Das Runde im Eckigen

Die "Frankfurter Allgemeine" lässt den Fußball ins Buch

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ja, so kann man sich irren: Da glaubt man als einigermaßen aufgeschlossener Mensch, Fußball sei - wenigstens bis heute - nicht wirklich literaturfähig gewesen und hier ließe sich eine der wenigen großen Lücken schließen, die das moderne Leben noch gelassen hat. Und wieder liegt man falsch. Handkes berühmte Aufstellung des FC Nürnberg und seine "Angst des Tormanns vor dem Elfmeter" haben sich ja nur deswegen bis heute als Primärassoziationen halten können, weil sonst nichts da war, sie zu verdrängen.

Also endlich: Der Ball muss ins Buch? Das Runde ins Eckige? Jörg Hahn und Christian Eichler, beide Mitglieder der FAZ-Sportredaktion, rufen zwar dazu auf, aber gehört worden sind sie wohl bereits lange zuvor. Die deutschen Buchhändler werfen jedenfalls auf Nachfrage mehr als 1.400 Fußballbücher aus, die im deutschsprachigen Verlagswesen erhältlich sind. Und keineswegs nur Erfolgstitel wie die "766 Spiel- und Übungsformen für den Fußballtorhüter" oder "Aktuelle Rechtsfragen des Fußballsports I".

Auch die Literatur hat schon lange ihr Ureigenstes zur fußballorientierten Lektüre beigetragen. Und vielleicht sogar mit großer Wirkung, wenn ich nur darauf hinweisen darf, dass ein naher Verwandter Berti Vogts'' bereits 1951 literarisch mit "Elf Jungens und ein Fußball" sehr erfolgreich an die Öffentlichkeit getreten ist. Nebenbei: Meines Wissens hat sich Herr Vogts bis heute nicht zu den literarischen Einflüssen auf seine Fußballerkarriere bekannt. Also, Fußball gibt''s im Buch satt, und das schon lange.

Und trotzdem, sobald sich neue Autoren dem Fußballthema nähern, wähnen sie sich auf neuen, bislang unbetretenen Pfaden oder räumen vorsorglich ein, dass ihr Tun der besonderen Begründung bedarf. Sogar dann, wenn sie keine Literaten, sondern gestandene Fußballjournalisten sind, wie eben Jörg Hahn und Christian Eichler.

Wer wie unsereins zur morgendlichen FAZ wegen ihres liberalen Kulturteils greift, verirrt sich sicherlich auch hin und wieder auf die Sportseiten des Blatts - um nicht zu sagen, zuerst geht''s zum Sport und dort wird gelesen, dann werden Politik und Wirtschaft durchgeblättert und schließlich folgt die Auswertung des Feuilletons. Auf den offensichtlich vorrangig gelesenen Seiten finden sich denn auch nicht nur die aktuellen Nachrichten, sondern hier gibt es auch und ganz besonders eine Berichterstattung, die in der Tat viel vom Qualitätsjournalismus hat, den man sich auch auf Sportseiten wünscht. Interview, Porträts, Hintergrundberichte, ja Analysen finden sich hier. Und das Meiste ist lesenswert, das Ganze mehrfach prämiert. Wen wundert''s. Zwar gibt es auch hier Texte, die niemand braucht - und sie haben auch den Weg in diese Sammlung von Fußballtexten gefunden, die Hahn/Eichler im Verlag F.A.Z.-Institut für Management-, Markt- und Medieninformation herausgebracht haben.

Zum Beispiel das Interview mit Oliver Kahn. Der liest gerne Biografien, versucht sich auch nach Erfolgen weiter zu motivieren, war zwischendurch ein wenig verkrampft (wenn er''s nicht gesagt hätte!), hat aber in seinem privaten Umfeld so gute, Zitat, "Gesprächspartner", dass er auf Psychologen verzichten kann, und als Torhüter ist man eh der Depp (meine Wortwahl), weil jeder Fehler ist ein Tor (da hat er wohl Recht).

Muss man das alles wissen? Offensichtlich geht auch die Sportpresse den Weg aller Öffentlichkeitsarbeit und bietet vor allem das, was man human interests nennt. Aber statt um Boxenluder, Beckham-Affären und Besenkammern dreht es sich hier meist nur um Anpassungsprobleme, Selbstaufmunterung und fehlerhafte Karriereplanung. Nicht nur Fußballer sind wahre Experten darin, Nichtigkeiten aneinander zu reihen, auch ihre Interviewer und Interpreten stehen ihnen darin kaum nach.

