Mit Sicherheit ins Jenseits

Kerstin Merkels Studie über die Grabdenkmäler Kardinal Albrecht von Brandenburgs

Von Tanja MöllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tanja Möller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Jenseits-Sicherung. Kardinal Albrecht von Brandenburg und seine Grabdenkmäler" - wer bei diesem Titel eine rein kunsthistorisch motivierte Studie vermutet, wird bereits auf den ersten Buchseiten eines Besseren belehrt: Die Kunsthistorikerin Kerstin Merkel zeigt auf über 200 Seiten, dass Kunstwerke und insbesondere Grabdenkmäler mit kunsthistorischen Methoden als historische Quellen gelesen werden können und so einen vielschichtigen Blick auf die dahinter stehende Persönlichkeit der Auftraggeber ermöglichen - besonders dann, wenn sie nicht postum, sondern noch zu Lebzeiten von der Person selbst konzipiert wurden. Dabei lässt bereits die äußere Gestaltung des Buches - etwa das hochwertige Papier und die fast durchgängig exzellenten Photos - bibliofile Herzen höher schlagen. Und was das Äußere verspricht, wird vom Inhalt vollauf bestätigt: Eine klare Sprache und gelungene Übersetzungen frühneuzeitlicher Gedanken in zeitgenössische Vergleiche - gepaart mit treffenden, teilweise leicht humoristisch anmutenden, aber dabei stets exakten Bildbeschreibungen und Beobachtungen lassen die Studie zu einer packenden und trotz des hohen wissenschaftlichen Anspruchs kurzweiligen Lektüre werden. Abgerundet wird dieser Eindruck schließlich durch eine hervorragende und anregende Bibliografie.

Kardinal Albrecht von Brandenburg (1490-1545) gilt gemeinhin als Schlüsselfigur der Reformation, seine Biografie auf den ersten Seiten des Buchs zeigt ihn als lebensfrohen und die Pracht liebenden konservativen Kleriker, dessen Sozialisation in einem durchaus humanistisch geprägtem Umfeld stattfand. Seine Grabdenkmalprojekte werden dank des Einfühlungsvermögens der Autorin zu erzählfreudigen Quellen, zu beredeten Zeugen einer persönlichen aber auch gesellschaftlichen und religiösen Umbruchphase.

Die Angst vor dem Jenseits stellte im Mittelalter eine allgemein geteilte Erfahrung dar. Das spätmittelalterliche Gottesbild eines strengen Richters, vor dem der Mensch kaum bestehen kann und die damit verbundene Vorstellung von Hölle und Fegefeuer führten nicht nur bei Albrecht von Brandenburg zu einer frühzeitigen Jenseitssicherung. Dass Form und Ort seiner letzten Ruhestätte Albrecht bereits ab seinem dreißigsten Lebensjahr (und wohlmöglich sogar noch früher) beschäftigte, ist für seine Zeit keinesfalls ungewöhnlich. Schließlich kam den mittelalterlichen Grabdenkmälern die Funktion zu, die Überlebenden an ihre Gebetspflicht zu erinnern, um so dem Toten seinen Aufenthalt im Fegefeuer zu erleichtern. Und somit wechselte Albrecht nicht nur dreimal seinen Bestattungsort von Magdeburg über Halle nach Mainz, sondern auch mehrfach das Konzept seiner Grabanlage, so dass insgesamt drei Grabplatten entstanden, von denen die erste zum Epitaph umgebaut wurde, die zweite verschollen ist und die dritte schließlich im Mainzer Dom tatsächlich über seinem Grab lag. Außerdem bezeugen ein Andachtsbild, ein Baldachin, ein zweites Epitaph in Mainz, ein Kenotaph, eine hängende Wappentafel sowie zahlreiche liturgische Gerätschaften seine Bemühungen um eine möglichst perfekte Jenseits-Sicherung.

Die erste der Grabplatten mit einer ganzfigürigen Darstellung des Kardinals wurde 1525 von Peter Vischer dem Jüngeren zur Aufstellung in der Stiftskirche zu Halle geschaffen. Bereits zwei Jahre später orderte Albrecht jedoch bei Loy Hering in Eichstätt die heute nicht mehr erhaltene steinerne Grabplatte. Die erste figurale Bronzeplatte wurde hingegen an die 1530 von Hans Vischer gegossene stehende Platte mit einer Mondsichelmadonna angepasst, um eine Inschriftenplatte ergänzt, als Epitaph aufgerichtet und als Gegenstück zur Madonnenplatte im Hallenser Dom eingemauert. In Form eines skulpturalen Stellvertreters konnte er somit postum unhabhängig von den Fürbitten anderer für sich selbst beten - Albrecht erschuf sich eine quasi "autodynamische" Grabanlage. Darüber hinaus fand eine beachtliche Reliquiensammlung als "Zusatzversicherung und Anschubhilfe auf dem Weg ins Paradies am Tag des Jüngsten Gerichts" bei Albrecht einen neuen und in seiner Zeit einzigartigen Höhepunkt. Ein 1536 ebenfalls von Hans Vischer erschaffener bronzener Baldachin zur Aufstellung direkt über seinem Grab rundete das Ensemble zunächst ab. Die Ausdeutung dieses Baldachins durch die Autorin in Bezug auf die Gedankenwelt des Kardinals soll im Folgenden stellvertretend für die anderen Bestandteile seiner Jenseitssicherung näher ausgeführt werden, um die überaus facettenreiche und an detektivischen Spürsinn erinnernde Herangehensweise Merkels zu verdeutlichen.

Der die Selbstinszenierung und Pracht liebende Albrecht nutzte Baldachine sowohl in profanen wie auch sakralen Situationen als Element der Selbstdarstellung wenn nicht gar Selbstinszenierung und konnte allein für den liturgischen Gebrauch mit sechs kostbaren "Himmeln" aufwarten. Das bronzene Grabdenkmal in Form eines Baldachins stellt somit augenscheinlich zunächst einen konsequenten Schlusspunkt eines herrschaftlichen Lebens dar. Allerdings entpuppt sich sein Auftrag als weit mitteilungsstärker als man zunächst angesichts seines aufwendigen "Lifestyles" vermuten würde:

Zeigt doch der Baldachin mit seiner zeitgenössischen Formensprache im Stil der italienischen Renaissance, dass Albrecht ein Kenner zeitgenössischer Architektur gewesen sein muss und kennzeichnet ihn so als humanistisch gebildeten, modernen Menschen des neuen Zeitalters. Darüber hinaus war, wie Merkel deutlich belegt, ein Baldachin als Grabdenkmal für einen Fürsten im deutschsprachigen Raum ein Novum und Albrecht bediente sich einer Würdeformel, die in Deutschland zu seiner Zeit nur Heiligengräbern zustand. Ein zunächst anmaßend erscheinendes Konzept, welches in Verbindung mit seiner großen Reliquiensammlung eine weitere Ebene aufweist: Aufgestellt inmitten dieser Sammlung, hätte Albrecht "wie ein Heiliger zwischen Heiligen" gelegen, wobei sich der Kardinal mit ihnen nicht nur auf eine Stufe gestellt hätte, sondern "als ihr Retter und Beschützer, der die Reliquien in unsicheren Zeiten im vermeintlich sicheren Hort des Neuen Stifts unterbrachte" sogar noch eine Stufe höher gestiegen wäre. Nach seinem Ableben zwischen ihnen auf das Jüngste Gericht zu warten, verband sich für Albrecht mit der Hoffnung, "dass sich die mit ihm auferstehenden Heiligen für die ihnen gewährte Sicherheit und Ehre erkenntlich erweisen würden".

Und noch ein weiterer Aspekt wird von Merkel enthüllt. Ausgestattet mit zahlreichen Kerzenhaltern entspricht der Baldachin einer "capella ardente". Die in der Tradition nur ephemeren Gebäude waren während der Begräbnisfeierlichkeiten der Ort, an dem die Leiche die Absolution erhielt. Übersetzt in einen bronzenen Baldachin erschuf Albrecht sich einen immerwährender Stellvertreter für die wichtigste liturgische Handlung der Totenfeier, einen unvergänglichen Garant für die Vergebung seiner Sünden. Ein Ansinnen, das des Weiteren noch durch die Gravur der fünf Wunden Jesu an der Unterseite des Baldachins bekräftigt wird. Dass Albrecht bereits zu Lebzeiten eine große Vorliebe für die Wundendarstellungen Jesu hatte, wird dabei von Merkel ebenso nachgewiesen wie seine mit ihnen verbundenen "Erwartungen".

In seiner ursprünglichen Konzeption wäre Albrechts Grab direkt unter der im Mittelpunkt der Darstellung stehenden Herzwunde Jesu zu liegen gekommen, die nach mystischer Vorstellung ein symbolisches Tor zum Jenseits darstellte und so in der Logik Albrechts ebenfalls die Vergebung der irdischen Sünden garantiert hätte. Und schlussendlich wird die Tatsache, dass Albrecht den Baldachin in Zeiten größter Finanznöte in Auftrag gegeben hat, zum Indiz für seine "grundsätzlich chaotische, verschwenderische und uneinsichtige Einstellung zum Geld" und der Schlussfolgerung der Autorin, dass "er seiner Jenseitsfürsorge größere Bedeutung beimaß als seiner Liquidität".

