Der Cyborg und wie er zum Klischee verkam

Robot Chicks last all Summer long: "Abenteuer einer künstlichen Frau" von Thomas Berger

Von Stefan MeschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Mesch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Andrew Niccols Genetik-Thriller "Gattaca" 1997 Premiere feierte, schaltete die Produktionsfirma ganzseitige Anzeigen in verschiedenen Nachrichtenmagazinen: "Wir verändern Ihr ungeborenes Kind: Augenfarbe, Größe, IQ - alles nach Maß." Die vorgebliche Bestell-Hotline konnte sich vor Anfragen nicht retten: der Wunsch, jeden biologischen Zufall zu eliminieren, ist alarmierend hoch. Moralisten würden an dieser Stelle selbstverständlich fragen, wo das alles noch hinführen soll. Wie weit wir noch entfernt sind von RePet, der Haustier-Klon-Firma aus "The Sixth Day"? Oder von der Tyrell Corporation aus "Blade Runner" mit ihren Replikanten-Arbeitssklaven vom Fließband und dem vollmundigen Slogan "More Human than Human"?

Als wäre es auch ohne Gen- und Animatronik-Schauermärchen nicht bereits schlimm genug in der bösen, kranken Medienwelt: Abend für Abend lästern C-Promis in drögen "Die 100 schlimmsten..."-Ranking-Shows über die Verfehlungen von B-Promis. Woche für Woche rennen Feuilletonisten wie kopflose Hühner durchs Diskursdickicht der Gegenwart und erklären allerlei prima Sachen (Postmoderne, Spaßgesellschaft, Popliteratur) für tot, vorbei, erledigt. Und Tag für Tag kriegen fiese Boulevardtanten Zeilengeld für Bildunterschriften à la: "Schöne Michelle Williams (25) - warum hast du dich von Heath Ledger (27) schwängern lassen? Der sieht doch aus wie Aufschnitt mit Staubmäusen drauf!"

Schön ist das nicht. Und informativ leider auch nicht: Warum kommen mediale Stellungnahmen immer so polemisch daher? Warum kommt Polemik immer so negativ daher? Und warum müssen sich Medienmenschen immerfort in künstliche Wut hineinsteigern und blind drauflosdreschen, von morgens bis abends gespielt hysterisch durch Zeitung und Flimmerkiste nölen, damit ihnen überhaupt noch jemand zuhört? Pfarrhauspolemik, Panikmache, vorgekauter Meinungseinheitsbrei allüberall: ach Menno! Wenn sie denn wenigstens ernst gemeint wäre, die mediale Nonstop-Entrüstung... Nix da. All die überlauten Jetztzeit-Kommentatoren und "Meinungsmacher" spielen ihre Rolle absichtlich mies, regen sich über derart uninteressante Dinge auf, dass der Zuschauer sich inmitten blöder Kommentare über blöde Leute beruhigt als Einäugiger unter den Blinden fühlen kann: schlecht gemachte Pseudo-Kritik als gesellschaftliches Sedativum, die Nivellierung jedes Standpunkts zur TED-Umfrage, gespieltes Entsetzen als Quotenbringer: böse, kranke Medienwelt eben.

Nur ein Genre darf hemmungslos pessimistisch sein, die Welt in den düstersten Farben ausmalen, ganz ohne tongue-in-cheek-Attitüde und ironische Brechung: Science Fiction. So lange der geschwenkte Zeigefinger am Computer animiert wurde, im Hintergrund avantgardistische Musik wabert und alle Frauen hautenge Catsuits tragen, lässt man sich auch ernstgemeinte Belehrungen gern gefallen. Und unter dem Deckmantel des Parabelhaften sind auch die banalsten Allgemeinplätze nett anzusehen (Stichwort Huxley, Orwell, Dick). Science Fiction ist keine bloße popkulturelle Resterampe. Sondern das letzte Podium für Künstler, die ein Publikum suchen, das noch empfindsam genug ist, um zerrüttet, verstört und kopfschüttelnd den Status Quo zu beklagen. Oder, um wieder polemisch zu werden: naiv genug.

Selbstverständlich verbirgt sich nicht hinter allen Utopien und Dark-Future-Szenarios profunde Anprangerei: ein paar Killerquallen machen noch kein Plädoyer für nachhaltiges Ressourcenmanagement. Und "Matrix" hat zwar in etwa soviel philosophischen Hintersinn wie "Star Wars" Bezug zum Fall der Weimarer Republik. Aber so lange etwas parabelhaft genug wirkt, um Tiefsinn zu suggerieren, ist es nicht schlimm, wenn man die Parabel nicht entschlüsseln kann. "Es ist voller Sterne!": der "2001"-Monolith als kultursymptomatischer Rorschachtest. "Deep Space Nine": eine siebenjährige Nonstop-Reflektion über - wenn man so möchte - den Palästinakonflikt. Und wer auf "Babylon 5" die Fußmatten anhebt, landet nicht im luftleeren Raum, sondern schnurstracks in den Polit-Diskursen der Gegenwart. Wenn er denn Lust hat, jedenfalls.

Trotzdem: muss man wirklich jede Geschichte über Roboter gleichzeitig als Meditation über Menschlichkeit lesen? Und ist jede Geschichte über weibliche Roboter immer auch irgendwie extremst feministisch, anarcho und paradigmenverschwurbelnd? Von der "Metropolis"-Maria bis zu "Seven of Nine", von Lara Croft bis zur Terminatrix: Feministinnen freuen sich 'nen Ast, wenn eiskalte Killermaschinen in hautengen Catsuits über die Bildschirme turnen. Anstatt zu hinterfragen, wer den Maschinenmenschinnen ihre riesigen Brüste angeschraubt hat, beklatschen Frauen-Frauen den Niedergang männlich kodierter technokratischer Omnipotenzphantasien, sobald streng frisierten Ex-Models Pumpguns aus dem Jochbein wachsen: "Spröde Donna Harraway (62) - dein feminstisches Cyborg-Manifesto macht soviel Sinn wie Aufschnitt mit Staubmäusen drauf!"

In dussligen Roboterfilm-Tiefgründigkeitsüberschätzungen ebenfalls weit vorn: "Die Frauen von Stepford", eine bitterböse Parabel über eine Provinzstadt voller Ehemänner, die ihre Frauen durch gehorsame Roboter ersetzen. Bereits die erste Verfilmung von Ira Levins 1973er-Roman war zu kurz und zu einfach gedacht ("Die Angst der Männer vor dem Feminismus..."), aber im 2004er-Remake brachten die Produzenten es dann auch noch fertig, dass die am roboterhaftesten agierende Person ausgerechnet der männliche (und menschliche) Hauptdarsteller, Matthew Broderick, war. Trotzdem reihum anerkennendes Raunen: "Eine beißend komische Satire auf eine Welt, von der die Männer immer noch glauben, sie hätten sie unter Kontrolle."

Huch, nein! Das ist keine "Stepford"-Kritikerstimme, sondern der Klappentext-Kommentar zu Thomas Bergers blödsinnigem Roman "Abenteuer einer künstlichen Frau". Und bevor man mich zu "Die 100 nervigsten Pfarrhauspolemik-Zeigefingerschwenk-Meinungsbrei-Resterampen-Rezensenten" einlädt, besser mal zum Thema: "Da er keine echte Frau fand, mit der ihn mehr als nur eine flüchtige Beziehung verband, beschloss Ellery Pierce, Techniker einer Firma zur Herstellung animatronischer Geschöpfe, sich selbst eine zu bauen", startet Berger seinen Roman. Er erzählt von Phyllis, einer wunderschönen, knallharten Cyborg-Frau, die ihren Erfinder verlässt, um Kinostar zu werden. Und weil sprachlich und inhaltlich nicht viel geboten wird, animiert der Text Seite für Seite zum Wegdämmern, Weiterdenken, Assoziieren: irgendwo hat man das alles schon mal gehört, und zwar wesentlich besser. Aber wo? Während Berger seine platt-vorhersehbare Medien- und Gesellschaftskritik in kunstlosen 08/15-Sätzen auserzählt, bleibt dem Leser genug Zeit, sich genau das zu überlegen.

Ganz ernsthaft und ohne jede Polemik: fünf, sechs Stunden in Bergers Roman zu investieren oder einfach gesagt zu bekommen: "Denk mal über Frauen, Cyborgs, Satire und Science Fiction nach", das nimmt sich nicht viel. Munter knüpfen sich die Assoziationsketten: Solange Phyllis brav einprogrammierte Sätze aufsagt und ihren Mann bekocht ("Eigentlich war sie sogar besser als jede echte Frau, mit der er bisher zusammengelebt hatte, seine Mutter natürlich ausgenommen."), denkt man an Robin Williams als Robo-Butler in "Der 200-Jahre-Mann" oder an die zugeknöpft-mechanisch agierende Bree aus "Desperate Housewives". Wenn Phyllis dann die Koffer packt und ihr Glück mit Tabledance und Telefonsex versucht, sind die Assoziationen zum Cyborg-Gigolo aus "A.I.", zu "Blade Runner" oder "Pinocchio" nicht weit - "Frankenstein", "Pygmalion", die Kreatur, die sich gegen ihren Schöpfer wendet. Später, in Hollywood, verwandelt sich Ellerys Schöpfung dann gar in eine Grace-Jones-artige Heroic-Fantasy-Amazone, Fell-Lendenschurz und verchromter Brustpanzer inklusive.

Als verspielt-überdrehte Zitatsammlung hätte die Geschichte der braven elektrischen Hausfrau, die am Ende sogar Präsidentin der USA werden will, durchaus ihren Reiz. Doch Berger ignoriert die unzähligen Vorbilder und erzählt seine doch arg vorhersehbare Geschichte so, als hätte es vor ihm keine Cyborg-Geschichten gegeben. Und gerade dieser schamlose kleine-Jungen-Stolz, dieser latente "Schnallt euch an! Von einer solchen Geschichte hättet ihr euch nichts träumen lassen!"-Duktus ermüdet sehr schnell:

"Das Spiegelbild, das sie ihm vorhielt, ließ ihn zusammenzucken. Die Frage nach seiner Identität war beunruhigend. Insofern Phyllis eine Existenz jenseits ihres Gehäuses aus Plastik und Metall besaß, war sie notgedrungen wie er selbst. Sollte ihre Seele aber etwas anderes als eine Version seiner eigenen sein, dann war sie der Mensch und er der Roboter. Da er nun jedoch solche Reflexionen anzustellen vermochte, eine ausschließlich dem Menschen vorbehaltene Fähigkeit, konnte er wiederum keine Maschine sein." In diesem Roman gibt es weniger neue Ideen als in 15 Minuten Vorabendprogramm oder sechzig Zeilen "Welt am Sonntag"-Feuilleton. Und nicht einmal die unterstellte feministische Agenda ergibt viel Sinn, wenn Phyllis am Ende altklug skandiert: "Sicher, auf dem Gebiet der Technik kennst du dich aus, aber das war es dann auch schon. Jetzt begreife ich, wieso du bei menschlichen Frauen keinen Erfolg gehabt hast. Unterlegen wie sie waren, konnten sie trotzdem schnell die Oberhand über dich gewinnen." Die Frau, die das super findet, muss wohl erst noch programmiert werden.

Gut gemachte Science Fiction hat eine Menge zu sagen. Und aus einer simplen Grundidee lässt sich, wenn sie konsequent genug durchdacht - und gerne auch bis ins Absurde gesteigert - ist, massenweise gesellschaftspolitischer Sprengstoff ziehen. Andrew Niccol machte das in seinen ersten beiden Filmen, der Gentechnik-Dystopie "Gattaca" und der Reality-TV-Satire "Die Truman Show" sehr überzeugend vor. Dann kam "S1m0ne", Niccols dritter Film, und vielleicht jene Kunstfrau-Medien-Satire, zu der "Abenteuer einer künstlichen Frau" die stärksten Parallelen aufweist.

"S1m0ne", eine computeranimierte Schauspielerin, geschaffen vom erfolglosen Hollywood-Autor Al Pacino, legt eine kometenhafte Karriere hin. Phyllis wird B-Movie-"Xena", S1m0ne triumphiert in Bergmann-Hommagen. Phyllis bekommt eine Nachmittagstalkshow und schreibt Selbsthilfebücher, S1m0ne wird Songwriterin: beide Figuren werden zur Projektionsfläche der medialen Öffentlichkeit ("Men want her, and Women want to be like her."), beide lassen sich von ihren Schöpfern bald nicht mehr kontrollieren, und beide Geschichten driften irgendwann in peinliches Sentiment ab: "Da du die überraschende Gabe besitzt, ungeahnte Fähigkeiten entwickeln zu können, Phyllis, meinst du, du könntest mich eines Tages auch lieben lernen?" - "Das könnte ich jetzt gleich, Ellery. Du musst mir nur sagen, wie."

Schön ist das nicht. Sprachlich ungelenk und zu spannungsarm, um als Schmöker zu überzeugen, taugt "Abenteuer einer künstlichen Frau" mangels Neuigkeitswert wenig zur Parabel und mangels Verschrobenheit auch nicht viel zur Mediensatire. Vorstellbar höchstens, dass Berger absichtlich ein derart mieses Buch geschrieben hat, damit sich der Leser inmitten blöder Kommentare über längst überholte Diskurse als Einäugiger unter den Blinden fühlen kann. Oder so... Böse, kranke Medienwelt eben.

Lasst uns das Buch weglegen, endlich mal den Aufschnitt entsorgen, und dann, beim Staubsaugen, über die wirklich wichtigen Dinge im Leben sinnieren. Zum Beispiel über das Schicksal der armen Rachel Roberts (28). Weil man sie in "S1m0ne" für eine Computeranimation hielt, blieb ihr großer Durchbruch aus. Also hat sie Andrew Niccol geheiratet, mittlerweile haben die beiden auch ein Kind. Behaupten sie zumindest. Doch vielleicht ist der Nachwuchs ja computeranimiert. Oder animatronisch, gefertigt bei derselben Firma, die schon Matthew Broderick gebaut hat: "More Human than Human". Wo soll das nur alles noch hinführen?


Titelbild

Thomas Berger: Abenteuer einer künstlichen Frau. Roman.
Tropen Verlag, Köln 2006.
240 Seiten, 18,80 EUR.
ISBN-10: 3932170830
ISBN-13: 9783932170836

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