Dokumente einer deutschen Gruselehe

Marion Linhardts und Thomas Steierts Leseausgabe der Tagebücher Cosima Wagners

Von Berndt TilpRSS-Newsfeed neuer Artikel von Berndt Tilp

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Bitte meinerseits an R., überzeugt zu sein, daß ich gar keinen Willen habe und daß mein einziges Glück in dem Bestreben liege, ihn in der kleinsten Kleinigkeit zu verstehen und ihm zur Seite zu stehen", notiert Cosima Wagner am 7. März 1872 in ihr Tagebuch. Sie umreißt damit, wie ihr Verhältnis zum 1870 angetrauten "R.", Richard Wagner, exilierter Komponist in Tribschen am Vierwaldstätter See, rückblickend beschaffen ist und vorausschauend beschaffen sein wird.

"R. ist nicht wohl", "R. nicht erfreut durch die Landschaft", "R. hatte eine üble Nacht", "R. instrumentiert" - Zentrum alles Tuns in den von Marion Linhardt und Thomas Steiert herausgegebenen diaristischen Aufzeichnungen Cosima Wagners, geborene Liszt, geschiedene von Bülow ist stets der angebetete Wagner. Dies verwundert nicht weiter, ist doch das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts und die Ehe mit einem Mann, dessen chauvinistisches Verhältnis zum "Weib" nur müde kaschiert wird, sicherlich nicht der Zeitraum und das Umfeld, emanzipatorisches Gedankengut zu entfalten. Gleichwohl erstaunlich ist jedoch zu lesen, in welchem Maße Cosima Wagner ihr Leben nach Richard ausrichtet, wie sie sich selbst aufgibt und ihre "Daseinsschuld" nicht nur im Hinblick auf die geschiedene Ehe mit Hans von Bülow reflektiert, Demütigungen erträgt, jeden möglichen Widerspruch schon in statu nascendi verwirft und dem Genie in jeder Hinsicht eine von äußeren Einflüssen ungestörte Arbeitsatmosphäre nicht nur zu bereiten, sondern zu garantieren versucht: "Groß kann an mir aber nur die Widerspiegelung seines Lebens sein", vertraut sie schon kurze Zeit nach Beginn der Niederschrift am 13. Juni 1869 ihrem Tagebuch an - und diese Fixierung auf ihren Ehemann lässt sie auch die Niederschrift an seinem Todestag am 12. Februar 1883 beenden.

Cosima Wagner hat allerdings allen Grund, das Fortschreiten der Kompositionen ihres Mannes, "Der Ring der Nibelungen" und "Parsifal" zu schützen. Nicht nur tröpfeln die Tantiemen der "Meistersinger" spärlich, auch der bayerische König Ludwig II., der spendable Gönner und Bewunderer, kann nicht mehr die Apanage liefern, die er in Aussicht gestellt hatte, vermutete das Kabinett in München in Wagner doch einen letztlich politischen Umstürzler.

Ein gehobener Lebensstil (fünf Kinder, Daniela und Blandine in die Ehe mitgebracht aus der Verbindung mit dem Komponisten Hans von Bülow, die anderen drei, Isolde, Eva und das Lieblingskind Siegfried mit Richard Wagner und nicht zuletzt die Reisen nach Italien, der angeschlagenen Gesundheit Wagners wegen), fordern ihren Tribut. Geld wird zwar eingespielt, Spenden von Wagnerianern und großherzigen Förderern fließen, doch allzuoft sind die Opernhäuser leer, die Aufführungsrezensionen schlecht, so dass der finanzielle Druck wächst. Daran, da ist sich das Ehepaar Wagner schon vorab einig und lässt sich auch von Eindrücken Dritter nicht beeinflussen, ist vor allem eine Gruppe von Kritikern und Musikern schuld, die alles tut, um das Wagner'sche Werk zu diskreditieren. Allen voran Eduard Hanslick, der von Wagner als Beckmesser in den "Meistersingern" verspottete Wiener Musikkritiker, sowie Julius Lang und Ferdinand von Hiller: Mit ihrer Kritik dokumentieren sie in den Augen der Wagners nicht nur den Niedergang der deutschen Musikkultur, sondern des gesamten "Deutschtums" überhaupt, und so reihen sich die Beschimpfungen Wagners in den Tagebüchern aneinander, gipfelnd in paranoid anmutenden antijüdischen Ausfällen, die durch die Widmung der Tagebücher an die Kinder auch noch den Fortbestand über den eigenen Tod hinaus sichern sollen. "In 20 Jahren werden sie mit Stiel und Stumpf ausgerottet", "bleiben tun Ratten und Mäuse - die Juden", "in der Wunde eines armen Pferdes oder sonst ein Tier sieht man gleich einen Schwarm Fliegen" - die Animalisierung von Menschen, denen tradiert die Epitheta der Massenhaftigkeit, der Krankheit und des Schmutzes anhaften, spiegelt sich in der Feststellung, nicht nur der Adel kollaboriere mit den Juden, sondern auch die Börse.

