Mit Bukowski durch's Feuer

Hartmuth Malorny illustriert in seinem neuen Roman "Wendekreis der U-Bahn" die unersättliche Gier nach Sex

Von Sabine ScholzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Scholz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Dortmunder Ex-Straßenbahnfahrer Hartmuth Malorny (Jahrgang 1959) zeigt in einem gelungenen Cocktail aus Erotik und anderen Exzessen die optimistische Seite seiner skurrilen, hochprozentigen Lebensphilosophie. Ähnlich, wie in den zwei vorangegangenen Romanen "Die schwarze Ledertasche" und "Noch ein Bier, Harry?", schlittert der Antiheld Harald Malowsky auch diesmal von einer Bettgeschichte zur nächsten, doch mutiert er hier vom gescheiterten Reinigungsmann zum erfolgreichen Firmengründer einer Pornofilmproduktionsgesellschaft, die sich "deep red productions" nennt. Er dreht einen von seinen Frauen finanzierten Hardcorefilm, der allerdings bei der Premiere vor der Elite des Pornobusiness wegen seinen allzu ästhetischen Bildern durchfällt. Die weiblichen Produzentinnen beschließen den Film vor dem totalen Floppen zu retten und greifen zu einem Trick. Um die Boulevardpresse zu ködern, wird Harry kurzum durch eine Regisseurin ersetzt, der zu diesem Zweck eine mysteriöse Biografie angedichtet wird. Sie heiße Sylvia Dolores, sei Mitte der 80er Jahre führend in der feministischen Bewegung Italiens tätig gewesen und habe deswegen sogar ein Jahr im Gefängnis verbracht.

In keinem seiner Romane kommt Malorny seinem Vorbild Charles Bukowski so nahe wie in diesem. Gekonnt setzt er im "Wendekreis der U-Bahn" den Perspektivenwechsel ein, was den Erzählduktus facettenreicher werden lässt. Der "Wendekreis der U-Bahn" besitzt an vielen Stellen mehr Leichtigkeit als seine Vorgänger. Das Säubern einer U-Bahn-Station wird virtuos zu einer Kunst erhoben. Der Leser folgt im Sog des alkoholischen Buches Harrys Libido durch den Nebel des Whisky- und Bierdunstes und erliegt der Faszination eines Mannes, der trotz seiner durch eine schonungslose Fäkalsprache kaschierten Zerbrechlichkeit ein Symbol der Rebellion bleibt.

Malornys alter ego ist ein sexbesessener Trinker mit schöner Seele, der das Unaussprechliche, was Frauen eigentlich von Männern wollen, schwitzig-heiß verzweifelt und dabei ehrlich und direkt in Worte fassen kann. Mehrere Frauen leisten ihm in seiner existentiellen Einsamkeit Gesellschaft: Kerstin, Monika, Sonja, Beate und besonders Melanie, in die sich Harry schließlich verliebt. Diese Beziehung entwickelt sich, wie so oft auch bei Bukowskis melodramatischen Fickgeschichten, nicht ohne eine gewisse Würde. Und wie bei Bukowski wird auch bei Malorny das bürgerliche Leben mit all seinem Komfort und seinen Konventionen abgelehnt. "Statt im Unterhemd, sitze ich im T-Shirt vor dem Tisch, statt auf öliges Butterbrotpapier, schmiere ich meine Sätze in den Computer. Bukowski ist tot, ich bin erst nahe dran. Der Rest ist eine Art Seelenverwandtschaft, also keine gerade Linie im Stammbaum. Da ich keinen Psychoanalytiker habe, weiß ich nicht was ich will", antwortet der Autor auf meine Frage nach seinem Vorbild.

Der "Wendekreis der U-Bahn" spielt größtenteils in Malornys Heimatstadt Dortmund, das nicht gerade glänzend wegkommt. Es wird als grau beschrieben, legt Wert auf Sauberkeit und schläft, wenn in Afrika gehungert wird. Der Protagonist versucht infolgedessen seinem Randfigurendasein als erfolgloser Regisseur zu entfliehen und die Ruhrgebietskulisse gegen ein mediterranes Flair einzutauschen. Es zieht ihn über die Schweiz zuerst nach Turin, dann weiter nach Genua, um schließlich in Rom, der offenen Stadt Rossellinis, ganz wie in einem neorealistischen Film mit der nackten Wirklichkeit, in Form seiner Teenagergeliebten Sonja, die ihm nachgereist ist, konfrontiert zu werden.

Dem Autor gelingt es in diesem Roman, etwas zu vermitteln, das über eine banale Geschichte von Gier nach Sex und Selbstzerstörung hinausgeht: Ob jemand ein Künstler ist, entscheidet sein Können und nicht das volle Bankkonto. Oder, um es mit dem "dirty old man" auszudrücken: "Das, was wirklich zählt, ist, wie du es schaffst, durchs Feuer zu laufen".


Titelbild

Hartmuth Malorny: Wendekreis der U-Bahn. Amor, Libido und Illusionen.
Neon Verlag, Dortmund 2006.
239 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3937821031

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