Hasset die Männer!
Vor 150 Jahren wurde die pessimistische Radikalfeministin Helene von Druskowitz geboren
Von Rolf Löchel
Als Valerie Solanas Ende der 1960er Jahre ihr "Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer" veröffentlichte, löste sie so manche hysterische oder auch mit ruhigem Blut und antifeministischem Kalkül verfasste, jedenfalls aber höchste Empörung bekundende Reaktion von Angehörigen des so rüde bedrohten Geschlechts aus. Doch erscheint ihr seinerzeit aufsehenerregendes Manifest fast als lauer Aufguss, wenn man es mit dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfassten Pamphlet "Der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt" (so der spätere Titel) vergleicht, dessen Verfasserin Helen von Druskowitz am 2. Mai 2006 ihren 150. Geburtstag begehen würde. Erlangte Solanas erst durch ihr Manifest einen gewissen Bekanntheitsgrad - der durch ihr späteres Attentat auf Andy Warhol zu einer mehr als nur viertelstündigen Berühmtheit gesteigert wurde - so war Druskowitz zur Zeit der Niederschrift ihrer feministisch-männerfeindlichen Schmähschrift schon fast eine vergessene Autorin.
An die wissenschaftlich-publizistische Öffentlichkeit getreten war sie bereits 1878 mit einer Dissertation über Byrons Stück "Don Juan". Damit promovierte sie als zweite Frau überhaupt mit einer geisteswissenschaftlichen Arbeit. Weitere literaturwissenschaftliche Veröffentlichungen über Percy Bysshe Shelley sowie über die drei englischen Dichterinnen Joanna Baille, Elisabeth Barrett-Browning und George Elliot folgten 1884 und 1885.
Vier Jahre darauf publizierte sie eine Studie zur Würdigung des von ihr geschätzten Philosophen Eugen Dühring. Da sie sich jedoch außer Stande sah, "seine sämmtlichen reformatorischen Anschauungen und Anregungen für maßgebend und richtig zu halten", verkündete sie gleich auf der ersten Seite, sie werde "dem verehrten Philosophen freimüthig entgegentreten, wo dessen Aufstellungen und Vorschläge entweder für unzulänglich oder zu weitgehend erscheinen".
Zu den Anschauungen, die sie nicht teilen mochte, gehörte Dührings "über alles billige Maß" hinausgehende "Verurtheilung des Judenthums". Angesichts seines extremen Judenhasses hätte man sich allerdings eine weit schärfere Distanzierung gewünscht. Auch im weiteren fällt ihre Beurteilung von Dührings Antisemitismus allzu milde aus. Sein "Urtheil über die modernen Juden" begehe den Fehler, "die jüdische Nation als etwas unverändertes und unveränderliches, die modernen Juden als getreue Abbilder der palästinensischen Juden zu betrachten". Tatsächlich aber hätten sich die Juden "durch den Einfluß der modernen Nationen, unter denen sie leben, intellektuell und moralisch [...] gebessert" und "überraschend schnelle Fortschritt[e]" gemacht. Druskowitz pflegte also - zumindest in dieser Zeit - auch ihren eigenen Antisemitismus. Er gibt sich bloß nicht offen rassistisch, sondern kulturalistisch begründet. Dennoch entfährt auch ihr in Abgrenzung zu den Juden schon mal die Vokabel der "edlere[n] Rassen".
Neben etlichen weiteren literaturwissenschaftlichen und philosophischen Werken (etwa über die heute hochaktuelle Frage, wie "Verantwortung und Zurechnung ohne Annahme der Willensfreiheit" möglich sei) verfasste Druskowitz auch zahlreiche Lust- und Trauerspiele, die heute längst vergessen und nicht mehr ganz einfach zu beschaffen sind. Gar so schlecht dürften sie aber nicht gewesen sein. Erklärte doch Conrad Ferdinand Meyer, der ebenso wie Marie Ebner-Eschenbach zu Druskowitz' Bekanntenkreis zählte, nach der Lektüre einiger ihrer Stücke, sie sei "für das Charakterlustspiel begabt".
Nicht nur mit Ebner-Eschenbach und C.F. Meyer pflegte Druskowitz Umgang, sondern auch mit Nietzsche, den sie 1884 durch Malvida von Meysenbug kennen gelernt hatte. Zunächst war der mit einem eherne Männlichkeit signalisierenden Schnauzbart ausgestattete Aphoristiker sehr von ihr angetan. Ganz so, wie er das öfter von Frauen war, solange er noch glaubte, sie zu seinen Proselyten machen zu können. "Sie hat sich von allen mir bekannt gewordenen Frauenzimmern bei weitem am ernstesten mit meinen Büchern abgegeben, und nicht umsonst," schwärmte er mit sexistischem Zungenschlag und zollte ihr damit wohl das höchste Lob, dass dieser eitle Egomane zu geben im Stande war. Druskowitz allerdings las seine Schriften von Anfang an kritisch. So erklärte sie noch im gleichen Jahr C.F. Meyer: "Meine Begeisterung für Nietzsches Philosophie hat sich nur als eine passion du moment, als ein armseliges Strohfeuer erwiesen. Nietzsches Propheten-Miene kommt mir nun recht lächerlich vor." Letztlich sei er doch nur dazu befähigt, "sich über dies und jenes in Form von Reflexionen feinsinnig auszusprechen; nicht aber, wie er glaubt, für die großen philosophischen Probleme, die er ohne wahren Ernst und recht oberflächlich behandelt".
Bald darauf kritisierte sie ihn auch öffentlich. Nietzsche reagierte auf die Apostasie mit wütenden Verbalinjurien - eine Erfahrung, die neben Druskowitz auch andere Frauen machen mussten, unter ihnen Lou Andreas-Salomé. Nachdem Druskowitz sich in ihrem "Moderne[n] Versuch eines Religionsersatzes" (1886) erdreistet hatte, an seinen "Reflexionen" zu monieren, "dass die Behandlung der Probleme nicht mit ihrer Wichtigkeit harmoniert, dass Aussprüche echter Weisheit mit nutzlosen Klügeleien und bedenklichen Sophistereien, Proben echten Scharfsinns mit Paradoxien und mitunter recht bedauerlichen Missgriffen wechseln, und dass sich der Verfasser fast in jedem Punkt widerspricht", beschimpfte er sie als "kleine Literatur-Gans", die "alles andere als meine 'Schülerin'" sei.
Auf die höchste Eloge folgte also die tiefste Despektion: keine seiner Schülerinnen! Druskowitz stand Nietzsche in diesem Punkt allerdings nicht nach und zeigte sich in ihren Repliken an den "Todfeind der Philosophie" ebenfalls nicht zimperlich: "Zu den infamsten Torheiten, von welchen das Germanentum je geknechtet worden ist, zählt [...] die Ehrung eines gewissen Nietzsche, der jenem schlechten Grundzug [dem Willen zur Macht] auf das verdammenswerteste und törichtste geschmeichelt hat." Ebenso hart und mindestens ebenso zutreffend fiel ihre Kritik an der Persönlichkeit des Autors der so geschmähten Schriften aus. Nietzsche gefalle sich "in immer abstoßenderem Gesalbader, und Großmannsucht und Dünkelhaftigkeit nehmen immer bedenklichere Dimensionen bei ihm an". Dabei täusche er sich über die "Insufficienz seines Wesens und den Mangel an selbständigen Gedanken". Die Resultate, zu denen er "nach jahrzehntelangem Umhertasten" gelange, seien "mit Leichtigkeit" zu widerlegen oder müssten "geradezu als ungeheuerlich" bezeichnet werden.
Bemerkenswert ist, dass sich Nietzsches Frauenfeindlichkeit in den Verunglimpfungen Druskowitz' durch einige seiner Biografen fortsetzt. So nennt Curt Janz sie ein "merkwürdig verschrobene[s] Wesen" und Werner Ross bezeichnet sie abfällig als "wilde Emanzipierte".
Dass Druskowitz ihrerseits auch noch Jahrzehnte, nachdem der Bruch vollzogen war, mit Nietzsche rang, zeigt der Untertitel einer Publikation aus dem Jahre 1905: "Ein Vademecum für die freiesten Geister". Es ist dies die eingangs erwähnte Schrift "Der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt", die damals unter dem Titel "Pessimistische Kardinalsätze" und mit dem Pseudonym Erna versehen auf den Markt kam. Da war Nietzsche nach zehnjähriger geistiger Umnachtung bereits ein halbes Dezennium tot und Druskowitz fristete seit 15 Jahren ihr Leben in einer "Irrenanstalt".
