Der Opportunist als Held

David M. Crowe hat die erste Oskar-Schindler-Biografie vorgelegt

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1993 machte Steven Spielbergs Film "Schindlers Liste" den 1974 verstorbenen Oskar Schindler weltberühmt. Seither kommt keiner, der sich mit dem Mann beschäftigt, an der mit sieben Oscars ausgezeichneten Hollywood-Dramatisierung dieses Lebens vorbei.

So auch der US-Historiker David M. Crowe. Sieben Jahre lang recherchierte er für seine 855-seitige Monumentalbiografie über den Retter von ca. 1100 Juden. Doch zunächst fand Crowe "in der historischen Literatur nicht allzuviel über Schindler", so dass er sich "auf Thomas Keneallys Roman Schindlers Liste und Stephen Spielbergs gleichnamigen Film beziehen mußte", wie er in seinem Vorwort einräumt.

Der bei Eichborn Berlin erschienenen deutschen Übersetzung seines dicken Buchs ist dieses Problem anzumerken. Crowes akribische Abgleichungen oft zweifelhafter Quellen mit der Fiktionalisierung des Schindler'schen Lebens in Keneallys Roman und Spielbergs Film nehmen zu viel Raum in Anspruch. Noch dazu sind Schindlers Frauengeschichten Gegenstand spekulativer Erörterungen. Ein "Arschloch" und ein gescheiterter "Alkoholiker" sei ihr Mann gewesen, der das "Nachlassen seiner sexuellen Kraft" im Alter nicht verwunden hätte, zitiert Crowe die Witwe Emilie, die im letzten Lebensabschnitt überhaupt keinen Kontakt mehr zu Schindler hatte.

Auch müssen wir lesen, wie der Autor Schindler über weite Strecken seiner Studie schlicht "Oskar" nennt, als schreibe er über einen alten Freund. Gerade in der Skizzierung der Frühphase von Schindlers Verstrickung in die "Arisierung" jüdischen Vermögens in Polen kommt es aus dieser Perspektive zu distanzlos anmutenden Formulierungen. Schindler kaufte 1939, nach der deutschen Besetzung Polens, eine Krakauer Fabrik zum Spottpreis, nachdem ihre jüdischen Besitzer enteignet worden waren. Crowe jedoch erkennt in seinem "großzügige[n] Oskar" einen "Individualisten, unabhängig, selbstsicher, willensstark und unerschrocken", ja rühmt an ihm "Ehrgeiz und Durchsetzungsvermögen [...], die für mehrere Männer ausgereicht hätten".

Daneben verschweigt die Biografie allerdings auch nicht, was für ein unangenehmer Zeitgenosse Schindler tatsächlich gewesen sein muss. Er hatte nach Crowes Erkenntnissen als Sudetendeutscher schon vor der Besetzung der Tschechoslowakei für den NS-Geheimdienst gearbeitet und den fingierten polnischen Angriff auf den Sender Gleiwitz mit vorbereitet, der Hitler zum Vorwand für den Überfall Polens diente.

Auch noch bei Schindlers Ernennung zum "Gerechten der Nationen", 1962 in Israel, verstummten die anklagenden Stimmen nicht, die ihn der Misshandlung und Folter jüdischer Arbeiter bezichtigten - eine verstörende Geschichte, die Crowe so sehr beschäftigt, dass er sie in seinem Buch gleich zweimal aufrollt.

Mit vorgehaltener Pistole soll Schindler 1939 bei jüdischen Händlern in Krakau aufgekreuzt sein und verkündet haben, "die guten Zeiten" seien vorbei: "Nun werdet ihr mich und Hitler kennenlernen!" Er habe den Ladeninhaber mit den Worten vor einem Hitlerbild gedemütigt: "Das ist Deine Freund, küsse ihn und zeige Dankbarkeit", zitiert Crowe aus den Aussagen der Zeugen Natan Wurzel und Julius Wiener. Schindler habe Wurzel von SS-Schergen fast zu Tode foltern lassen, nur weil er Emaillegeschirr falsch abgewogen hatte.

"Sagen die beiden die Wahrheit? Ich denke, ja", entscheidet Crowe. "Der Oskar Schindler von 1939 war ein ganz anderer Mensch als der von 1941/42", schreibt er und stellt nüchtern fest, der Geschäftsmann sei nach der deutschen Invasion Polens nichts als ein Opportunist gewesen, der "von der Aufregung über den unglaublichen Sieg" erfasst worden sei: "Er kam 1939 als Glücksritter nach Polen und profitierte dort [...] von der Arisierungspolitik der Nazis".

