Wer ist Richard Burton?

Ilija Trojanow erzählt aus vielen Perspektiven von einem Abenteurer, einem Spion, einem Forscher

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Er starb früh am Morgen, noch bevor man einen schwarzen von einem weißen Faden hätte unterscheiden können." Kaum ist er tot, kaum ist die Totenwache beendet, ruft die Witwe ihre Hausgehilfin und die den Gärtner: "Er errichtete einen kleinen Scheiterhaufen, wie im Dorf zur Sonnenwende." Dann gab sie ihm ein Buch: "Fast hätte sie ihn berührt. Etwas Hilfloses verbarg sich in ihrem Befehl. Sie selbst würde das Buch nicht in das Feuer werfen. Er befingerte den Deckel, die Flecken, die Naht, wich ein wenig von den Flammen zurück, strich über das Leder, auf der Suche nach einer Erinnerung, bis ihm einfiel, wonach es sich anfühlte - nach der Narbe auf dem Rücken seines Erstgeborenen." Als schließlich die Hausgehilfin das Buch ins Feuer wirft, "krümmte sich der Einband wie ein verwachsener Zehennagel [...]. Das Kamelleder brennt, eine Grimasse knackt, Seitenzahlen brennen, Pavianlaute glühen, Marathi, Gujarati, Sindhi verdampfen, hinterlassen krakelige Buchstaben, die als Funken aufflattern, bevor sie als Kohlenstaub hinabsinken."

Auf einem Scheiterhaufen wollte die Witwe von Richard Burton alles loswerden, was ihr nicht gefiel, was der Nachwelt nicht erhalten bleiben sollte. Ein makelloser Viktorianer sollte er sein, nicht ein Herumtreiber, ein Exzentriker. Aber nun steigt der Rauch auf und verbindet sich zu einem großartigen, bildhaften, rauschartigen, sehr überlegten und sinnlichen Roman, dem Roman eines abenteuerlichen Lebens, eines Gelehrtenlebens, eines Entdeckerlebens. Mit dieser starken Eingangsszene beginnt Ilija Trojanow. Was hier in Rauch aufgeht, die poetische Existenz, die geheime Biografie; all das wird von ihm aufbewahrt und eingefangen, recherchiert und erfunden.

Richard Burton war schon zu Lebzeiten eine Legende. 1821 wurde er in Barham House, Hertfordshire, geboren, als 21-Jähriger wurde er als Offizier der Ostindischen Gesellschaft nach Indien versetzt. Gelangweilt vom eintönigen Dienst und neugierig auf dieses schillernde Land, das keiner seiner englischen Kollegen wirklich kannte, lernte er in kurzer Zeit mehrere Sprachen, darunter Hindi, Arabisch und Farsi. Sehr erfolgreich war er als englischer Spion tätig, weil er sich wie ein Einheimischer bewegen konnte. Später ließ er sich beschneiden und trat zum Islam über, verkleidete sich in den 1850er Jahren als indischer Muslim, fuhr nach Kairo und pilgerte von dort nach Mekka und Medina. 1855 veröffentlichte er eine dreibändige Reportage über seine Pilgerfahrt: Da erfuhr die christliche Welt zum ersten Mal genau vom Leben der Muslime, von ihrer Religion, von ihrer Kultur. Das Buch machte ihn schlagartig weltberühmt.

1857 fuhr Burton zwei Mal nach Ostafrika und suchte, wie so viele andere, die Nilquelle. Zusammen mit John Speke fand er den Tanganjika- und den Viktoriasee. 1861 gelang ihm mit dem deutschen Botaniker Gustav Mann die Erstbesteigung des Kamerunbergs. Er bereiste die ganze Welt, besuchte den Mormonen-Propheten Brigham Young im neu gegründeten Salt Lake City. Später wurde er Konsul in Syrien, Brasilien und Triest, wo er 1890 starb. Er schrieb über 60 Bücher, auch Gedichte, und übersetzte Lyrik aus dem Italienischen, Persischen und Portugiesischen. (22 Sprachen soll er am Ende seines Lebens gesprochen haben oder 29, die Dialekte gar nicht erst mitgerechnet.) Und er publizierte asiatische, erotische Geschichten, in denen er keine Einzelheit ausließ, sondern wortgetreu jede "Stellung" beschrieb. Er übersetzte die Sammlung "Tausendundeine Nacht", den "Duftenden Garten" und kommentierte sehr klug und genau das Kamasutra. Das war dann ein Skandal, den noch die Witwe mit ihrer Verbrennung vertuschen wollte: So etwas tut ein englischer Gentleman nicht.

Ilija Trojanow erzählt drei Episoden aus diesem spannenden, einzigartigen Leben. Sie spielen in Indien, auf der Reise nach Mekka und in Ostafrika. Aber er erzählt nicht gradlinig biografisch. Trojanow erlaubt weiteren Stimmen, sich dem Erzähler anzuschließen, ihn zu ergänzen, ihn auch zu korrigieren oder wenigstens eine weitere Sicht anzufügen. In Indien erzählt Burtons Diener Naukaram einem Schreiber seine Erinnerungen, erzählt auch von seiner Eifersucht wegen der Kurtisane Kundalini, die er ihm erst besorgt hat. Die Mekka-Reise Burtons wird immer wieder unterbrochen von den Berichten einer osmanischen Untersuchungskommission, die im Auftrag des türkischen Sultans die Hintergründe dieser Reise erforschen soll: Welche islamischen Gesetze hat er übertreten? Und hat er dabei nicht nur wissenschaftliche, sondern vielleicht auch andere Informationen, fürs britische Militär etwa, gesammelt? Vom gefahrvollen Marsch zum Tanganyikasee berichtet ein Träger, Sidi Mubarak Bombay, respektvoll und doch auch manchmal spöttisch von den Engländern und ihren seltsamen Angewohnheiten, die sie in den Augen der Afrikaner ziemlich unberechenbar erscheinen ließen.

Mit diesem kleinen Trick wird der Roman nicht nur reich an Stimmen, reich an Erzählungen, reich an Perspektiven. Nicht immer stimmt das, was der Erzähler weiß, mit dem überein, was die anderen erzählen. Einiges weicht stark voneinander ab, sehr vielfältig und manchmal sogar widersprüchlich wird das Bild, das wir von Burton bekommen, von seinem Liebesleben, von seinen doch immer noch im 19. Jahrhundert verhafteten Ideen über Indien und Arabien, von den Sprachen und Gewohnheiten der Menschen, denen er begegnet. Manchmal scheint es gar, als gäbe es eine unüberbrückbare Kluft, einen Riss, der durch seine Existenz geht und die er, auch wenn er es anders erlebt, niemals überwinden kann. Auch wenn er meint, er sei wie ein Einheimischer, auch wenn er sich tatsächlich in viele Personen so sehr verwandelt, dass er manchmal selbst nicht mehr zu wissen scheint, wer er wirklich ist, auch wenn er sich von den Briten sogar lieber foltern lässt als seine Verkleidung aufzugeben - die Stimmen des Dieners und des Trägers lassen manchmal ahnen, dass es nicht so war. Oder haben die beiden Unrecht? Aus Eifersucht, aus Unverständnis? Trojanow lässt das ganz klug offen.

Und so wird aus diesem schmökerhaften, sinnlichbunten, farbenprächtig prallen Abenteuerroman auch ein reflektierter, intelligenter Essay über den Exotismus, über die Sehnsucht Europas nach einem ganz anderen Leben, nach der Fremde, die sich in ein anderes Eigenes verwandeln soll. Über die Fremde, die so fremd bleibt, dass nur noch die arrogante Beherrschung übrig bleibt, wie im Fall der Engländer, die Indien nie verstanden haben.

Trojanows Buch ist ein sensibler, lebendiger, witziger, spannender Roman über den Zusammenprall der Kulturen. Und das ist nicht nur bedrohlich und beängstigend. Es ist auch erfüllend, anregend, reizvoll und kann, wenn man sich darauf einzulassen vermag, die ganze Persönlichkeit öffnen und verändern.


Titelbild

Ilija Trojanow: Der Weltensammler. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2006.
480 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3446206523

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch