Mit Hängen und Würgen

Tom Reynolds hat die Welt nach den die Selbstmordstimmung fördernden Songs durchkämmt

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manchmal klingt das Lied vom Tod eben so: "Tell Laura I love her, tell Laura I need her, tell Laura not to cry, my love for her will never die", haucht der sterbende Tommy seine letzten Worte. Dabei wollte er doch für seine große Liebe Laura mit einem Autorennen das Geld für den Hochzeitsring verdienen. Doch sein Wagen überschlägt sich und verwandelt den Liebestrunkenen in Asche. Der Unfall entpuppt sich als echter Glücksfall, denn der vermeintliche Schicksalsschlag hat Laura "vor einer Zukunft mit einem leichtsinnigen Idioten bewahrt, der seine behämmerten Einfälle für bombensichere Erfolgsrezepte hielt".

Tom Reynolds, der sich auf der Suche nach den allerdeprimierendsten Songs ein Jahr lang durch Plattenarchive gewühlt hat, nimmt kein Blatt vor den Mund. Scharfzüngig, mit schwarzem Humor und großem musikalischem Gespür nimmt er die Weinerlichkeit und das seichte Selbstmitleid aufs Korn, mit denen sich minderwertige Schnulzen über die unerwiderte Liebe verbreiten. Klavierballaden wie "The Rose" zum Beispiel, bei denen einem "die kalte Kotze hochkommt". Dafür hegt er eine Vorliebe für die anspruchsvolle, die gepflegte Depression. Etwa so wie sie in dem musikalisch hinterlegten Abschiedsbrief "Sam Stone" zelebriert wird, in dem ein morphiumsüchtiger Vietnam-Veteran alle viere von sich streckt.

Es sind also beileibe nicht nur Teenager, die ihre weltlichen Bande verfrüht durchtrennen. Auch Einsamkeit, Missbrauch von Rauschmitteln, psychische Erkrankungen oder Verzweiflung über ein Schiffsunglück werden in Reynolds Auswahl berücksichtigt. Da Depri-Songs aus verschiedensten Gründen die Stimmung trüben, sind die 52 Song-Portraits in diesem Buch auf zehn Genres verteilt. Die Kapitel tragen so aufbauende Überschriften wie "Ich starb als Teenie bei einem Autounfall", "Sie hasst mich, ich hasse sie", "Ich blase Trübsal, also bin ich" oder, wenn das Leiden global wird, "Apokalypse".

Für all diejenigen, die nach der Lektüre des Buchs jeden Lebenswillen verloren haben, zeigen die herrlich selbstmörderischen Illustrationen von Stacey Early anschaulich die verschiedenen Wege in das Reich der hieb- und stichfesten Schatten. Neben den herkömmlichen Abgangsarten wie dem Sprung aus dem Fenster, der Kollision mit einem fahrenden Zug und dem atemberaubenden Strick um den Hals finden sich hier mit dem gekonnten Sprung ins Eisbären-Gehege aber auch innovative Suizid-Methoden.


Titelbild

Tom Reynolds: I Hate Myself And Want To Die. Die 52 deprimierendsten Songs aller Zeiten. Mit Zeichnungen von Stacey Earley.
Übersetzt aus dem Englischen von Ilja Braun.
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Tübingen 2006.
272 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3896026933

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch