Rache als lebenslange Aufgabe eines Überlebenden

Aharon Appelfelds eindringlicher Roman "Der eiserne Pfad"

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erwin Siegelbaum ist ein Getriebener. Er hat das KZ überlebt, den Nationalsozialismus, den Holocaust. Doch Frieden und Ruhe hat dieser Mann nicht gefunden. Aber er hat ein Ziel, das er seit vielen Jahren verfolgt und dem er so nahe ist wie nie zuvor. Nachtigel heißt der Mann, den er seit vielen Jahren jagt und verfolgt, den er töten will und wird. Dieser Nachtigel, Mörder seiner Eltern, steht stellvertretend für den Massenmord an den Juden.

Jedes Jahr besteigt Erwin Siegelbaum in dem fiktiven Städtchen Wirblbahn den Zug, um die immer gleiche Reise mit den immer gleichen Stationen anzutreten. Wirblbahn ist der Ort, an dem der Viehwaggon mit den Überlebenden des Krieges einst hielt, ein Ort der Rettung und der Wiedergeburt. Von Beruf ist der jüdische Mittfünfziger Antiquitätenhändler, der auf seinen Reisen Städte und Dörfer, Märkte und Geschäfte aufsucht, um alte Bücher, wertvolle Leuchter und andere Gegenstände zu kaufen, die jüdisches Leben und jüdische Kultur repräsentieren. Sein Freund Max kauft ihm fast alles ab und sichert somit Siegelbaums Lebensunterhalt. Eines Tages soll die ganze Sammlung nach Israel gebracht werden - die beiden Freunde verstehen sich als Retter jüdischer Symbole. Aber alle freundschaftlichen Kontakte und erfolgreichen Geschäftsabschlüsse können Erwin Siegelbaum nicht von seinem eigentlichen Ziel abbringen: Er muss Nachtigel finden und töten.

"Der eiserne Pfad" ist der zwölfte Roman des israelischen Schriftstellers Aharon Appelfeld. Fünf weitere seiner Romane wurden ins Deutsche übersetzt, der berühmteste, "Badenheim 1939", ist jedoch vergriffen. Der Autor wurde 1932 in Czernowitz in der Bukowina (heute teils rumänisch, teils ukrainisch) geboren. Dort, in Czernowitz, war auch die Heimat von Rose Ausländer und Paul Celan. Appelfelds Mutter wurde getötet, als er acht Jahre alt war, er selbst kam mit seinem Vater in ein KZ. Er überlebte, ging 1946 nach Palästina, wo er Schriftsteller und Professor für Literatur wurde. Appelfeld, der für sein Buch "Der eiserne Pfad" den "National Jewish Book Award" erhielt, zählt zu den wichtigen Autoren, die über den Krieg, den Fluch des Überlebens und die Last der Erinnerung schreiben. Von Philip Roth wird er verehrt, von der Literaturkritik auf eine Ebene gestellt mit Imre Kertész und Primo Levi. "Der eiserne Pfad", in Israel bereits 1992 erschienen, ist durch seine schmucklose, doch zart poetische Sprache, durch die Klarheit der Form und durch die Souveränität, mit der der Autor sein Material bearbeitet, ein zeitloses literarisches Dokument.

Aharon Appelfeld: Der eiserne Pfad. Roman.

Aus dem Hebräischen von Stefan Siebers.

Alexander Fest Verlag, Berlin 1999.

208 Seiten, 39,80 DM.

ISBN 3-8286-0082-4

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Titelbild

Aharon Appelfeld: Der eiserne Pfad. Roman. Aus d. Hebr. v. Stefan Siebers.
Wissenschaftlicher Verlag Berlin, Berlin 1999.
200 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3828600824

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