Deadline-Texte vom linken Kabbalisten

Klaus Theweleit veröffentlicht seine bemerkenswerten Auftragsarbeiten

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Wirkung freundlicher Krankenschwestern auf die intellektuelle Entwicklung ihrer Schwiegersöhne wird gemeinhin weit unterschätzt. Keine Freundin, kein wohlwollender Mentor, nein, meine Schwiegermutter, damals Mitte dreißig, schenkte mir 1978 den ersten Band von Klaus Theweleits "Männerphantasien", immerhin damals für satte 25 Deutsche Westmark angeboten. Sie hat selbst nie einen Blick hineingeworfen und sich lieber der Betreuung ihres unzurechnungsfähigen Gatten gewidmet - Theweleit hätte wohl damals wie heute einiges zu diesem Typus zu sagen.

Über die Wirkung der "Männerphantasien" selbst braucht man wohl nicht lange zu debattieren. Foucault hin, Lacan her, vor allem Theweleits Studie über die psychischen Dispositionen von Freikorpskämpfern der zwanziger Jahre ist es zu verdanken, dass Territorialisierung und Deterritorialisierung, Körperpanzer und Weiße Frauen als Denkmodelle sich in den Diskursen der westdeutschen Intelligentsia festgesetzt haben. Verdientermaßen - wer Kapitel zusammenschreibt wie jenes über das, was Soldaten lieben, dem gehört ein Stammplatz im Denkhaushalt jede einigermaßen aufgeschlossenen Lesers. Zumal dann, wenn er so wunderbar Text und Bild miteinander kombiniert, wie das Theweleit bei seinen beiden voluminösen Freikorpsbänden begonnen und seitdem intensiv weiter betrieben hat. Schule hat sein Verfahren zwar nicht gemacht, aber ob jetzt in seinem immer noch unabgeschlossenen "Buch der Könige", in den kleineren Essaybänden zum Film oder in den jetzt erschienenen gesammelten Feuilletonbeiträgen "friendly fire", immer hat Theweleit neben seinen bisweilen merkwürdigen Texten auch wunderbare Bildfunde zu bieten.

Sein Haus- und Stammverlag Stroemfeld/Roter Stern hat ihn dabei immer fleißig gefördert. Und der Club der Theweleit-Leserinnen und Leser hat's genossen. Lediglich bei der Ausnahme von der Regel und dann auch noch im lesbarsten, um nicht zu sagen konventionellsten Buch Theweleits über das "Tor zur Welt" (vulgo Fußball), erschienen bei Kiepenheuer & Witsch, muss man ohne solche visuellen Eskapaden auskommen. Dafür hat es ihm ein Zeit-Interview zusammen mit Volker Finke eingebracht (in "friendly fire" nachlesbar), das sich wohltuend aus dem nichts sagenden Geblubber sonstiger Sport-Interviews abhebt.

Dabei, Eskapaden bietet Theweleit in seinen Texten selbst genug. Seine Studie über die orphischen Sänger Benn, Brecht und Elvis Presley ist ja nicht nur wegen der Genauigkeit und Detailverliebtheit zu rühmen, mit der sich Theweleit seinen Objekten nähert und sie sich einverleibt. Solche Texte sind zugleich schon wegen ihrer kabbalistisch zu nennenden Kombinationsliebe zu loben. Da werden Namen, Daten und Zahlen gewürfelt und neu kombiniert, da wird der symbolische Kosmos grad mal von jedem Zufall befreit und zu einem in sich verwobenen, aufeinander verweisenden Sinnzusammenhang umgewandelt, in dem niemand geboren werden kann, ohne dass Geburtsdatum und Name nicht die Karriere eines entfernten Verwandten bestimmen könnte. Zumal dann, wenn wir es mit solchen Ikonen der Popkultur zu tun haben wie Elvis oder auch Gottfried Benn. Auf so etwas muss man erst einmal kommen.

"Na klar hat der Mann 'nen Knall. Nur wer'n Knall hat, kann so klar sehen" - als hätte er's über sich geschrieben: Klaus Theweleit aber meint in diesem Fall lediglich einen, sagen wir Geistesverwandten, den Maler Blalla W. Hallmann und seine die Grenzen jeden Geschmacks durchbrechenden Kombinationen von Mickey Mouse und Adolf Hitler, Populär-Amerika und NS-Deutschland. Kombinationen übrigens, die wie die malerische Umsetzung der Thesen Theodor W. Adornos und Max Horkheimers aussehen, die sie erstmalig 1944 in der "Dialektik der Aufklärung" formulierten. Kulturindustrie und Faschismus sind zwei Entwicklungsformen der kapitalistischen wie entfremdeten Gesellschaft.

Theweleit ist, und das zeigen auch die in "friendly fire" gesammelten Texte, einer der letzten Heroen der Siebziger, die gegen das Establishment anschreiben und die sich - Ernst Bloch wird es, vielleicht sogar mit Vergnügen, vernehmen - nicht scheuen, sich in die Niederungen der populären Kultur zu begeben. Ja, auch Theweleit muss Dankesreden halten, die er dann später abdruckt, auch er schreibt Katalogtexte und alles, was sonst noch an Alltagsaufgaben auf einen heutigen Schreiberling warten mag. Nicht alles davon ist wirklich notwendig - mag man denken: Über die "Protokolle der Weisen von Zion" muss man wohl niemanden mehr aufklären (auch wenn sie bis heute eine so bedenkliche publizistische Vitalität besitzen). Aber Theweleits Überlegungen zu Bob Dylan, Gottfried Benn (hier in den Briefen an Ursula Ziebarth), "Das Schweigen der Lämmer" und Carl Barcks gehören unbedingt zu den lesenswerten Produktionen von Theweleits Freiburger Schule. Denn Theweleit hat dem von Kunstschülern aller Generationen gehassten Genre der Bildbeschreibung neues Leben eingehaucht und gleich auf andere Kunstformen übertragen, soll sagen, er schaut nicht nur genau und ausdauernd hin, bei Bildern, bei Filmen, er hört auch zu, und das mit großer Hingabe. Dass es dabei zu Ein- und Aufsichten kommt, die im Feuilleton ansonsten Seltenheitswert haben, kann kaum überraschen. Dafür lässt man sich auch auf die kabbalistischen Spielereien ein, die Theweleit immer wieder mal auf Lager hat - zum Glück fehlen sie in diesem Buch. Wann kommt der nächste Band vom "Buch der Könige"?


Titelbild

Klaus Theweleit: Friendly Fire. Deadline-Texte.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
433 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3878779402

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