Sie ist schnell

Ein Porträt der Bachmann-Preisträgerin Kathrin Passig

Von Jörg SundermeierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Sundermeier

Ich kenne Kathrin Passig schon seit einiger Zeit. Man trifft sich auf Partys, man unterhält sich. Ich veröffentliche einige ihrer Texte im Verbrecher Verlag. Die Autorin ist bislang ja auch keine Unbekannte im Literaturbetrieb gewesen. Allerdings war sie bis dato nur einem kleinen Kreis von Leuten ein Begriff.

Sie übersetzt gemeinsam mit Gerhard Henschel Bücher, ist mit Wolfgang Herrndorf, Tex Rubinowitz oder Joachim Lottmann bekannt, hatte gemeinsam mit Ira Strübel eine Kolumne in der "taz" und veröffentlichte dort auch auf der berüchtigten "Wahrheit"-Seite. Sie ist Kolumnistin der "Berliner Zeitung", dort arbeitet sie mit Holm Friebe zusammen. Nebenbei veröffentlichte sie bei "Spiegel online" oder in der "c't". Für das Blog riesenmaschine.de schließlich, das sie gemeinsam mit Friebe, Sascha Lobo und einer Handvoll Gastautoren betreibt, erhielt sie kürzlich den Grimme Online-Award. Mit Friebe zusammen unterhält sie auch die Zentrale Intelligenz Agentur, eine etwas merkwürdige Werbeagentur ohne rechtes Aufgabenfeld, die aber oft mit Literaten arbeitet. Dort fungiert sie, neben ihren Schreibtätigkeiten, als Geschäftsführerin und als Technikwart.

Gleichzeitig ist Passig im Literaturbetrieb ein unbeschriebenes Blatt, gilt sie dort doch als Sachbuchautorin - noch dazu als eine, die über merkwürdige Themen schreibt. Gemeinsam mit Ira Strübel veröffentlichte sie ein Handbuch für Sadomasochisten unter dem schönen Titel "Die Wahl der Qual" bei Rowohlt, dort wird im nächsten Jahr auch das diesmal mit Alexander Scholz verfasste "Lexikon des Unwissens" erscheinen. Ihre Kolumnen aus der "Berliner Zeitung", die sich um die Frage drehen, was morgen in Mode sein wird, erschienen unter dem Titel "Das nächste große Ding". Passig ist mit dem Internet vertraut und weniger mit dem Berliner Literaturhaus oder dem Künstlerdorf Schöppingen. Dass sie witzig und pointiert schreibt, wussten ihre Leserinnen und Leser, das sie aber an Geschichten arbeitet, war niemandem bekannt.

Wie auch, sagt Passig doch nach der Bachmannpreisverleihung, dass "Sie befinden sich hier" ihr erster literarischer Text gewesen sei. Das aber ist etwas kokett, obschon es die ORF-Moderatoren ebenso begeistert schlucken wie es Iris Radisch als Beleg für ihre These nimmt, Passig sei eine "Entdeckung". Man mag vielleicht die Glosse und das lustige Gedicht, Formen die Passig tadellos beherrscht, für niedere Formen ansehen, sie sind aber trotzdem Literatur. Und dass Kathrin Passig in der Lage sein würde, Belletristik zu verfassen, verwundert niemanden, der sie länger beobachtet hat. Doch genau das ist die Krux mit dem Bachmannpreis - die Ränder der Literatur, all jenes, was in den früheren Kanon der Suhrkamp-Luchterhand-Hanser-Kultur nicht hineinpasste, wurde in Klagenfurt zwar präsentiert, doch nicht akzeptiert. Solche Autoren lud man sich nur ein, um die Show aufzufrischen.

Radisch meinte, ihr sei Passigs Siegertext bei der Sichtung der Texte zuvor nicht aufgefallen, sie habe ihn nicht als einen Bachmanntext erkannt. Da hat sie recht - denn es ist kein Bachmanntext. Und Kathrin Passig ist keine Bachmannliteratin. Schon mit ihrem Vorstellungsfilmchen für den Wettbewerb machte Passig klar, dass sie a) die Funktionsweisen von Medien kennt und b) mit dem beseelten, verschüchterten Auftreten, das im Literaturbetrieb noch immer en vogue ist, nichts zu tun haben will. Wie sie zu ihrem Thema gekommen sei, will ein Journalist wissen. Sie habe die gerade populären Sachbücher über Polarexpeditionen verschlungen, antwortet sie knapp.

"Sie befinden sich hier" ist ein Text, wie er sich etwas einfacher auch auf riesenmaschine.de hätte finden lassen können, er ist präzise gearbeitet, während Passigs Texte über felsenbewohnende Rätselmäuse oder den Browser Firefox noch Vorstudien sind - schnell geschrieben, offener, lockerer. Aber beileibe nicht nur unernst oder gar nur unterhaltend.

Ich lernte Passig erst richtig kennen, als sie den Vertrag für das Buch "Das nächste große Ding" unterzeichnen sollte. Sie war müde, kurz angebunden und schlief auch kurz ein. Sie entschuldigte sich nicht, sie erklärte nur kurz: "Ich bin müde". Mehr war nicht zu sagen. Als sie das Buch Korrektur las, brauchte sie für rund 80 Seiten nicht einmal zwei Stunden, und ihre Korrektur war perfekt. Sie ist sehr schnell. Vielleicht ist sie daher oft müde, vielleicht oft wortkarg, weil sie müde ist. Wenn sie aber spricht, dann trifft sie.

Anmerkung der Redaktion: Der Text ist bereits in einer leicht veränderten Version in der "taz" erschienen. Wir danken dem Autor für die Publikationsgenehmigung.