das ist die Situation, in der sich auch die Revolution befindet. Die Antike, die Kunst und Kultur der Vergangenheit - sie helfen nicht mehr. Die Venus von Milo ist selber verstümmelt, und zerbrochen - körperlich, nicht poetisch - ist auch Heine. Die Jahre in der Matratzengruft sind eine Zeit schwerer Krankheit. Der "Romanzero" und auch die "Gedichte 1853/54" sind Ausdruck einer dennoch ungebrochenen poetischen Produktivität. 'Ungebrochen' soll heißen: Da liegt jemand körperlich hinfällig, muss getragen werden, ein Skelett, nur noch Haut und Knochen in den letzten Monaten, ein Mensch, der gleichwohl geistig rege ist, der kaum mehr sehen, der nicht schlafen kann vor Schmerzen bisweilen, und der dennoch nachts Verse sich ausdenkt, die er am Tag darauf diktiert, die er überarbeitet, indem er sie sich vorlesen lässt. Ein außerordentlich schmerzhafter Prozess poetischer Produktivität, der sich über acht Jahre hinzieht, doch ist es gerade die Dichtung, die Heine am Leben erhalten, die ihm geholfen hat, krank wie er war, zwar nicht zu genesen, doch seine Krankheit zu überspielen und sie so zu ertragen.

Ein Gedicht, in dem diese Situation Heines, also der ungebrochene Lebensmut wie das buchstäblich empfundene Leiden, zum Ausdruck kommt, entstammt dem letzten Gedichtband "Gedichte 1853/54". "Zum Lazarus" heißt der Zyklus von Gedichten, deren erstes das folgende ist:

"Lass die heil'gen Parabolen,
lass die frommen Hypothesen
suche die verdammten Fragen
ohne Umschweif' uns zu lösen.

Warum schleppt sich blutend elend
unter Kreuzlast der Gerechte,
Während glücklich als ein Sieger
trabt auf hohem Ross der Schlechte?

Woran liegt die Schuld? Ist etwa
unser Herr nicht ganz allmächtig?
Oder treibt er selbst den Unfug,
ach, das wäre niederträchtig!

Also fragen wir beständig,
bis man uns mit einer Hand voll
Erde endlich stopft die Mäuler -
aber ist das eine Antwort?"

Heines Ironie erfährt hier eine Veränderung, die ins Grundsätzliche zielt, eine Ironie des Leidens, so könnte man sagen, die deutlich macht: Heine geht, angesichts des Todes, aufs Ganze. "Lass die heil'gen Parabolen", heißt es zu Anfang, die Parabeln der Dichtung also, die Gleichniserzählungen, die Metaphern, die Bilder, die Symbole - sie entfallen, und ebenso die "frommen Hypothesen", die politischen, die geschichtsphilosophischen, die revolutionstheoretischen Spekulationen. Radikal muss gefragt werden, denn es geht um Existentielles: um den Mittelpunkt der Welt, um das leidende Subjekt des Dichters. Kein Umweg also über die Mittel der Poesie und keiner über die Denkwege der Utopie. Stattdessen geht Heine aufs alte Testament zurück. Lazarus und Hiob - das sind die Bezugsfiguren seiner Krankheitszeit, auch Jesus Christus, der sich unter der Kreuzlast nach Golgatha schleppen muss. So stellen sich Fragen ein, die sich unmittelbar an Gott wenden: "Ist etwa unser Herr nicht ganz allmächtig? Oder treibt er selbst den Unfug, ach, das wäre niederträchtig!" Doch der Hinwendung zu Gott fügt sich unversehens das Moment der Blasphemie an: "Also fragen wir beständig, / bis man uns mit einer Handvoll / Erde endlich stopft die Mäuler." Das Gedicht schließt mit einer Dissonanz. Bislang waren immer die zweite und die vierte Zeile gereimt, zum Teil unrein (Hypothesen - lösen, gerechte - Schlechte, allmächtig - niederträchtig). Nun, am Ende, eine leichte Abwandlung: Handvoll - Antwort. Das heißt: Es gibt keinen Reim mehr, sondern nur noch eine Assonanz, einen Anklang, der in Wahrheit eine Dissonanz ausdrückt. Daran lässt sich die Ironie des Leidens formal erkennen. Der Dichter weigert sich in dieser Lebenssituation, die eine auf Dauer gestellte Leidenssituation ist - er weigert sich, das Gedicht vollendet, harmonisch, klangvoll durchzureimen. Der falsche Reim, der Missklang, die Dissonanz drückt seinen Protest aus, eine ironische Empörung gegen das, was dem Dichter-Subjekt, dem Mittelpunkt der Welt, widerfährt.

Heines Grab findet sich in Paris, auf dem Cimitière Montmartre. Dort wollte Heine bestattet werden, weil Montmarte der Bereich der Kunst war, jener Bezirk, in dem er sich zu Hause gefühlt hat. Deshalb sagt Heine testamentarisch allen Versuchen ab, ihn, seinen Leib, seinen Leichnam, nach Deutschland zu repatriieren. Er will in Paris bleiben, und er will nicht beitragen zu jenem posthumen Versöhnungsgeschäft, das nach dem Motto funktioniert: Nur ein toter Dichter ist ein guter Dichter. Er hat sein Leben auf eine Weise resümiert, wie es sich für Heine gehört, mit einem ironischen Bonmot nämlich: "Ich habe es, wie die Leute sagen, auf dieser schönen Erde zu nichts gebracht. Es ist nichts aus mir geworden - nichts als ein Dichter."

Anmerkung der Redaktion: Ralf Schnell ist Autor des Buches "Heinrich Heine zur Einführung", Hamburg 1996.