Viel Nacherzählung, wenig Leben

Dawn Sova verspricht in ihrem "Großen Agatha-Christie-Buch" mehr, als sie hält

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine fleißige Frau: 78 Kriminalromane, 8 Liebesromane, 19 Theaterstücke, über 100 Kurzgeschichten und ein paar Gedichte. Eines ihrer Theaterstücke läuft seit 1952 ununterbrochen: "Die Mausefalle". Kein Zweifel: Agatha Christie war eine der produktivsten Autorinnen der Welt. Und ist immer noch eine der beliebtesten: Die Auflagen gehen in die Milliarden. Nur die Bibel und Shakespeare verkaufen sich mehr, weltweit. Agatha Christie selbst wollte allerdings nie große Literatur schreiben: "Ich halte meine Arbeit nicht für wichtig - ich wollte die Leute nur unterhalten." Zunächst wohl auch sich selbst. Sie fing an zu schreiben, weil ihr langweilig war, wenn ihr Mann in der Bank arbeitete.

Ein großes Lexikon, das die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Dawn B. Sova geschrieben hat, verspricht, "ihr Leben und ihre Romane von A - Z" vorzustellen. Bei den Romanen ist ihr das auch größtenteils gelungen. Von "Alibi" (The Murder of Roger Ackroyd), ihrem wohl umstrittensten Buch, weil sie hier mit den Regeln des klassischen Whodunit brach, bis zu "Wiedersehen mit Mrs. Oliver" werden die Romane nacherzählt, nach dem Schema: Entstehungsgeschichte, Personenliste, Handlung und eine Abschlussanmerkung. Vor allem die Handlung ist sehr ausführlich ausgebreitet, nach Kapiteln gegliedert, in denen die meisten Einzelheiten, Verdachtsmomente, Verhöre etc. genannt werden. Manchmal sogar zu ausführlich.

Bei den Verfilmungen und den Theaterstücken fehlen die wichtigsten Daten wie Angaben zum Regisseur und zur Produktion. Dieser Teil geht aber in den meisten Punkten in Ordnung, wie auch die Nacherzählung ihrer Stories.

Alles andere aber, vor allem ihr reiches, spannendes und abwechslungsreiches Leben, kommt viel zu kurz. (Zudem hat der deutsche Lektor wohl noch nie etwas von einer übersichtlichen Gliederung gehört, bei der man erwartet, dass die Haupteinträge auch optisch so groß sind, dass man sie auf den ersten Blick erkennt. Und nicht kleiner und dünner als die Überschrift dritter Ordnung in den Handlungsbeschreibungen.)

Von Agatha Christies vielen Figuren, vor allem den Nebenfiguren, erfahren wir nur in reichlich kurzen Abrissen etwas, vom Privatleben der Autorin erfahren wir fast nichts. Natürlich hat Agatha Christie selbst auch nur recht wenig über sich verraten, hat immer, wie Sova selbst schreibt, "großen Wert auf ihre Privatsphäre" gelegt und nur wenige Interviews gewährt. Aber immerhin hat sie eine sehr ausführliche Autobiografie geschrieben, "Meine gute alte Zeit", in der sie doch einiges ausplaudert. Und es gibt natürlich auch schon eine kleine Liste mit wissenschaftlichen und biografischen Werken über sie, aus der Sova hätte schöpfen können und müssen. So erfahren wir manchmal nicht einmal die Grunddaten.

Wann wurde ihr zweiter Ehemann, Max Mallowan, geboren? Wann starb er genau? Wann dessen nächste Frau und frühere Sekretärin? Was genau machte er als Archäologe? Was machte sie zu der Zeit? Nein, sie machte nicht nur Fotos. Sie recherchierte auch für ihre Romane, von denen viele, wie "Tod auf dem Nil" oder "Der Tod wartet", im Nahen Osten spielen. Gibt es dazu Einträge bei Sova? Luxor, Ägypten, Mosul? Gibt es nicht. Auch das Geburtsdatum ihres ersten Mannes verschweigt die Lexikonschreiberin schamhaft, und ihre Tochter Rosalind kommt weder unter Christie noch unter Pritchard vor. Unter Hicks findet man einen winzigen Eintrag, den man nicht gefunden hätte, wenn man im Biogramm über Agatha nicht den Namen Hicks gelesen hätte. Sova huscht über viele Details mit einer derartigen Grandezza hinweg, als hätte sie nicht im Untertitel auch Agatha Christies "Leben (...) von A - Z" versprochen. Fazit: in der Nacherzählung der Romane hilfreich, ansonsten ungenau, oberflächlich und unbrauchbar.


Titelbild

Dawn Sova: Das große Agatha Christie-Buch. Ihr Leben und ihre Romane von A bis Z.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Tatjana Kruse.
Scherz Verlag, München 2006.
208 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3502150516

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