Mit eigener Stimme
Houda Yousseff lässt muslimische Frauen zu Wort kommen
Von Hanna Behrend
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWer etwas über Selbstbilder muslimischer Frauen erfahren will, wird bei dieser Veröffentlichung des Orlanda Verlags, der sich durch die Herausgabe von Büchern über Frauen von ethnischen und religiösen Minderheiten und über schwarze Deutsche verdient gemacht hat, fündig werden. Die meisten Autorinnen dieses Sammelbands sind muslimisch sozialisiert bzw. stammen aus Ländern mit muslimischen Mehrheiten oder starken muslimischen Minderheiten. Es sind aber fast durchwegs im Westen, vorwiegend in den USA lebende erfolgreiche und arrivierte Frauen aus den Mittelschichten. Mit Ausnahme von Nawal El-Saadawi, der ältesten und bekanntesten der Autorinnen, gehören sie alle der Frauengeneration des bürgerlichen Mittelstandes an und sind kaum weniger befreit und selbstbewusst als europäische Frauen.
Die ägyptische Herausgeberin Houda Youssef, Jahrgang 1967, ist eine Islamwissenschaftlerin und Soziologin mit einer Arbeitsstelle am Goethe-Institut in Kairo; unter den 18 von ihr versammelten Beiträgerinnen sind sieben Professorinnen, die meisten an US-amerikanischen Universitäten tätig, die übrigen sind Schriftstellerinnen und Dichterinnen oder Leiterinnen großer US-amerikanischer Frauenförderprogramme. Zwei der Autorinnen leisten bzw. leisteten Basisarbeit: Die Palästinenserin Marwa, Jahrgang 1955, arbeitet in Deutschland als Sozialpädagogin in einem Wohnheim für Asylbewerber und die Politikwissenschaftlerin Michelle Sharif arbeitete in Jordanien in einem palästinensischen Flüchtlingslager.
Der Band bietet ein Vorwort der Herausgeberin, die ihre Schreibmotivation auf den Wunsch gründet, "im Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen gemeinsame Identitäten zu entwickeln", wozu sie "die Konstruktion von Bildern und ihre Funktion bzw. ihre Auswirkungen [...] offenlegen und sie dann von dem Thema Frauenunterdrückung loslösen" möchte. Damit begibt sie sich auf einen Weg, der sich von dem differenztheoretischen Ansatz der meisten modernen Feministinnen erheblich abhebt. Sie kommt zu dem Schluss: "Indem der Westen bei bewaffneten Konflikten [...] die Aufmerksamkeit auf die vermeintliche Unterdrückung der muslimischen Frau lenkt, wird die Frage, welche Ursachen und Ziele diese Kriege tatsächlichen haben, viel zu spät gestellt [...] Auch wird hier eine Auseinandersetzung mit den in beiden Kulturen existierenden fundamentalen Mechanismen der Frauenunterdrückung verhindert". Diese hält Youssef für im Wesentlichen identisch für alle Frauen.
Die Beiträge sind in drei Hauptteile gegliedert. Im ersten Teil werden (Mis-)repräsentationen arabischer Frauen und deren politische Funktionen im Westen in Gegenwart und Vergangenheit untersucht. Die Spannweite dieses Kapitels reicht von einer Untersuchung der "Präsenzen und Absenzen" arabischer Frauen in den US-Medien während des Golfkrieges von 1991 aus der Feder der arabisch-amerikanischen Feministin, Prof. Therese Saliba, bis zur Erörterung der Frage, die Michelle Sharif in einem 1994 veröffentlichten Buch über "Weltweite Frauensolidarität. Wo passen wir rein?" stellte und zur Darstellung der Journalistin und Publizistin Lucy Carroll der Bilder, die frauenbewegte deutsche Frauen von Musliminnen haben.
Der zweite Teil ist der Dekonstruktion westlicher Vorstellungen von der Rolle der muslimischen Frau und ihrer Sexualität gewidmet. Darin untersucht die Migrationssoziologin Irmgard Pinn "ob und wie patriarchale Interpretationen des Islam, Fremdbilder oder die Ethik anderer Religionen bzw. gesellschaftlicher Ordnungsprinzipien Einfluss auf 'islamische' (Frauen-)bilder und Alltagspraktiken haben". Die Religionsforscherin Leila Ahmed stellt die Beschreibung und Konzeptualisierung des Frauenkörpers in der arabischen Kultur bei islamischen Rechtsgelehrten und die Auswirkung griechischer auf muslimische Philosophen in den Mittelpunkt ihres Beitrags. "Die Vorstellung weiblicher Sexualität in der Sexualethik bei Imam Al-Ghazali, einem Theologen des 11./12. Jahrhunderts" verglichen mit der Sigmund Freuds ist das Thema des Beitrags der "Matriarchin der maghrebinischen Frauenbewegung", Fatima Mernissi, einer marokkanischen Soziologin an der Universität von Rabat.
Der dritte Teil handelt von "Kollektiver und persönlicher Selbstrepräsentatiom: Selbstreflexionen muslimischer Frauen". Die ägyptische Booker-Preisträgerin Ahdaf Soueif schildert den Alltag arabischer Frauen in Regionen, die von Krieg und Krisen beherrscht sind. Gezeigt wird, dass und warum "sie die politischen Ziele der Bürgerrechtsbewegungen zugunsten des bloßen Überlebens beiseite schieben müssen".
Nawal El-Saadawi, die ursprünglich Ärztin war, geht auf die Rolle westlicher und arabischer Frauen- und Bürgerrechtsbewegungen und auf die Frauenfrage in Zeiten der Globalisierung ein.
Den hochgebildeten Elitefrauen in ihrem Land unterstellt sie zu Recht, dass sich ihre Motivationen und Antriebe nicht wesentlich von denen der Männer unterscheiden und macht dafür den Umstand verantwortlich, dass "diese arabischen Frauen [...] Opfer eines amerikanisch geprägten, kritiklosen, mentalen wie materiellen Konsumdenkens, das durch die Massenmedien im Zeitalter der Globalisierung verbreitet wurde", geworden seien.
El-Saadawi ist aber nicht ohne Hoffnung: "Trotz der Tatsache, dass die arabische Frauenbewegung gleichsam abgewürgt wurde [...], ist das 21. Jahrhundert doch der Auftakt zu mannigfaltigen Veränderungen und der Tatsache, dass die arabischen Völker, Männer wie Frauen, ihren Weg finden werden".
Unter den weiteren Beiträgen im dritten Teil befinden sich persönliche Berichte, Kurzgeschichten, darunter eine Liebesgeschichte von Alifa Rifaat, sowie eine Beschreibung des Lebens von Frauen des Tuareg-Volkes in Algerien. Die palästinensische Sozialarbeiterin Marwa, die seit 1987 in Deutschland lebt, beschreibt in einem bewegenden Essay, inwiefern der Islam ihrem Leben einen Sinn gibt.
Bookda Gheisar, Geschäftsführerin des Cross-Cultural Health Program in Seattle, die seit 1978 in den USA lebt, schreibt in ihrem Beitrag "Auf dem Weg nach Hause": "Die Schwierigkeit, in den Vereinigten Staaten nach einem Zuhause zu suchen ist, dass die patriarchale und rassistische Mainstream-Kultur mir niemals erlauben wird, dieses Haus zu meinem Zuhause zu machen".
Das trifft zumindest auf nicht-weiße MigrantInnen auch in allen europäischen Staaten zu und zeigt zudem, dass es wohl doch im Unterschied zu der Meinung der Herausgeberein mehr Differenzen unter den Frauen gibt als Interessengleichheit - und dass frau (und Mann) sich ihnen stellen muss.
Ein solcher Sammelband kann nicht alle Wünsche befriedigen. Ähnliche Werke über das Leben von Frauen in hier nicht behandelten muslimischen Ländern bzw. von Frauen aus hier ausgesparten sozialen Schichten vor allem im unteren Segment der Gesellschaft bleiben Desiderata. Das große Verdienst des Buches ist, das es den sonst wenig zu Wort kommenden muslimischen Frauen selbst eine Stimme gibt und dass sie nicht von den weißen westlichen Frauen erzählt bekommen, wer und wie sie sind.