Wenig Einblick, viel Überblick

Der Text + Kritik-Band zu Marlene Streeruwitz bleibt an der Oberfläche

Von Alexandra PontzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Pontzen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu den konzeptionellen Voraussetzungen der von Heinz Ludwig Arnold herausgegebenen Reihe "Text + Kritik" gehört es, die behandelten Autoren grundsätzlich zu affirmieren. Ihnen wird im allgemeinen mit dem ersten Wort auch die Deutungshoheit über ihr Werk überlassen, so dass die - meist poetologischen - Selbstexplikationen die wissenschaftlichen Annäherungen nicht nur ein-, sondern auch anleiten. Im Falle von Marlene Streeruwitz wird diese Tradition zum Prinzip erklärt, wenn Katharina Döbler behauptet: "Manchmal sind Bücher klüger als ihre Autoren. Bei Marlene Streeruwitz ist es umgekehrt." Deswegen, so folgert Döbler, brauchen Streeruwitz' Bücher die Schützenhilfe ihrer Autorin, um nicht unterschätzt zu werden: "Man sollte Marlene Streeruwitz nicht ohne Beipackzettel lesen."

Als eben jener unentbehrliche "Beipackzettel" weist sich der Band im Klappentext aus - um den Preis, ein literarisches Werk zu entmündigen, das zu den interessantesten und apartesten Erzählprojekten der deutschsprachigen Literatur der letzten 15 Jahre zählt.

Davon indes vermitteln die sieben Beiträge des Bands wenig. Sie gleichen nämlich, bis auf eine Ausnahme, in der Tat Beipackzetteln; zirkulär und repetitiv exerzieren sie ihre Behauptungsrhetorik, wiederholen und paraphrasieren, was die Autorin in Poetik-Vorlesungen und Interviews über ihr Selbst- und Literaturverständnis gesagt hat, und finden prompt zu jeder Absichtserklärung das passende Werk.

Einzig der Aufsatz von Alexandra Kedveš über "Streeruwitz' Romane, Frauengeschichten, Männersprache" versetzt literarische Theorie und Praxis der Autorin in ein Verhältnis produktiver Reibung. Kedveš benennt die Aporien innerhalb der feministisch inspirierten Poetik, verweist auf die "Metaphysik der Form", der Streeruwitz in ihrer Poetik des unvollständigen Satzes anhängt, und zeigt, wie sich die literarischen Texte vom ideologischen Überbau emanzipieren. Das schadet dem Werk keinesfalls.

Der Schwerpunkt des Bands liegt auf Streeruwitz' Romanen; ein Interview und ein Artikel widmen sich dem dramatischen Werk, ein weiterer den Hörspielen. Das spiegelt das Interesse der Literaturkritik ebenso wieder wie das des Publikums, das Streeruwitz kaum mehr als skandalprovozierende Dramatikerin denn als Autorin gut lesbarer Romane und Erzählungen zur Kenntnis nimmt. Eben darin scheint die Gefahr zu bestehen, vor der man die Texte in Schutz nehmen will, indem man darauf insistiert, dass die Trivialität der gewählten Genres bewusst, die Banalität des Erzählten Programm und die Lakonie des Tons poetische Aussparung sei. Dem ist in der Sache zuzustimmen. Es stünde der Auseinandersetzung mit dem Werk nur besser zu Gesicht, dies vorzuführen statt es nur zu behaupten. Gerade darin - im Nachweis von Ironie, Intentionalität und Reflektiertheit innerhalb des Textgefüges - liegt allerdings die besondere Schwierigkeit, will man nicht in Paratexten seine referentielle Zuflucht und eine schnelle Antwort suchen.

Dass eine differenzierte Analyse Raum beansprucht und auch nicht notwendig ein breites Publikum anspricht, sollte indes kein Argument gegen sie sein: Die Reihe Text + Kritik garantiert den Freiraum zu einer intensiven Beschäftigung gerade mit einzelnen Werken, den die Gegenwartsliteratur sonst allenfalls im Feuilleton findet (dort allerdings unter den Vorzeichen der Literaturkritik) und den die literaturwissenschaftlichen Fachzeitschriften nur mit enormer Verzögerung zur Verfügung stellen können. Umso bedauerlicher also, dass kein einziger Beitrag sich intensiv mit einem Werk auseinandersetzt, sondern alle sich dem Überblick gewidmet haben - einem Genre, das auch andernorts, etwa im Kritischen Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (KLG) und einschlägigen Lexika zur Gegenwartsliteratur, bedient wird.


Titelbild

Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Marlene Streeruwitz. Text + Kritik, Band 164.
edition text & kritik, München 2004.
92 Seiten, 13,50 EUR.
ISBN-10: 3883777684

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