Bleibt die Frage, was Schindler zu seinem späteren Sinneswandel vernanlasst haben mochte. Crowe sucht die Antwort in Schindlers Beobachtung einer Judendeportation vom 28. Oktober 1942. Damals sollte das Krakauer Ghetto von Schindlers Geschäftsfreund, dem berüchtigten SS-Mörder Amon Göth, "geräumt" werden. Auch Schindlers Wahrnehmung des SS-Massakers im jüdischen Ghetto-Kinderheim vom 13. und 14. März 1943 scheint auf sein Gewissen Eindruck gemacht zu haben: "Schindler hat sich über Nacht verändert und war nicht mehr derselbe wie zuvor", zitiert Crowe seinen Angestellten Itzhak Stern.

Eine Aussage, die Crowe differenzieren muss. Zwar konnte Schindler, dessen Fabrik "Emalia" in unmittelbarer Nähe dieser Shoah-Tatorte lag, "den Untergang und den Schrecken des Ghettos sehen, vermutlich auch riechen", wie der Biograf vermutet. Doch hatte er offensichtlich auch weiterhin egoistische Motive für die Änderung seiner unternehmerischen Strategie: "Seine fortwährenden Beschwerden bei der SS über das, was seine Juden zu leiden hatten, unterstreichen, wie sehr die Verhaftungsaktionen den Produktionsbetrieb störten". Nicht zuletzt begann sich Schindler nach der militärischen Wende in Stalingrad auch Gedanken darüber zu machen, wie man sein Handeln in einem Nachkriegseuropa ohne Hitler beurteilen würde, mutmaßt Crowe. Schindler dachte demnach auch hier zu allererst an sich selbst, an die Rettung der eigenen Haut im Fall einer sowjetischen Invasion.

Hinzu kommt die allerdings bemerkenswerte Haupterkenntnis der Biografie, wonach die berühmte "Schindler-Liste" zu schonender Juden überhaupt nicht existierte. Vielmehr gab es mehrere, die Schindler obendrein überhaupt nicht selbst schrieb: Das tat u. a. sein Angestellter Marcel Goldberg, der sich noch dazu bei der Entscheidung über Leben und Tod von Bestechungszahlungen leiten ließ und willkürlich Namen aufnahm oder auch wieder strich. Kurz: "In Wirklichkeit hatte Schindler überhaupt nichts mit der Erstellung seiner berühmten Transportliste zu tun", zerstört Crowe den Schindler-Mythos in einem einzigen Satz.

Die wirklichen Stärken des Buchs liegen paradoxerweise gar nicht in den Passagen, in denen sich Crowe mit Schindler beschäftigt, sondern in seinen Beschreibungen der Ereignisse im KZ Plaszów, aus dem der zweifelhafte Held seine billigen jüdischen Arbeiter bezog. Crowes an solchen Stellen eher erzählerischer denn wissenschaftlicher Stil macht die korrupten Händel des sadistischen Lagerleiters Göth nämlich in einer Weise plastisch, dass es umso rätselhafter erscheint, wie Schindler überhaupt eine jahrelange Freundschaft mit diesem Massenmörder unterhalten konnte.

So ist Crowes Leistung am Ende vielleicht weniger in der detaillierten Aufhellung des Schindler'schen Lebens zu suchen, als in seiner beklemmenden Quellensammlung zu den entsetzlichen Taten des geheimen (Zweit-)Protagonisten seines Buchs: Amon Göth. "Täglich erschoß er wahllos Leute", zitiert Crowe den jüdischen Zeugen Murray Pantirer. "Er führte sich auf wie ein Raubtier auf der Jagd. Er hatte drei Kopfbedeckungen: eine Offiziersmütze und ein einfaches Soldatenkäppi, aber wenn er seinen Tirolerhut aufsetzte, wußten wir, wir waren in höchster Gefahr".

Hier fügt Crowe der sonst oft so kalt und sachlich formulierten Geschichtsschreibung über die Judenvernichtung ein grausiges, aus den Zeugenstimmen der "Schindler-Juden" gezeichnetes Panorama der Shoah hinzu, das viele Mängel seines Buchs wieder wettmacht.

Anmerkung der Redaktion: Der Text erschien bereits in der "Frankfurter Rundschau" vom 4.1.2006.


Titelbild

David M. Crowe: Oskar Schindler - Die Biographie.
Übersetzt aus dem Englischen von Bernd Leineweber.
Eichborn Berlin, Berlin 2005.
860 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-10: 3821807598

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