Dennoch sei hier nicht gemeckert. Was Hahn und Eichler hier - fein säuberlich sortiert nach Torwart, Abwehr, Mittelfeld, Sturm, Ersatzbank, Trainer, Schiedsrichter, Verlängerung und Elfmeterschießen - wieder abgedruckt haben, ist feine Fußballjournalistenkost. Alles kleine Zauberstückchen in 3.000 bis 8.000 Zeichen. Immerhin mussten die Texte früher auf eine Zeitungsseite passen und interessant genug geschrieben sein, sodass auch anspruchsvolle Unternehmer und herumdrucksende Intellektuelle daran Gefallen finden. So gerät dann so manches Fußballerporträt zum Hohen Lied auf die Zauberkunst mit dem runden Kunststoffgerät, das so viele Millionen derart fasziniert, dass sie wenigstens ein paar arme Schlucker zu Millionären macht und eine wie immer sehr von sich überzeugte Unterhaltungs- und Medienindustrie mehr als gut ernährt. Allerdings wäre gelegentlich etwas mehr Fußball und etwas weniger Menschliches ganz angenehm, wie auch auf der anderen Seite die Häufung der Fußballkünstler, die sich hier die Seiten in die Hand geben, etwas irritierend ist.

Die einzige Ausnahme, die zugelassen sei, ist das Interview mit Thierry Henry, das die FAZ im Umfeld der Fußballeuropameisterschaft erstmals veröffentlichte. Aber selbst hier kommt der Kunstvergleich von den Interviewern und nicht vom Spieler, der sich einigermaßen geschickt aus der Affäre zieht. Aber wenigstens spricht Henry hier vor allem vom Sport und davon, was guten Fußball, was einen brillanten Fußballer wirklich ausmacht. In diesem Moment - und das ist eben auch in diesem Buch die Ausnahme - kommt die Fußballliteratur zu sich selbst. Hier spricht ein Spieler von seinem Beruf und davon, was ihn auf höchstem internationalen Niveau ausmacht. Nämlich ein Spiel zu sein, bei dem nicht nur 22 Leute hinter einem Ball herrennen und versuchen, ihn wegzuschießen, sondern ein komplexes soziales Gebilde, das sich ebenso viel von der letztlichen Unberechenbarkeit seines aufgepumpten Spielgeräts ableitet, wie von der spezifischen Kompetenz der Spieler. Eine außergewöhnliche Auffassungsgabe ist eine außergewöhnliche Auffassungsgabe ist eine außergewöhnliche Auffassungsgabe, auch im Fußball.

Aber auch das kann nicht immer mit Recht behauptet werden, wie die politischen Äußerungen von Spielern zeigen, nicht immer nur von jungen, wie einzuräumen ist (Effe zu Gedenken). Jedenfalls sind Sätze wie die von Dieter Hamann auch in diesem Buch die Ausnahme: "Man muß fähig sein zu relativieren. Ein Problem haben Menschen, die mit fünfzig, fünfundfünfzig bei Opel oder anderswo ihren Job verlieren. Fußballer, die mit fünfunddreißig aufhören, haben kein Problem." Wie wahr.

Damit sind wir in Sachen Fußballliteratur zwar nicht wirklich weiter gekommen. So nett bis brillant die Texte Hahns und Eichlers auch geschrieben sind, so wenig sind sie belletristisch - und darauf kommt es uns ja im Wesentlichen an. Das Kulturgut Buch gibt sich auch jetzt noch sperrig, sobald es mit Rundem zu tun hat, das hinein soll. Aber was das angeht, haben wir sicher noch eine Menge zu erwarten. Der Boden ist bereitet, die "Zeit" präsentiert schon seit Wochen ihr wöchentliches Fußballgedicht (wird sicher bald gesammelt erscheinen) und andere Autorinnen und Autoren ziehen mit Sicherheit noch nach bis Anfang Juli.

Was davon bleibt - eine Frage, die die Kanonforscher bis heute umtreibt -, wird sich dann in späteren Zeiten zeigen. Bei dieser Gelegenheit sei hier auch eine spezifische Forschung zur fußballerischen Sangeskunst angemahnt. Erste Feuilletonbeiträge haben dazu bereits den Boden geebnet. Es gibt also noch eine Menge zu tun.


Titelbild

Jörg Hahn / Christian Eichler (Hg.): Flach spielen, hoch gewinnen. Fußballkünstler.
FAZ-Institut, Frankfurt a. M. 2005.
190 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3899810791

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch