Idylle inmitten von Müdigkeit und Zynismus

Ludvík Vaculíks Roman stellt eine Zäsur dar in seiner Hinterfragung von Handlungen und Hoffnungen in der CSSR

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Name des Schriftstellers Ludvík Vaculík ist in einer breiten Öffentlichkeit zumeist mit seinem Manifest der "2000 Worte" verbunden, in welchem er im Sommer 1968 die Prager Reformpolitiker aufgerufen hatte, den Kurs der Öffnung und des politischen Umbaus unbeirrt von allen inneren wie äußeren Anfeindungen fortzusetzen. Trotz der ungeheuren Popularität dieses Aufrufs, auch DDR-Touristen bekundeten seinerzeit spontan mit ihren Unterschriften ihre Solidarität mit Alexander Dubceks "Sozialismus mit menschlichem Antlitz", folgte die Ernüchterung durch die bewaffnete Niederschlagung des "Prager Frühlings" im August 1968.

In den anschließenden Jahren der so genannten "Normalisierung" ereilte auch den am 23. Juli 1926 im mährischen Brumov geborenen Ludvík Vaculík das typische tschechoslowakische Schicksal ehemaliger Reformer: Ausschluss aus der kommunistischen Partei, Publikationsverbot und Marginalisierung in einer gleichgeschalteten Öffentlichkeit. Vaculík wehrte sich auf seine Weise und gründete den Selbstverlag "edice petlice" (= Edition hinter Schloss und Riegel). Einer unangepassten Persönlichkeit wie Ludvík Vaculík musste dieses Normalisierungs-Szenario wie die Fortschreibung eines schlechten Romans vorkommen, dessen Anfänge in den 50er Jahren angesiedelt sind. Das Wechselbad zwischen euphorischer Begeisterung für den Aufbau einer neuen Gesellschaft, frei von Ausbeutung und Unterdrückung und den finsteren Jahren des Stalinismus mit seinen willkürlichen Verhaftungen, Schauprozessen und unverhüllten Morden hatte Ludvík Vaculík höchstpersönlich miterlebt. Sein Roman "Das Beil" verkörpert wie kaum ein anderer zeitgenössischer Roman in der Tschechoslowakei der 60er Jahre die Anstrengung einer künstlerischen Verarbeitung jener Zeit. Kein oberflächliches Suchen, sondern das tiefgründige Hinterfragen von Handlungen wie Hoffnungen einer ganzen Generation kennzeichnet dieses Buch, das nicht von ungefähr von dem roten Faden einer Rückschau durchzogen ist.

Wie in einem Zwiebelschalenmodell finden sich Schichten und Zwischenschichten, die zunächst unabhängig voneinander existieren und aus der Rückschau dennoch ein Ganzes ergeben.

Der Ich-Erzähler vermag somit, mehrere Erlebnisebenen in atmosphärisch dichter Weise zu beschreiben und seinem kreisenden Denken auszusetzen. Versetzt werden Bilder und Erinnerungen vorgestellt. Der Vater als überzeugter Kommunist, das Dorf der Kindheit, das Häuschen der Familie, die Tätigkeit als Journalist, ein grauer realsozialistischer Alltag voller Müdigkeit und Zynismus. Und immer wieder kehrt der Erzähler in die Kindheit und Jugend zurück. Ganz in der böhmischen Tradition einer Rückkehr in die Idylle, die in Wahrheit nicht existiert und unmerklich von finsteren Mächten umlauert ist. Die Enteignung durch die neuen Machthaber, die der Vater als treuer Genosse auch an seinem eigenen Besitz mit durchführen half, wird lakonisch abgehandelt: "Ich kam nach Hause, wir hatten Linoleum und eine frisch gestrichene Tür, meine Schwester war ungewohnt groß zund nett, beide Brüder waren unserer Sommertradition entsprechend kahlgeschoren, wir hatten nun wieder keine Wiese mehr, entlang der Scheunen verblühten die Linden und auf dem Spielplatz hinterm Bach pfiff ein Schiedsrichter".

Erzählerisch sind in diesem Roman alle Register gezogen und so manche Techniken der späteren Feuilletons von Ludvík Vaculík werden bereits in diesem Roman vorweggenommen. Alles, was die Wahrnehmung stört oder unbequeme Fragen auszulösen droht, wird nicht verdrängt, sondern gerade besonders hervorgehoben. Zweifel sind keine Schande, sondern Stoff zum Beschreiben, und der Erzähler berichtet dabei rückhaltlos über sich selbst. Tabus sind herzlich willkommen. Die Vielschichtigkeit dieses Romans findet sich nicht zuletzt auch in seiner Vielstimmigkeit wieder, die den Wechsel von Hochsprache und Alltagssprache souverän vollzieht und auch dem Raunen des Mythos Raum gibt. Dem Land und der gesprochenen Sprache seiner Bewohner sucht Vaculík das Geheimnis unserer Existenz abzuringen. Und er ist überzeugt, dass die Sprache in vorborgenen Kammern Erinnerungen hütet, die dem Menschen Auskunft über sich selbst erteilen.

Von daher entgeht Ludvík Vaculík nichts, was um ihn herum passiert. Sei es in der Politik oder der Geschichte, sowie im ewigen Wechselspiel vom Werden und Vergehen. Der Leser begleitet des Erzählers Nachdenklichkeit über das Aussterben der Dörfer wie über die Gleichförmigkeit des industriellen Menschen. Ein umfassender Komplex, wenn man bedenkt, dass der Erzähler, ein Mann im besten Alter, eigentlich lediglich seinen kleinen Bruder besuchen wollte und dabei ins Plaudern geraten war.


Titelbild

Ludvík Vaculík: Das Beil. Roman.
Übersetzt aus dem Tschechischen von Miroslav Svoboda und Erich Bertleff.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006.
303 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3421059497

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