Die Westanbindung des Widerstands

Josef Ackermanns Bonhoeffer-Biografie

Von Johan Frederik HartleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johan Frederik Hartle

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dietrich Bonhoeffer steht in der deutschen Geschichte für eine andere Kirche, für eine Kirche, die den universellen Geist des Christentums nicht rassistisch zu beschränken bereit war. Dabei ist sein Leben zugleich exemplarisch (für eine deutschnationale Sozialisation im gehobenen Bürgertum) als auch singulär (im internationalen Kirchennetzwerk und im deutschen Widerstand). Josef Ackermann vermag es in seiner gut informierten und leicht lesbaren Biografie, beides hervorzuheben.

So schreibt er die Geschichte eines Mannes, der als christlicher Weltbürger von Anbeginn international vernetzt ist und als Vikar und Vortragender früh nach Spanien und Amerika gelangt. In der Zeit des Nationalsozialismus wird Bonhoeffer zu einem der wichtigsten Vertreter der mit zunehmenden Repressalien besehenen Bekennenden Kirche, die sich dem völkischen Gedanken der Deutschen Christen widersetzt. Obgleich Bonhoeffer damit der Gefahr ausgesetzt ist, ins Konzentrationslager zu gelangen, lehnt er es ab, im Exil auf seine Aufgaben in Deutschland zu verzichten. Bonhoeffers buchstäbliche Rolle im Widerstand bleibt in Ackermanns Buch jedoch recht unklar. Bonhoeffers Schwager Hans von Dohnanyi besorgt Sprengstoff für ein Attentat auf Hitler, in dessen Gefolge auch Bonhoeffer verhaftet und zuletzt hingerichtet wird. Noch am 12. April 1945, kurze Zeit vor der Befreiung durch die Amerikaner, wird Bonhoeffer im KZ Flossenbürg ermordet.

Wie jede Geschichtsschreibung ist auch Ackermanns Buch nicht nur ein Dokument erster, sondern auch eines zweiter Ordnung. Es beschreibt nicht nur den historischen Kontext Bonhoeffers, sondern nimmt auch eine sehr zeitgemäße Perspektive ein. Aus genau diesem Grund ist Geschichte immer auch Politik und Ackermanns Buch ist eine interessante geschichtspolitische Intervention.

Es wäre zu einfach, dafür allein das rechtskatholische Vorwort von Kardinal Lehmann heranzuziehen, das ökumenische Impulse in einem "antitotalitären" Grußwort zusammenträgt. Lehmanns Bemühung, Bonhoeffer vor allem als Opfer einer allgemeinen Verfolgung von Christen (nicht zuletzt durch den Kommunismus) zu stilisieren, liegt ebenso knapp neben dem Gegenstand der Biografie - der Biografie eines Mannes, der den völkischen Geist des deutschen Faschismus missachtete, um ihm im Widerstand entgegenzutreten - wie unter Ackermanns Niveau. Aber sie macht hellhörig. Denn tatsächlich behandelt Ackermanns Buch Bonhoeffer als möglichen Zeugen und Ahnherren eines anderen deutschen Selbstbewusstseins, eines Selbstbewusstseins, das Besetzung und Teilung hätte entgehen können. Der deutsche Widerstand aus dem Umfeld von Bonhoeffer sei von den Alliierten unterschätzt worden. Eben das habe die Unterwerfung Deutschlands zur Folge gehabt, dem kein eigenes Profil jenseits des Nationalsozialismus mehr anzusehen gewesen sei. So schreibt Ackermann: "Es geht den Engländern und Amerikanern um ein besiegtes, nicht befreites Deutschland."

Ursächlich dafür sei "die unheilige Allianz" zwischen den Westmächten und der Sowjetunion gewesen. Insgeheim macht Ackermann Stalin für die Vernachlässigung des deutschen Widerstands verantwortlich. Die vollständige Unterwerfung Deutschlands und die Nichtbeachtung sowjetkritischer antifaschistischer Stimmen sei der faule Kompromiss der Alliierten gewesen. "Eine Annäherung Englands an deutsche Widerstandskreise hätte das Misstrauen Stalins nur vergrößert." Dieses Thesenbündel wirft eine Reihe von Problemen auf. Erstens lässt sich fragen, inwieweit denn gerade der deutsche Widerstand wirklich so antikommunistisch war, wie Ackermann suggeriert. Ackermann leugnet nicht die Arbeit der kommunistischen Roten Kapelle, er nennt die kommunistischen Justizopfer im Anschluss an den Reichstagsbrand (die immerhin zu den ersten Opfern der Nazijustiz zählten). Aber zentral geht es ihm um den bürgerlichen und im politischen Kern deutschnationalen Widerstand des 20. Juli. Ob diese Gewichtung den Tatsachen entspricht, lässt sich bestreiten: Das ist eher gängige bundesdeutsche Geschichtsschreibung. Aber genau die wäre zu überprüfen. Immerhin liegt auch ein wenig auf der Hand, dass es jenseits der militärischen Kreise gerade ein sozialistischer Impuls war, der dem rassistischen Nationalismus, dem deutschen Angriffskrieg, der zynischen Verwertungsmaschinerie und der Militarisierung der Arbeit misstraute.

Zweitens aber lässt sich, selbst wenn die Hauptströmungen des deutschen Widerstands antikommunistisch und an liberalkapitalistischen Freiheitsideen orientiert gewesen wären, fragen, wie breit sie im deutschen Volk tatsächlich verwurzelt waren. Denn ungeachtet alltäglicher Spuren von Solidarität und Menschlichkeit blieben renitente Akte politischer Aufrichtigkeit doch wohl tatsächlich recht rar. Man muss keiner Kollektivschuldthese anhängen, um hier ein dunkleres Szenario vor Augen zu haben. Besetzung und Entnazifizierung erschienen dann als weitaus erfreulicher und unausweichlicher, als Ackermann insinuiert.

Ackermanns Gewährsmann für diesen gezähmten Nationalismus ist Bonhoeffer selbst. Denn ein vergleichbares Pathos hatte der deutschnationale Bonhoeffer nach dem Ersten Weltkrieg selbst an den Tag gelegt. Dem nämlich war während der Weimarer Republik und im Anschluss an den großen imperialistischen Ersten Weltkrieg kaum größeres Unrecht aufgefallen als das, was dem deutschen Volk durch den Versailler Vertrag angetan worden sei. Darüber sprach er wo immer er konnte, in der Hoffnung, man werde dem Aggressor Deutschland mit Barmherzigkeit begegnen.

Wie auch immer man zur Frage der deutschen Kriegsschuld im Ersten Weltkrieg stehen mag, strukturelles Denken war Bonhoeffers Sache nicht. Die kritische sozialökonomische Analyse der Voraussetzungen des Kriegs in Deutschland und anderswo lag ihm nicht. Wer aber nicht strukturell denkt, bleibt in der Mythologie der Schuld und Unschuld von Einzelnen gefangen. Das wird im Endeffekt immer die Stilisierung von Helden (im vormodernen Jargon, den Ackermann diskutiert), von Märtyrern, von "Blutzeugen des Glaubens" zur Folge haben. Ein merkwürdiger Unterstrom in Ackermanns Bonhoeffer-Biografie.


Titelbild

Josef Ackermann: Dietrich Bonhoeffer. Freiheit hat offene Augen. Eine Biographie.
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2005.
304 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-10: 3579071092

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