Den quietschenden Türen zum Trotz

Zur überarbeiteten Literaturgeschichte schreibender Frauen

Von Christine KanzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christine Kanz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"The creaking door", die Quietschtür, von der Jane Austen in ihrer Autobiographie geschrieben hat, ist mehr als eine literarische Metapher. Sie bringt die literarische Produktionssituation der meisten bürgerlichen Autorinnen bis weit in das 19. Jahrhundert hinein auf den Punkt. Ohne eigenes Zimmer, oft auch ohne die Schreiberlaubnis der Eltern oder des Ehemannes mußten schreibende Frauen die seltenen 'leeren Stunden' des gemeinsamen Wohnzimmers einer zumeist großen Familie nutzen, um ihre Werke zustande zu bringen. Die 'quietschende Tür' war dann das Warnsignal, bei dem das Manuskript schnell unter der Tischdecke zu verschwinden hatte.

Virginia Woolfs Forderung nach einem eigenen Zimmer für jede Frau auch im übertragenen Sinn ernst zu nehmen, die ganz anderen Produktionsbedingungen zu reflektieren, unter denen Frauen früher schreiben mußten, die Literaturgeschichte nach solchen Schreibräumen hin zu untersuchen - dies sind nur einige der Aspekte, die die beiden Herausgeberinnen Hiltrud Gnüg und Renate Möhrmann auch in der Neuauflage ihrer "FrauenLiteraturGeschichte" berücksichtigen wollten. Die 1985 erstmals erschienene einbändige Ausgabe liegt nun in einer grundlegend veränderten Bearbeitung vor.

Manches ist gestrichen, vieles ausgetauscht worden, einiges Neue hinzugekommen. Das hat vor allem etwas mit dem regelrechten 'Boom' der Frauenforschung und ihrer Etablierung in den letzten fünfzehn Jahren auch an den deutschen Universitäten zu tun. Die profunden neuen Entwicklungen gerade im gendertheoretischen Bereich lassen sich schon am Inhaltsverzeichnis der Neubearbeitung ablesen. Fast alle derzeit verhandelten Theorien und Interessenschwerpunkte innerhalb der feministischen Forschung und der Gender Studies werden berücksichtigt: Die Differenzen (Rasse, Klasse, Sexualität) in der Geschlechterdifferenz werden ebenso bedacht wie etwa der Zusammenhang von Gender und Genre: Briefe, Memoiren, Autobiographien werden in verschiedenen Beiträgen als "Medium für weibliches Schreiben" reflektiert, den erotischen Texten von Frauen aus verschiedenen Jahrhunderten sind jeweils eigene Kapitel gewidmet; die Verquickung von Rasse und Geschlecht wird anhand der Beiträge über jüdische Autorinnen, über hispanoamerikanische oder über schwarzafrikanische Schriftstellerinnen deutlicher. Einige grundlegende Beiträge aus der ersten Auflage wurden wieder aufgenommen, z.B. die über Klöster und Höfe als Schreibräume: Margret Bäurles und Luzia Brauns Beitrag über das Schreiben der Mystikerinnen sowie Ursula Liebertz-Grüns Aufsatz über Autorinnen im Umkreis der Höfe oder Renate Baaders Artikel über die Autorinnen der französischen Salonkultur des 17. Jahrhunderts. Das läßt unter anderem darauf schließen, daß sich hier innerhalb der Forschung, zumindest nach Ansicht der Herausgeberinnen, nicht viel Neues ergeben hat. Anders sieht es etwa bei der Reiseliteratur von Frauen aus. Hier wurde in den letzten Jahren so viel aufgearbeitet, daß Elke Frederiksen ihren früheren Artikel selbst überarbeitet und um neue Forschungserkenntnisse ergänzt hat. Gänzlich eingetauscht gegen den neuen Beitrag von Evelyne Keitel wurde hingegen das vorher von Harald Hellmann und Ulrich Holzer gemeinsam verfaßte Kapitel über Krimis von Frauen. Zuviel Neues hat sich in den letzten Jahren getan auf dem Frauenkrimimarkt, gibt es hier doch sogar inzwischen eigene Subgenres, beispielsweise den feministischen Kriminalroman.

