Ein Schneemobil mit beheizten Handgriffen

Stan Jones erzählt in "Schamanenpass" von den Traditionen und der Modernität der Eskimos

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch die Inupiat (sprich: Inupat), die Eskimovölker im nördlichen Alaska, haben ihren Ötzi. Allerdings ist der erst achtzig Jahre tot. Mumifiziert irgendwo in der Wildnis gefunden und in das Ortsmuseum von Chukchi gebracht worden. Spitzname: "Onkelchen Frost". Aber plötzlich verschwindet er spurlos. Zwei Tage später ist der alte Victor Solomon tot, aus seiner Brust ragt die Harpune, die zu "Onkelchen Frost" gehörte. Verdächtigt wird natürlich sofort der junge traditionsbewusste Calvin Ray Maiyumerak, der gegen die Ausstellung der Leiche in einem Museum protestiert hat - normalerweise werden die Toten in der Wildnis ausgelegt und von wilden Tieren gefressen: Damit kehren sie zur Erde und in den Kreislauf des Lebens zurück. Und natürlich verschwindet Maiyumerak: Die beste Art, sich verdächtig zu machen. Wie gut nur, dass er in der Wildnis Alaskas gar nicht untertauchen kann. Irgendwann muss er bei irgendjemandem wieder auftauchen. Allein und nur auf sich gestellt kann man im ewigen Winter nicht überleben. So hat der Alaska State Trooper Nathan Active Zeit genug, um zu ermitteln. Und er merkt recht bald, dass der Fall nicht so einfach ist, wie er dachte. Es geht um die Geschichte der Besiedlung Alaskas, um die alten Zeiten, in denen die Schamanen noch mächtig waren und sich kaum jemand gegen sie auflehnte.

Mit einem einfachen, sehr wirkungsvollen Trick schafft es Stan Jones auch in "Schamanenpass", dem dritten Teil seiner Nathan-Active-Krimireihe, den Leser in die Eskimo-Welt einzuführen: Sein Nathan Active ist ein Außenseiter. Er wurde zwar als Inupiat geboren, aber dann von Weißen adoptiert. Und so gilt er immer noch als "Naluaqmiiyaaq" - als ein Eskimo, der sich nicht wie einer benimmt. An manches erinnert er sich, vieles aber weiß er selber nicht, sodass er immer wieder nachfragen muss. Und so werden auch dem Leser die Geschichte, die Riten, die Denkweise der Inupiat immer wieder erklärt. Manchmal auch ganz humorvoll: Als Active sich ein Schneemobil kauft, machen sich die Alteingesessenen darüber lustig, dass es lila ist und beheizte Handgriffe hat: ein Frauenmodell. Da lacht der hartgesottene Eskimo.

Natürlich bietet der Roman alles Vorhersehbare: Verfolgungsjagden auf Schneemobilen, tobende Schneestürme, eine ewige Eiswüste, Karibus und zugefrorene Seen, Buschpiloten und mutige Cops, aufrechte und geldgierige Eskimos, Sagen und Mythen, alte Rituale und neue Gewohnheiten. Aber der wohl wichtigste Strang dieses spannenden und gut konstruierten Kriminalromans ist die Geschichte um Schamanenkult und Christianisierung, um den Kampf der Freigeister gegen die alten Traditionen. Jones' wohlbegründete und gut erzählte These: Solche Tradition ist nicht einfach gut oder schlecht. Auch die alten Schamanen haben um ihre Macht gekämpft, haben, wenn es sein musste, auch gemordet. Dabei beruht der Roman auf wirklichen Begebenheiten. Es gab tatsächlich im 19. Jahrhundert einen heute fast vergessenen sozialreformerischen Inupiat, der sah, was kam und was kommen musste und die Ureinwohner auf die nicht aufhaltbare Moderne vorbereiten wollte.


Titelbild

Stan Jones: Schamanenpass.
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Friedrich.
Unionsverlag, Zürich 2006.
274 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3293203558

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