Tatsächlich erscheint das "sepulkrale Gesamtkunstwerk" in Halle zur perfekten Jenseits-Sicherung mit Netz und doppeltem Boden gereift, bis es 1540 angesichts des dort wachsenden lutherischen Einflusses von Albrecht als Grablege aufgegeben, nach Aschaffenburg transportiert und - erweitert um einen gläsernen Sarg zur Aufbewahrung des Reliquienleibes der heiligen Margarethe - einer neuen Funktion als Heiligenhochgrab zugeführt wird.

Albrecht selbst kümmerte sich noch im selben Jahr um ein neues Grabdenkmal zur Aufstellung im Mainzer Dom, welches angesichts des Jahrzehnte währenden immensen konzeptionellen Aufwands der letzten Ruhestätte in Halle in seiner Ausformung überrascht. Zwar nehmen die von ihm diesbezüglich formulierten Wünsche noch immer eine äußerst prominente Position in seinem Testament ein (sie stehen an erster Stelle), jedoch verzichtet er im Wesentlichen darauf, Einfluss auf Form und Inhalt zu nehmen und akzeptiert somit ein relativ normiertes Grabdenkmal, mit dem er sich nach seinem Tod nicht nur in die lange Reihe seiner Vorgänger im Mainzer Bischofsamt einordnete, sondern auch sein ausgeklügeltes Sicherungssystem aufgab.

Ein wundersam anmutendes Verhalten, das Merkel jedoch glaubhaft auf die engen Kontakte Albrechts zu Petrus Faber, dem Mitbegründer des Jesuitenordens, zurückführt. Faber vermittelte Albrecht ein Gottesbild, das nicht mehr durch den Furcht einflößenden Gott des mittelalterlich Glaubens, sondern durch den gütigen Gott geprägt ist. Auch die Herz-Jesu-Frömmigkeit der Jesuiten traf Albrechts eigene Spiritualität, was angesichts des Bildprogramms des Baldachins nicht sonderlich verwundert. Und somit scheint der Kardinal unter Fabers Einfluss den Glauben an die magische Funktion der Kunst verloren zu haben. Ein ausgeklügeltes Konzept für den Weg ins Jenseits war angesichts des durch Faber aufgezeigten Wegs von der Macht der Gebete und dem Vertrauen auf Gott nicht mehr notwendig. Lediglich die 1540 von Dietrich Schro aus rotem Marmor gefertigte Grabplatte gibt Auskunft darüber, wie Albrecht sich selbst der Nachwelt präsentieren wollte: In der Form eines Buchdeckels gestaltet, ist sie mit vier Evangelistensymbolen in den vier Ecken und der in deutscher Sprache abgefassten Inschrift der steingewordene Ausdruck von Albrechts Bibelfestigkeit und inszeniert ihn als Initiator der ersten katholischen Bibelübersetzung in Konkurrenz zu Luther.

Kerstin Merkel versteht es, nicht nur die Mentalität der Menschen der Frühen Neuzeit wieder aufleben zu lassen und zu zeigen, wie sehr sich die "Jenseits-Sicherung" in der Gesellschaft von der selbst konzipierten letzten Ruhestätte im Mittelalter bis hin zur Überantwortung dieser Aufgabe auf die nachfolgende Generation wandelte. Ihr gelingt mit ihrer Studie auch eine hervorragende Annäherung an die Person Albrecht von Brandenburgs, und sie schließt somit eine entscheidende Lücke in der Forschung zu dem teilweise geschmähten Kardinal und dem wie in einer Art Zeitraffer ablaufenden Wandel seiner Jenseits-Sicherung. Und somit ist es ihre Untersuchung selbst, die Merkels Diktum untermauert, dass "Kunst ein Spiegel der Menschen ist, die sie erdacht und erschaffen haben".

Ein wirklich rundum wundervolles und gelungenes Buch, nach dessen Lektüre man mit Spannung dem nächsten "Fall" entgegenblickt, den Kerstin Merkel mit kunstwissenschaftlichen Geschick lösen wird. Und so sei zur Überbrückung der Wartezeit allen Ungeduldigen der von Maier, Schmid und Schwarz in ihrem Band "Grabmäler. Tendenzen der Forschung an Beispielen aus Mittelalter und früher Neuzeit" (Berlin, 2000) herausgegebene Aufsatz Merkels unter dem viel versprechenden Titel "Ein Fall von Bigamie - Landgraf Philipp von Hessen, seine beiden Frauen und deren drei Grabdenkmäler" wärmstens empfohlen.


Titelbild

Kerstin Merkel: Jenseits-Sicherung. Kardinal Albrecht von Brandenburg und seine Grabdenkmäler.
Verlag Schnell und Steiner, Regensburg 2004.
215 Seiten, 59,00 EUR.
ISBN-10: 3795416620

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