Eine glücklichere Hand als in der letzten Ausgabe hatten die beiden Herausgeberinnen mit der Wahl eines völlig neuen Beitrags über "Positionen des Französischen Feminismus", der diesmal von der Romanistin Ingrid Galster stammt. Der kluge Überblick räumt mit all jenen theoretischen Vorurteilen auf, die die "new holy trinity of French feminist thought" (Irigaray, Cixous, Kristeva) hartnäckig weiter (be-)treffen. Jene drei berühmten Theoretikerinnen, die sich mit ihren an der Psychoanalyse orientierten, aufklärungs- und vernunftkritischen Ansätzen seit Jahren vor allem an ihren geistigen Vätern Jacques Derrida und Jacques Lacan abarbeiten und insbesondere in den USA lange Zeit vor allem wegen ihres dort hoch angesagten poststrukturalistischen Ansatzes favorisiert wurden, sind auch hierzulande häufig mißverstanden worden. Der nun ausgetauschte Beitrag von Margret Brüggmann in der alten Ausgabe hatte diese Tendenz noch verschärft! Nachdrücklich stellt nun Galster einiges richtig: Luce Irigaray gehört nicht zu jener Gruppe der écriture féminine, die die Praxis weiblichen Schreibens im Sinne von Hélène Cixous propagieren oder gar betreiben, wie etwa die brasilianische Schriftstellerin Clarice Lispector. Ein für allemal: Irigaray ist in erster Linie Dekonstruktivistin, die den abendländischen "Phallogozentrismus" von innen aufzubrechen sucht, indem sie insbesondere die abendländische Philosophie einer Re-Lektüre unterzieht. Die écriture féminine ist im übrigen nicht prinzipiell an den weiblichen Körper gebunden, wie stets behauptet wird. Denn ihre Hauptverfechterin Hélène Cixous geht von einer konstitutiven Bisexualität der Geschlechter aus. Und die bulgarische Textwissenschaftlerin Julia Kristeva hat sich noch nie als Feministin verstanden. Auch wenn sie in ihrer psychoanalytisch fundierten und aus rationalitätskritischer Perspektive geschriebenen Subjekttheorie in vielen Punkten mit Cixous und Irigaray übereinstimmt - über einen Kamm scheren darf man die drei so unterschiedlichen Theoretikerinnen nicht. Neben all diesen Korrekturen vergißt Galster nicht, zumindest einige der vielen anderen feministischen Pariser Theoretikerinnen vorzustellen: Neben der extremen Vertreterin des biologisch fundierten Differenzfeminismus Antoinette Fouque etwa die Radikalfeministin Monique Wittig, aus deren Sicht es so viele Geschlechter wie Individuen gibt, die zugleich aber einen "lesbischen Separatismus" praktiziert, der "keine Solidarität mit heterosexuellen Frauen" erlaubt. Außerdem die Historikerin und Philosophin Geneviève Fraisse, die Historikerin Michelle Perrot, die vor kurzem die fünfbändige "Histoire des Femmes en Occident" zusammen mit Georges Duby herausgegeben hat, oder die Philosophin Sylviane Agacinski, die ihren Ehemann, den sozialistischen Premierminister Jospin, davon überzeugen konnte, daß die französische Verfassung endlich frauenfreundlicher werden müsse.

"Einer einbändigen Literaturgeschichte sind notwendig Grenzen gesetzt." Das Wichtigste kann nur exemplarisch berücksichtigt werden. Immerhin ist auch noch den neueren Gendertheorien um Judith Butler Platz eingeräumt worden, mit dem Beitrag von Dagmar von Hoff. Er leidet allerdings etwas unter der vorgegebenen Platzbeschränkung. Was von Hoff über Butler sagt, muß manchmal so sehr an der Oberfläche bleiben, daß es zu Mißverständnissen führt, vor allem wenn es um Butlers Buch "Körper von Gewicht" geht, jenen Text, der die heftig diskutierten Thesen ihrer Studie "Unbehagen der Geschlechter" doch eigentlich erklären helfen sollte.

Von Anfang an haben Frauen, so belegt die neue Literaturgeschichte auch, die neuen Formen kultureller Kommunikation mit entwickelt. Ob Hörspiel, Performance oder Internet: Frauen sind präsent. Auch die Science Fiction-Literatur wird maßgeblich von Frauen verfaßt, und zwar auf psychologisch höchst differenzierte Weise, wie der fundierte Beitrag über "Androgyne, Amazonen und Cyborgs" der Anglistin und Internetautorin Ruth Nestvold zeigt.

