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Drei Bücher geben Einblick in die Legendenwelt des Fußballs und stellen zwei wichtige Protagonisten vor

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein ganz außergewöhnlicher Job ist der des Bundestrainers. Das ist er auch deshalb, weil derjenige, der ihn innehat, ihn sich teilen muss mit 80 Millionen Bundesbürgern, oder zumindest den männlichen Bundesbürgern, die BILD-Zeitungsleser sind. Stimmt das? Stimmt das nicht?

Wolfgang Hars macht in seiner Abhandlung der "wundersamsten Fussballirrtümer und -legenden" zumindest deutlich, dass sich die Fachkundigkeit der potentiellen Bundestrainer auch aus Kenntnissen herleitet, die auf ihren Wahrheitsgehalt erst zu überprüfen sind. Weil das bislang nicht geschah, können von all den Fußballexperten immer wieder Behauptungen im Gestus des Experten eingeführt werden, die in Wirklichkeit nichts als Irrtümer und Legenden sind.

Beispiele gefälligst: Wehe dem Trainer, der noch behauptet: "Der Gefoulte soll den Elfmeter nicht selber schießen": "Stimmt nicht"! Schnöde Statistik weist nach, dass es "im Endeffekt keinen großen Unterschied [macht], wer den Elfmeter schießt. Wenn es der Gefoulte war und der dann auch noch danebenhaut, hat man hinterher wenigstens eine Entschuldigung." In letzterer Bemerkung deuten sich tiefere psychologische Geheimnisse der Teamführung an, die wir indes an dieser Stelle unbeachtet lassen. Statt dessen erst einmal weitere Beispiele: "Ballbesitz ist wichtig". Von wegen: "Stimmt nicht". Einen "Klassiker unter den Fußballmärchen" nennt der Autor diese von sämtlichen TV-Datenbanken so plausibel dokumentierte Weisheit. "Der Glaube kommt wahrscheinlich daher, dass man denkt, wenn wir den Ball haben, können die anderen kein Tor schießen." So wie bei der EM 2000 vielleicht? Eindeutiger "Europameister im Ballhalten" war Deutschland, ausgeschieden sind sie bereits in der Vorrunde. Was sagt also die Statistik? Fast 80 Prozent der Tore fallen nach schnellen, kurzen Pässen, nach schnellen Kontersituationen, bei denen man dem ballschiebenden Gegner denselben abgejagt hat. Tröstlich: Zumindest die Statistik der gewonnenen Zweikämpfe hat Aussagekraft: Zweikämpfe gewinnen bedeutet tatsächlich Spiele gewinnen!

Nicht nur solchen strategisch-sportlichen Legenden und Irrtümern widmet sich der Autor. Er 'erläutert' die Sache mit den Frauen und dem Abseits ebenso wie die vor allem bei Holländern nach wie vor relevante Behauptung, ihre Mannschaft sei im verlorenen WM-Finale gegen die Deutschen 1974 doch die bessere Mannschaft gewesen. Naja, sie haben verloren ... Hinterfragt werden aber auch solche Geschichten, wie die, ob Berti Vogts den späteren Golden-Goal-Schützen Oliver Bierhoff nur deshalb zur gewonnenen EM 96 mitgenommen hat, weil seine Frau Monika das wollte, oder ob "kein Sex vor dem Spiel" die richtige Einstellung ist. Muss man das alles wissen? Wer das alles weiß, der kann jedenfalls mit mehr Recht den Bundestrainerposten beanspruchen.

Den besetzt zur Zeit Jürgen Klinsmann. Michael Horeni, als Sportredakteur bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ein Kenner der Geschehnisse um die Nationalmannschaft, legt eine zupackende Interpretation des Werdegangs sowie der Ziele des ungewöhnlichen schwäbischen Fußballers vor. Gewöhnungsbedürftig für den bieder-behäbigen Fußballbetrieb in Deutschland war bereits der Spieler Jürgen Klinsmann. Bezeichnend eine Episode, die sich anlässlich des Dienstantritts bei Inter Mailand ereignete. Dort traf der Schwabe auf die Mitspieler Andreas Brehme und Lothar Matthäus. Letzterer forderte den Neuen durchaus gutgemeint bei der Zimmerbelegung im Trainingslager auf: "Jürgen, du kommst zu uns!" Aber Jürgen wollte nicht, denn er wollte neue Leute und Mentalitäten kennen lernen, wollte eine andere Sprache sprechen. Interessant ist nun, dass er seine Motivation den beiden Kollegen zu erläutern suchte. Vergeblich, misstrauisches Unverständnis war die Reaktion. Eine typische Haltung, mit der das deutsche Fußballestablishment Klinsmanns eigenwillige und konsequente Amtsführung als Bundestrainer bis heute beobachtet: Sei es das Engagement zusätzlicher Fachleute bei der Trainingsarbeit, die kompromisslose Haltung bei der Durchsetzung eigener Ansprüche vom WM-Quartier der Deutschen Mannschaft bis hin zur Organisation des privaten Lebens - immer misstraut man dem, was man nicht kennt.

