Das Grauen aus Schweden

Ulrike Schnaas begibt sich in ausgewählten zeitgenössischen Romanen auf die Spur des Fantastischen

Von Daniel J. GallRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel J. Gall

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einem sympathischen Versuch einer Rehabilitation des eigentlich schon totgeglaubten Fantastischen nimmt sich Ulrike Schnaas vier zeitgenössische Romane mit dem Ziel vor, ihre Methoden und Funktionen darzustellen. Schnaas' Auswahl umfasst die schwedischen Autorinnen Marie Hermanson und Majgull Axelsson, sowie die Österreicherin Elfriede Kern und die Deutsche Karin - allesamt Autorinnen, denen in den 1990ern der Durchbruch gelang und denen Schnaas mit einem gewissen kanonischen Auftrag offenbar zu mehr Bekanntheit verhelfen will.

Schnaas folgt dabei nicht dem weitgefassten anglo-amerikanischen Fantastikbegriff, sondern konstruiert ihren Ansatz auf der Grundlage von Tzvetan Todorovs heftig diskutierter strukturalistischer "Einführung in die fantastische Literatur", in der er 1970 kurzerhand den Tod der Fantastik erklärte, die seiner Meinung nach durch die Methoden der Psychoanalyse überflüssig wurde, da eine weitere literarische Sublimation nun nicht mehr nötig war - von dieser unsinnigen und widerlegten, gleichwohl aber immer noch dogmatisch verehrten These verabschiedet sich jedoch auch Schnaas ohne weiteres Aufsehen. Demzufolge definiert sie die Fantastik eben nicht nur über die Anwesenheit wie auch immer gearteter fantastischer Elemente. Vielmehr setzt sie mit Todorov eine ambivalente Textstruktur voraus, die den Leser in einem Zustand der Unschlüssigkeit über den Realitätsgehalt des Gelesenen lässt. Das mag irgendwo redundant sein, weil sich die von Todorov angerissene Kategorie der Unschlüssigkeit in jedem Text - zumindest ganz sicher in jedem fantastischen Text - wiederfinden lässt, bietet aber auf jeden Fall eine gewisse terminologische Sicherheit angesichts der Tatsache, dass der Begriff des Fantastischen notwendigerweise etwas ambig und indefinit ist. Das Fantastische, so will es schon der Titel der Dissertation, wird hier als Erzählstrategie verstanden, die die Genregrenzen selbstverständlich überschreitet und in verschiedenen Genres produktiv eingesetzt werden kann.

Im Anschluss an ihre konzise und schlüssige theoretische Grundlegung wendet sich Schnaas ausführlich und schematisch den Texten zu: jedem der vier ausgewählten Romane wird ein Kapitel gewidmet. Kurzen Inhaltsreferaten folgen werkspezifische Untersuchungen zu Verfahren und Funktionen des Fantastischen, wobei gewisse Schwerpunkte gesetzt werden. So ist Schnaas bemüht, immer wieder intertextuelle Zusammenhänge zu unterstreichen und stellt dadurch sinnvolle Bezugspunkte zu den (Erzähl-)Konventionen der anglo-amerikanischen Gothic Literature und der Märchenliteratur her. Klassische Schauer-Motive wie der "mad scientist" und der "locked room" werden geortet und auf ihre Verwendung hin überprüft, was natürlich auch der Verankerung ihrer Textauswahl in einer langen literarischen Kontinuität dienlich ist.

Schnaas verneint in ihrer Einleitung zwar noch einschränkend, "daß dieser Studie die These vom Phantastischen als einer weiblichen Schreibweise zugrunde liegt." Interessanterweise rekurriert die Arbeit dann aber immer wieder auf diese eigentlich ausgeschlossene Arbeitshypothese und stellt das Fantastische auch als Demontage des Schriftstellers (im Fall von Karin Duves "Regenroman") und als Stärkung und Hinterfragung der Schriftstellerin (im Fall von Marie Hermansons Roman "Värddjuret") dar, bis das Schreiben selbst zur weiblichen Macht- und Kontrollmöglichkeit wird.

Umfassendere Perspektiven werden in der Arbeit ausgelassen. Das keinewegs ungespannte Verhältnis von Postmoderne und Fantastik wird nicht weiter thematisiert, gleichwohl aber im praktischen Beispiel widerlegt, denn Schnaas schafft es mit ihren peniblen Textanalysen, das Fantastische als nach wie vor gerne verwendeten intertextuellen Modus nachzuzeichnen, dem es nicht an Produktivität mangelt. Es geht eben ganz um das Wie, und ihre Untersuchung will darlegen, "wie zeitgenössische Texte mit dem Phantastischen arbeiten." Diesem Anspruch wird die Arbeit freilich ohne Weiteres gerecht.


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Ulrike Schnaas: Das Phantastische als Erzählstrategie in vier zeitgenössischen Romanen.
Almqvist & Wiksell International, Stockholm 2004.
213 Seiten, 28,76 EUR.
ISBN-10: 9122020543

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