Das Konzept dieser "FrauenLiteraturGeschichte" entspricht, soviel dürfte deutlich geworden sein, nicht einer herkömmlichen Literaturgeschichte. Der Versuch, "die literarische Produktion von Frauen in einem größeren Zusammenhang zu sehen und einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen", erfordert andere Gliederungs- und Einteilungsprinzipien. Die "Brüche", die "beständigen Neuanfänge", die "Diskontinuitäten", die die Literatur von Frauen insgesamt kennzeichnet, sollen sichtbar gemacht werden. So kann es hier keine strikte Epocheneinteilung oder Gliederung nach Stilbegriffen geben. Statt dessen wollen "die geschlechterspezifischen Besonderheiten, die Möglichkeiten weiblichen Schreibens" berücksichtigt und auch Aneignungen und Umformulierungen nachvollzogen werden. Hansjürgen Blinn zum Beispiel geht in seinem Beitrag der Umwandlung eines früher von Männern dominierten Genres, des Bildungs- und Entwicklungsromans nach.

Ein wenig anachronistisch muten Wendungen wie "weibliche Literatur", "weibliches Schreiben" allerdings schon an, wecken sie doch Assoziationen an essentialistische Argumentationen der siebziger Jahre. Doch stellen sich die Herausgeberinnen ganz (selbst-)bewußt und explizit in die Tradition der Frauenforschung und nicht die der Gendertheorien, und sie reden davon, daß ihre Vorgehensweise "komparatistisch" orientiert sei, nicht kulturwissenschaftlich.

Den Begriff "Frauenliteraturgeschichte" empfinden sie freilich selbst als problematisch und erklären ihn im Vorwort auch mehr oder weniger zum "pragmatischen" Übel: "'Frauenliteratur' wird als Orientierungsvokabel für alle von Frauen geschriebenen Texte verwendet, nicht aber als Genrebegriff wie von Literaturhistorikern des 19. Jahrhunderts, die ihren Literaturgeschichten - in Gönnerattitüde - zumeist ein Sonderkapitel zu den 'dichtenden Damen'' anhängten." Trotzdem: Wie würden Möhrmann und Gnüg mit einer Autorin verfahren, die zum Autor geworden ist, wie etwa Jutta Schutting, die/der seit 1989 auch vor dem Gesetz als Mann gilt und nunmehr unter dem Namen Julian Schutting veröffentlicht? Der Name Schutting jedenfalls taucht im ganzen Buch nicht einmal auf.

Dennoch: Eine 'Sonderliteraturgeschichte' muß es derzeit noch geben, auch wenn die Herausgeberinnen sich selbst wünschen, daß sie bald überflüssig werde. Momentan ist eine Aufarbeitung all jener über Jahrhunderte hinweg verdrängten und vergessenen Autorinnen immer noch notwendig. Und dies gilt so lange, bis der traditionelle, an Männern ausgerichtete Kanon, wie er an deutschen Schulen und Universitäten immer noch gelehrt wird, endlich aufgesprengt wird. Eine "FrauenLiteraturGeschichte" hat solange Berechtigung, wie die spezifischen Produktionsbedingungen von Frauen, ihre literarischen Leistungen in konventionellen Literaturgeschichten keinen oder nur beschränkten Eingang finden. Irgendwann in der fernen Zukunft wird es sicherlich die zehnbändige, völlig neu überarbeitete, herkömmliche Einteilungen sprengende Literaturgeschichte geben, in der die verschiedenen Geschlechter, Rassen und Klassen gleichermaßen präsentiert sind, Unterschiede nicht nivelliert, sondern reflektiert werden. Ihr muß es dann auch um qualitative und ästhetische Differenzen gehen.

Bis dahin gilt: Auch die neue "FrauenLiteraturGeschichte" ist ein absolutes Muß für jede Literaturwissenschaftlerin und jeden Literaturwissenschaftler sowie für alle anderen Literaturinteressierten. Und hoffentlich bald im Taschenbuch zu haben.

Titelbild

Hiltrud Gnüg / Renate Möhrmann (Hg.): Frauen Literatur Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart / Weimar 1999.
760 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3476015432

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