Es sind alle Klischees versammelt, um Verschwörungstheorien auszuarbeiten, unterfüttert durch extensive Lektüren und Treffen mit den führenden Rassentheoretikern und antisemitischen Agitatoren der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Wilhelm Marr, Bernhard Förster, der Ehemann von Friedrich Nietzsches Schwester Elisabeth, Adolf Stoecker, Joseph Arthur Graf von Gobineau - das Who is Who des Rassenwahns, das übrigens weit über den Tod Wagners 1883 hinaus in der Ehe der Tochter Eva mit dem englischen Antisemiten Houston Stewart Chamberlain ihre familiengeschichtliche Fortführung finden wird.

Gerade vor einem solch vielfältigen personellen und buchkundlichen Hintergrund offenbart die Leseausgabe einige editorische Mängel. Sicherlich nicht zu kritisieren ist die von jedem Herausgeber zu leistende Auswahlentscheidung, die im Fall der Tagebücher auf der 1976 erstmals von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack herausgegebenen Ausgabe beruht. Sie ist grundsätzlich mehr als nur zu begrüßen, da sie die letzten Lebensjahre Wagners aus der Perspektive seiner Ehefrau beleuchtet und dabei den Blick für einen weiteren Leserkreis auf unter Umständen unterbelichtete Themen wie das Familienleben und das persönliche Umfeld der Wagners lenkt. Die (Selbst-) Beobachtungen Cosimas erhellen das Zeitgeschehen ebenso wie sie Einblick geben in Pläne und Werkgenese der Wagner'schen Kompositionen sowie Lektüren und ihre meist abendlichen Diskussionen, besonders im Hinblick auf die autobiografischen Implikationen bei "Tristan und Isolde". Doch sie benennen auch und vor allem Freund und Feind im Umfeld der Aufführungen des Wagner'schen Werks in Budapest und Paris, in Berlin und London, der Bayreuther Festspiele, des Baus von Wahnfried, kurz von Person und Werk Wagners und seiner zeitgenössischen Rezeption.

Doch allein gelassen bleibt auch der vorinformierte Leser nicht nur, wenn er mehr über den einen oder anderen Aufsatz Wagners bzw. die eine oder andere Bezugnahme auf Zeitungsartikel oder andere Publikationen wissen will. Er ist auch allein gelassen, wenn es um personenkundliche Hintergründe geht, die besonders im Hinblick auf die von den Herausgebern bald unterlassene, bald sporadisch durchgeführte Erfassung von Herrscherhäusern nicht unerheblich ist, spielen doch gerade sie im von chronischer Geldnot geplagten Wagner'schen Haushalt eine herausragende Rolle. Der also hier geforderte Kommentar bzw. ein profund kommentiertes Register unterbleiben. Auf problematische Weise deutlich wird dies beispielsweise an der mutmaßlichen Identifizierung der beiden Attentate auf den deutschen Kaiser Wilhelm I. im Mai und Juni 1878. Handelt es sich bei den Attentätern Max Hödel bzw. Eduard Nobiling, wie Cosima überlegt, nun um Katholiken, Sozialisten oder Protestanten? Insbesondere da sich hier längere Reflexionen über den politischen und kulturellen Zustand Deutschlands und den von den Wagners begeistert gefeierten Reichskanzler Bismarck anschließen, dem es durch die Attentate gelang, Revolutionsängste zu schüren und die so genannten Sozialistengesetze auf den Weg zu bringen, wäre ein klärendes Wort der Herausgeber wünschenswert gewesen. Schmerzhaft ist es auch zu lesen, dass Cosima auf dem Tagebuch beigelegte Notizen Wagners hinweist, deren mangelde Dokumentation den ganzen Sachverhalt im Dunkeln belassen. Man ärgert sich mit ihr, die am 28.11.1879 notiert: "Beim Kaffee Suchen nach dem Besen- und Jugendgedicht von Goethe, auch Pustkuchen, und nicht gefunden, kein rechter Index!"

Und so gelangt man doch zur Diskussion um Auswahl und Anlage des Buches. Wäre es nicht leserfreundlicher gewesen, den einen oder anderen Tageseintrag, der sich beispielsweise mit den Hunden der Wagners beschäftigt oder wiederholt das Interieur von Waggons und Hotels schildert, also Abseitiges einzusparen und stattdessen dem Register (und einem ausführlicheren Vorwort) die Aufmerksamkeit zu schenken? Wäre es außerdem dem Verständnis der Texte nicht zuträglich gewesen, fiktive Personen oder Fremdwörter wie "dissuadieren", "ruminieren" und "interpellieren" aufzulösen? Da dies unterlassen wurde, bleiben die Tagebücher in dieser Edition streckenweise in einer Dunkelheit haften, die den Lesegenuss beeinträchtigt und allzu oft den Zugang zu der "wohl bedeutendsten privaten Quelle des 19. Jahrhunderts" (Brigitte Hamann) erschwert.


Titelbild

Cosima Wagner: Tagebücher. Ausgewählt von Marion Linhardt und Thomas Steiert.
Mit einem Vorwort von Brigitte Hamann.
Piper Verlag, München 2005.
479 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3492047106

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