Bedrückende Liebe

Sieben Erzählungen von Bernhard Schlink

Von Monika PapenfußRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Papenfuß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bernhard Schlink ist schon lange kein Geheimtip mehr. Bereits Ende der 80-er Jahre debütierte er mit Kriminalromanen, die in der literarischen Welt sowohl vom Publikum als auch von der Kritik viel Beachtung und ein allseits positives Echo fanden. Schlinks Romane waren weit davon entfernt, simple Räuberpistolen nach altbewährten Erzählstrickmustern zu sein. In die Arbeit des achtundsechzigjährigen Privatdetektivs Gerhard Selb floss immer auch dessen Vergangenheit als Staatsanwalt unter den Nationalsozialisten ein. Das Thema "Schuld" fand durch die historische Komponente eine vielseitige Brechung.

Als 1995 "Der Vorleser" erschien, war auch die ausländische Kritik des Lobes voll. Der Roman, in 13 Sprachen übersetzt, wurde zum Weltbestseller. Auch hier blieb Schlink seinem Thema treu, der Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit, diesmal jedoch nicht in der Form einer Kriminalgeschichte. "Der Vorleser" erzählt die ungewöhnliche Liebesgeschichte einer Frau und eines fünfzehnjährigen Jungen, deren abruptes Ende der Junge zunächst falsch deutet. Erst Jahre später, als er die Frau im Gerichtssaal auf der Anklagebank wiederentdeckt, während er, nun Jurastudent, den Nürnberger Prozessen als Beobachter beiwohnt, erfährt er die wahren Gründe für ihr plötzliches Verschwinden. Sprachlos wohnt er ihrer Verurteilung bei, obwohl er zu ihrer Entlastung hätte beitragen können.

Auch in diesem Text wird die Frage nach der Schuld nicht eindeutig beantwortet, sondern vielfach gebrochen. Ist die Schuld des Studenten am Schicksal seiner Geliebten von einst geringer als die der ehemaligen KZ-Wächterin? War Hanna Mitläuferin oder Täterin? Hat sie ihre Schuld gesühnt, indem sie eine Strafe annimmt, die ohne ihr Schweigen hätte gemildert werden können? Der Autor lässt den Leser mit seiner Verstörung allein. Sicher scheint allein: Schuld lässt sich nicht eindeutig und einseitig zuteilen.

Schaut man auf den Erfolg dieses Autors, der 'nebenbei' Professor für Recht zunächst in Bonn und Frankfurt und seit 1992 an der Berliner Humboldt-Universität ist, überrascht es nicht, dass die Ankündigung eines neuen Buches große Erwartungen weckte, die, um dies bereits vorwegzunehmen, nicht enttäuscht wurden.

Auch in "Liebesfluchten", seinem jüngst erschienenen Erzählband, geht es um nicht ganz alltägliche Variationen zum Thema "Liebe", doch was ist schon alltäglich in diesem Bereich? Dass über dieses Thema jedenfalls längst noch nicht alles gesagt ist, beweist uns Schlinks neuester Erzählband. Sieben "Liebesgeschichten" werden hier erzählt, alle aus männlicher Perspektive, man könnte auch sagen: sieben Geschichten vom Scheitern der Liebe.

Verwirrung stiftet bereits die Doppeldeutigkeit des Titels: Ist hier Liebe als Zufluchtsort oder Flucht vor der Liebe gemeint? Der Deutungsspielraum der einzelnen Erzählungen wird so bereits angetippt, und damit auch die Verwirrung der Gefühle, die überall spürbar ist.

Ein junger Mann wird durch die Liebe zu einem Bild mit der unheilvollen Geschichte seiner Familie konfrontiert; er ist unfähig, sich auf die Liebe zu Frauen einzulassen. Ein anderer muss erst an den Rand der Selbstaufgabe gehen, um sich von einer verletzenden Liebe zu befreien. Dies sind nur zwei Beispiele aus dem Facettenreichtum dieses Erzählbandes, der nicht ausschließlich die Liebe zwischen den Geschlechtern thematisiert.

Die meisten Männer, von denen in "Liebesfluchten" erzählt wird, sind nicht mehr jung, sie haben ihr Leben gelebt, sie blicken zurück. Die traurige Bilanz: unerfüllte Träume und Sehnsüchte, Verlust durch Betrug, die verspätete Erkenntnis der eigenen Bedürfnisse und der des geliebten Partners, Scham über die Unfähigkeit, Liebe zu zeigen und Liebe zu geben.

Die scheinbar unspektakulären Geschichten, die für die Betroffenen jedoch das Scheitern ihres Lebensplans und somit die Katastrophe bedeuten, sind in derselben ruhigen und klaren Sprache geschrieben, für die Bernhard Schlink bereits beim "Vorleser" gerühmt wurde. Ihr dunkler Ton hat etwas Bedrückendes, der die Stimmung jedes einzelnen Schicksals fühlbar macht, denn jede Erzählung hat eine Vergangenheit, aber keine eine Zukunft. Es herrscht Ratlosigkeit über die Frage nach der Möglichkeit dauerhaft befriedigender zwischenmenschlicher Beziehungen.

In "Liebesfluchten" scheint das psychologische Moment zu dominieren, vielleicht entdeckt man erst auf den zweiten Blick wie sehr der Einzelne der Zeit unterworfen ist. Dennoch ist der Aspekt der Zeit in jeder Erzählung präsent, wie z. B. in der Geschichte von dem liberalen Architekten, der in seinen Ansichten und Lebensformen ein typisches Kind der 68-er Generation ist, oder in der Beziehung des Ostberliner Paares, dessen Konflikt sich nicht von den bedrückenden Verhältnissen der DDR und den politischen Veränderungen trennen lässt.

Auch in diesem Erzählband führt Schlink die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und ihren Auswucherungen in der Gegenwart fort, erweitert sie um neue Aspekte.

Jede einzelne Erzählung ist für sich die Auseinandersetzung mit dem Leben und der Geschichte und ein großes Stück Literatur.

Titelbild

Bernhard Schlink: Liebesfluchten. Geschichten.
Diogenes Verlag, Zürich 2000.
308 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3257062303

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