Ende der 1880er Jahre hatten sich in ihrem damaligen Heimatort Dresden Gerüchte verbreitetet, Druskowitz unterhielte eine Liebesbeziehung zu einer dortigen Opernsängerin. Mit diesem Ondit ging eine wahre Hatz auf die Schriftstellerin einher, in deren Zuge sie wegen - wie allerdings erst später zur Begründung herangezogen wurde - "halluzinatorischen Irrsinns" zwangsweise zunächst in das "Städtische Irrenhaus" Dresdens und bald darauf in die "niederösterreichische Landesirrenanstalt Mauer-Oehling" eingeliefert wurde, wo sie bis zu ihrem Tod 1918 interniert blieb. Laut Krankenakten wurde sie zumindest bis 1903 von Halluzinationen geplagt und sah "Ungeheuer groß wie Walfische [...] aus der Mauer [kommen] oder bekannte Personen, meist Männer, häufig mit obszönen Gebärden, so dass sie erröten müsse". Auch glaube sie, telepatische Kontakte zu verschiedenen Personen und Persönlichkeiten herstellen zu können. Tatsächlich wurde sie in dieser Zeit Ehrenmitglied der "Spiritistischen Vereinigung in Köln". Zur Medikamentierung wurden ihr "kontinuierlich Hypnotica" verabreicht.
All dies vermochte ihre Produktivität nicht zu brechen. 1891 schrieb sie das Drama "Leonie", dann philosophische und feministische Schriften, darunter "Das Männerproletariat oder die Fällung des Mannes als Tier und Denker" (1900), im gleichen Jahr "Der Kultus der Frau", 1903 "Ethischer Pessimismus" und 1904 weitere Dramen und Gedichte. Allerdings markieren die nach der (unterstellten) lesbischen Beziehung erfolgte Hatz und die Einlieferung ins Irrenhaus einen grundlegenden Bruch in Druskowitz' Denken und Philosophieren. Nun erst werden beide ideengeschichtlich wirklich interessant.
Was ihre Schriften fortan so originell macht, ist die im wahrsten Sinne des Wortes einzigartige Verbindung von Feminismus und Pessimismus. In ihrem frühen, ohne Jahresangabe erschienen Stück "Die Emancipationsschwärmerin" hatte Druskowitz noch eher die 'Emanzipierten' als deren Gegner aufs Korn genommen. Spätestens Ende der 1880er Jahre war ihr die 'Frauenfrage' dann schon ein "eminent wichtiges Thema", denn es sei "gewiß, daß nicht Religionskriege, nicht Classenkämpfe, nicht die Knechtung einer Kaste durch die andere, nicht die Ausschreitungen und Greuel des Aberglaubens, sondern die Knechtung der Frauen in der Zwangsehe die schrecklichste Erscheinung in der Geschichte der menschlichen Entwicklung ist", wobei die Zwangsheirat dadurch definiert sei, dass "nur der Mann Rechte genießt, die Frau aber zur Sklaverei und zur uneigentlichen Prostitution verurtheilt ist". Diese Zeilen aus der Dühring-Studie klingen schon einigermaßen radikal. Ihre Forderung sind zu diesem Zeitpunkt hingegen noch recht konventionell: Bildung für die Frauen und ein gerechtes Eheleben. Das sollte sich gründlich ändern.
Noch gründlicher aber war ihre Wandlung von der Optimistin zur Pessimistin. Kritisierte sie Ende der 1880er Jahre den Pessimismus noch als "ungerechte und verkehrte Art der Weltschätzung" und pries "die edlere Haltung des Optimismus", so entwickelte sie sich in den folgenden Jahren zu einer Weltverneinerin, die sich durchaus mit Schopenhauer messen kann und ihn vielleicht sogar in den Schatten stellt. Geißelte der Hegel-Hasser die Ruchlosigkeit der optimistischen Denkungsart, so verhöhnte Druskowitz den "überaus schädlichen und albernen Optimismus", der für sie nichts weiter als ein "Wahn" war.
Am eindrücklichsten gelangt ihr pessimistischer Radikalfeminismus in der bereits erwähnten Schrift von 1905 zum Ausdruck. Zwar umfasst sie in der Neuausgabe von 1988 gerade mal 67 Seiten, die aber haben es in sich. Die Welt, heißt es dort, sei "vom Grundübel beherrscht", "[f]aul im innersten Kern", das Dasein eine "verbrecherische Tragikomödie" und Gott "ein böse[r] Struwwelpeter, der millionenfach selbst die Hölle und ihre Qualen verdienen würde, zu welcher er seine Subjekte verdammt". Der Mann sei "der böse und dumme Teufel" dieser Welt, in dessen "Niederkritisierung" die "einzig wahre und richtige Weltbeleuchtung" gipfele. "[R]oh und lügnerisch" sei er, "sein Denken lückenhaft und weitschweifig, seine äußere Hässlichkeit zu eklatant, als daß er das Leben taktvoll beherrschen vermöchte". In offenbarer Umkehrung der antiken Misogynität eines Platon weist die Philosophin ihm schließlich einen Platz zwischen Mensch und Tier zu.
Es seien die Frauen, welche "die wahre Menschheit" bilden, denn im Unterschied zu den Männern zögen sie das Nichtsein dem Sein "instinktvoll" vor. Leider seien diese "weiblichen Instinkte" jedoch "entsetzlich unterdrückt". Während andere Feministinnen den Mutterkult und die Frau als Lebensspenderin priesen, sah Druskowitz das ganz anders. Ihr mit "Feuer und Glanz" ausgestatteter Feminismus hielt nicht nur von der "blinden und blöden Volksvermehrung" herzlich wenig, Druskowitz sah die philosophische Bestimmung der Frauen darüber hinaus darin, als "Führerinnen in den Tod" das anzustrebende "Endesende" vorzubereiten. Um dieses Telos auch zu erreichen, gab sie ihren Geschlechtsgenossinnen eine "Frauentafel" mit einigen "Maximen" mit auf den langen und beschwerlichen Weg. "Führt einen heiligen Kampf gegen die männliche Welt, um die verlorene Ehre und Freiheit wiederzugewinnen und den Beweis zu liefern, daß euch das Ende eures Geschlechtes dem Fortleben desselben in Sünde und Schmach, in Geistesschwäche und totaler Abgestumpftheit der Sinne und des Geschmacks bevorzugenswert erscheint", lauten sie etwa. Oder kurz und bündig: "Hasset die Männer und die Ehe!" Vor allem aber und an erster Stelle: "Ihr sollt euch selbst getreu sein!"
War Druskowitz über lange Jahrzehnte hinweg weitgehend vergessen, so findet sie in jüngerer Zeit hier und dort wieder Erwähnung. So würdigte sie Hinrike Gronewold im ersten Band der von Luise Pusch und Sibylle Duda 1992 herausgegebenen Trilogie "Wahnsinns-Frauen", 1994 fand sie Aufnahme in das Philosophinnen-Lexikon von Ursula I. Meyer und Heidemarie Bennet-Vahle, und schließlich galt ihr im Jahre 2000 auf dem IX. Symposium der Internationalen Assoziation der Philosophinnen ein Vortrag von Helga Guthmann. Ihre Werke sind allerdings- abgesehen von ihren vorfeministischen und vorpessimistischen Büchern "Percy Bysshe Shelley" und "Drei englische Dichterinnen" - auch antiquarisch nur schwer zu beschaffen. Das gilt selbst für das 1988 neuaufgelegte Bändchen "Der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt", das immerhin in einigen Bibliotheken zu finden ist.
Mag Druskowitz bereits vergessen gewesen sein, als sie es verfasste - dass man sich 150 Jahre nach ihrer Geburt wieder an sie erinnert, ist nicht zuletzt eben diesem Buch zu verdanken. Und man sollte es nicht vorschnell als bloßes Kuriosium abtun. Wem die dort vertretenen Auffassungen nicht passen, sollte es unternehmen, sie zu widerlegen.