Horeni schildert nun anschaulich und mit interessanten Informationen das "System Klinsmann" und die von ihm verfolgte "Mission 2006". Die Grundlagen für die Klinsmann'sche Arbeitsweise wurden bereits lange vor seinem DFB-Engagement in der gemeinsam mit den Ex-Adidas-Managern Mick Hoban und Warren Mersereau geführten Unternehmung "soccersolutions" gelegt. Bei näherem Hinsehen ist dies alles zwar kaum mehr als eine freilich immer akribisch vorbereitete Arbeitsweise mit modernen Methoden des Organisations- und Projektmanagements, doch im Fußballbereich erscheint dies vielen 'revolutionär'.

Zum System gehört auch das Leitbild des selbstständigen Sportlers: Deutsche Fußballer aber, so Klinsmann, sind eher noch in der "Nehmerrolle". Die konsequente Schlussfolgerung: Hier ist ein gewaltiges Potenzial zu aktivieren! Dabei hilft ihm eine Fähigkeit, die ihn bereits als Spielführer der von Berti Vogts trainierten Europameistermannschaft von 1996 auszeichnete: Er kann einen "Stimmungsumschwung" erzeugen und damit ein Zusammengehörigkeitsgefühl wecken, welches zusätzliche Energien bei allen Beteiligten freisetzt. So wie man es braucht, wenn man mit der WM 2006 auch "eine Mission für Deutschland" verfolgt und "als Bundestrainer seinen Teil zu einem erneuerten Deutschland beitragen [will] und auf ein reformfähiges, zuversichtliches und mutiges Land sehen" möchte. "Das", so schließt die Klinsmann-Betrachtung, "ist der große Traum von Jürgen Klinsmann."

"Anders als Beckenbauer hatte sich Klinsmann schon als Spieler immer eine gewisse Distanz zum Fußball erhalten [...]. Er wollte sich selbst bilden, nicht von anderen geformt werden. In vielerlei Hinsicht verkörperte er damit das genaue Gegenteil von Beckenbauer." Dies schreibt Torsten Körner in seiner in "enger Zusammenarbeit mit Franz Beckenbauer" entstandenen Abhandlung über 'die' Lichtgestalt des deutschen Fußballs, "den Kaiser" Franz Beckenbauer. Im Projekt WM 2006 sind sich beide dann aber doch verblüffend nah: Dass Beckenbauer die WM nach Deutschland holen konnte, beschreibt er selbst als seinen größten Erfolg, und da passt es nur, dass Klinsmann selbstbewusst das einzig angemessene sportliche Ziel formulierte: den Weltmeistertitel.

Ein Titel, den Beckenbauer als Spieler und als Trainer respektive Teammanager erringen konnte. Damit aber erschöpfen sich die Ähnlichkeiten zwischen dem jetzigen Verantwortlichen für die Nationalmannschaft und Franz Beckenbauer. Wie dieser das wurde, was er heute ist, schildert Torsten Kröner chronologisch in den Kapiteln "Das Kind", "Der Spieler", "Der Teamchef" und "Der Kaiser". Jedes Unterkapitel leitet er ambitioniert mit einem Zitat ein. Das kann, wie im Kapitel "Seine kleine Welt" über die bescheidenen familiären Ursprünge Beckenbauers im Münchner Kleine-Leute-Stadtviertel Giesing auch schon mal Schiller sein: "Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt." Albert Camus' Aussage "Alles, was ich von Moral und Pflichten weiß, verdanke ich dem Fußball" leitet das Kapitel "Auf dem Sprung" zum erfolgreichen Fußballprofi bei Bayern München zu Beginn der 60er Jahre ein. Das Kapitel "Der Guru" beschreibt den kurzen Moment des Nachsinnens nach dem gewonnenen Weltmeistertitel 1990, und passend liefert Hermann Hesse das Motto: "Wer aber sein Schicksal liebt, und sich mit ihm eins weiß - was fragt der nach langem Leben, nach Ruhm, nach Rang, nach Reichtum?" Die Amerika-Episode des Spielers Beckenbauer bei Cosmos New York Mitte der 70er Jahre leitet Franz Kafka ein: "'Ist denn das Ganze wirklich so groß?' fragte Karl. 'Es ist das größte Theater der Welt', sagte Fanny".

Nicht ganz so imposant, wie es die derart ausgesuchten Zitate suggerieren, ist die tatsächliche Lebensgeschichte Franz Beckenbauers. Etwas Getriebenes wird deutlich bei allen Erfolgen, die seine Biografie begleiteten. Immer war und ist eine Anstrengung spürbar, Erwartungen gerecht werden zu müssen, vor allem solchen, mit denen er außerhalb des Spielfelds konfrontiert wurde. Der gesellschaftliche Aufstieg, der bei Beckenbauer, dem weltgewandten Gesprächspartner von Staatsmännern ebenso wie von Showgrößen so selbstverständlich wirkt, hat immer doch auch etwas Befremdliches. Es spricht für dieses ansonsten zuweilen etwas zu eng an Beckenbauer angelehnte Porträt, dass deutlich wird, wie sehr am Ende doch Giesing das eigentliche Reich des "Kaisers" ist. Es entsteht eine melancholisch-nachdenkliche Wehmut: das Weltenkind, woher es kam, wohin es geht ...


Titelbild

Michael Horeni: Klinsmann. Stürmer - Trainer - Weltmeister.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
318 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3502150451

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Titelbild

Wolfgang Hars: Nullkommafünfzunull. Die wundersamsten Fußballirrtümer und -legenden.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
240 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3502150222

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Titelbild

Torsten Körner: Franz Beckenbauer. Der freie Mann.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
381 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3502183910

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