Vom Nachteil, verstanden zu werden

Thomas Stölzel über den Paradoxalisten Cioran

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor einer Pariser Buchhandlung hat 1992 ein junger Deutscher eine Erscheinung. Er glaubt einen bekannten Schriftsteller vor sich zu haben und murmelt seinen Namen. Der hat ihn offenbar gehört, zögert zunächst und gibt sich schließlich zu erkennen. Ja, er sei Cioran. Es kommt zu einem Gespräch auf dem Bürgersteig, wo sie sich bald durch die Passanten gestört fühlen. Cioran lädt Thomas Stölzel, ebenjenen jungen Deutschen und Autoren des vorliegenden Buches, in ein Café ein und später sogar zu sich nachhause. Von den Begegnungen und Gesprächen mit Cioran also handelt das Buch zunächst. Doch nach kaum mehr als einem Drittel seines Umfanges haben die Gespräche sich erschöpft und an die Stelle der Beschreibung der persönlichen Bekanntschaft mit Cioran treten Reflexionen über die Texte und das Leben des "vermeintlichen Pessimisten". Insofern ist der Untertitel des Buches "Begegnungen mit Cioran" nicht ganz berechtigt

Dennoch ist ein weitgehend lesenswertes Buch entstanden. Und wenn Stölzel sich mit Ciorans Schriften befasst, so ist das interessanter und spannender als die Berichte von den Begegnungen. Hier ist die Darstellung Ciorans doch allzu stilisiert. So etwa, wenn Stölzel immer wieder die Ausdrucksstärke des Gesichtes dieses "Universalquerulanten" als "Grimasse" beschreibt, die je nach Situation Wut, Abscheu und ähnliche Empfindungen ausdrückt, die ihre Ursache stets in alltäglichen Widrigkeiten haben. Auch sollte man sich davor hüten, die in Anführungszeichen gesetzten Zitate aus Gesprächen mit Cioran für authentisch zu halten. Dass Stölzel Ciorans Äußerungen bei der ersten zufälligen Begegnung wörtlich wiedergeben kann, erscheint doch eher unwahrscheinlich, zumal sich einige Zitate über eine halbe Seite erstrecken. Zudem wird nicht in jedem Fall deutlich, ob es sich um ein Zitat aus einem der Gespräche oder einem der Bücher Ciorans handelt. Überhaupt ist Stölzels Zitierweise ein kleines Ärgernis. So werden Ulrich Horstmann, Susan Sonntag und Armin Mohler zwar zitiert und kritisiert, die zitierten Stellen jedoch nicht nachgewiesen. Die drei AutorInnen tauchen nicht einmal in der Literaturliste auf.

Zunächst aber beanstandet der Autor die Titulierung Ciorans als Pessimisten. Eine Kritik, die nicht ganz überzeugend gelingt. Als Gegenbeweis dient ihm ein Aphorismus Ciorans: "Wir sind alle Possenreißer, wir überleben unsere Probleme." Wenn das nun aber nicht gerade zutiefst pessimistisch ist! Stölzel schlägt vor, Cioran als "Paradoxalisten" zu bezeichnen, was ihm, der sich gegen alle Zuordnungen wehrte, vermutlich wenig gefallen hätte: "Für einen Autor ist es ein wahres Unglück, verstanden zu werden", zitiert ihn Stölzel. Gleichwohl ist seine für Cioran gefundene Bezeichnung treffend. Nicht nur wegen der zahlreichen Inkonsistenzen der Schriften Ciorans, sondern ebenso wegen seiner "existenziellen Dilemmata", die sich in einer "Sehnsucht nach Leben und Nicht-Leben" äußerten. An ihn als Experten in der Frage um Sein oder Nicht-Sein und als theoretischen Propagandisten des Freitods wandten sich immer wieder "Beinaheselbstmörder", wie Stölzel zu berichten weiß. Cioran habe sie dadurch "am Leben gehalten", dass er ihnen riet "jeden Tag neu so zu beginnen, als sei er der letzte, den man zu leben" habe. Eine nicht recht glaubhafte Anekdote, denn leistete man diesem sicher wenig probaten Ratschlag folge, dürfte man wohl kaum sonderlich alt werden, wie in den rebellischen Zeiten des sex and drugs and rock & roll Janis Joplin, Jimi Hendrix, Jim Morrison und einige andere bewiesen.

Hat man bei Stölzels Begegnungen mit Cioran und der Auseinandersetzung mit seinen Schriften zunächst noch den Eindruck, hier habe ein Gläubiger seinen Säulenheiligen gefunden, so rüttelt der Autor doch schon bald und zunehmend stärker am Sockel, ohne allerdings Cioran ganz herunterzustoßen. Bei aller zugestandenen Eloquenz und Luzidität Ciorans verkennt und verhehlt Stölzel weder den "Größenwahn, Kitsch und die Albernheiten" einiger Aphorismen, noch die gelegentliche "Egomanie und Wortschäumerei". Und er berichtet von Ciorans früher - und später bedauerten - Nähe zur rechtsextremen rumänischen "Eisernen Garde". In diesem Zusammenhang kommt er auch auf die bekannte Bezichtigung zu sprechen, Cioran habe in jungen Jahren "Lobpreisungen Hitlers" verfasst. Stölzel lässt dahingestellt sein, ob dieser Vorwurf zutrifft. Hier hätte man sich gewünscht, er hätte seinen Gesprächspartner gefragt, was es denn damit auf sich habe.

Mehr noch aber als an Ciorans vorübergehende Nähe zum Rechtsextremismus stößt sich Stölzel an seiner Misogynität, die er zurecht als borniert und niederträchtig geißelt. Selbst ein Otto Weininger hätte es schwer gehabt, Cioran in diesem Punkt zu übertreffen. Aus der "Kaskade der Armseligkeit" Cioranscher Frauenverachtung sei nur ein einziger kurzer Passus wiedergegeben: "Das Weib ist ein der Kultur und des Geistes unfähiges Tier".

"Einigermaßen sprachlos" zeigt sich Stölzel angesichts der Tatsache, dass einem Autor, "der über ein halbes Jahrhundert mit einer attraktiven, klugen und geistvollen Frau zusammenlebte, [...] derartige dümmlich-lächerlichen Sottisen über Frauen bzw. das Verhältnis zwischen den Geschlechtern" aus der Feder geflossen sind. Er spricht von Simone Boué, 'der Frau an seiner Seite', die im Hintergrund wirkte und Ciorans literarisches Schaffen erst ermöglichte. "Erstaunlich und auch befremdlich, daß die Sekundärliteraten auf die Existenz und Bedeutung dieser Frau kaum hingewiesen haben." Nun, so erstaunlich ist das vielleicht gar nicht, denn hierin teilt sie das Schicksal zahlreicher Frauen, auf deren Schultern große Männer stehen. Wirklich erstaunlich ist vielmehr, dass eine solche Frau es bei einem solchen Mann so lange ausgehalten hat.

Titelbild

Thomas Stölzel: Ein Säulenheiliger ohne Säule. Begegnungen mit E.M. Cioran. Essays.
Verlag?, Graz 1998.
142 Seiten, 11,20 EUR.
ISBN-10: 385420485X

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