Kanonisierung eines poète maudit

Bernd Kortländers und Hans Siepes Sammelband über Baudelaire und Deutschland

Von Marcel KringsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Krings

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Baudelaire hatte einigen Vorsprung. Während er sich schon früh mit deutscher Kultur auseinander setzte, erwiderte Deutschland das Interesse am französischen Dichter erst spät - mitten im Kaiserreich. Dann aber eroberte sich Baudelaire alsbald einen festen Platz in der deutschen Geistesgeschichte und Übersetzungspraxis. Von dieser zeitversetzten Rezeption und Baudelaires Anregungen durch die deutsche Kunst berichtet das von Bernd Kortländer und Hans Siepe herausgegebene Buch "Baudelaire und Deutschland - Deutschland und Baudelaire". Es versammelt die Beiträge des gleichnamigen deutsch-französischen Kolloquiums, das im Jahre 2003 an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität stattfand. Dargelegt wird zunächst die Bandbreite der Beschäftigung des Dichters mit Deutschland.

So erfährt man, dass Baudelaire sich in der zeitgenössischen deutschen Malerei auskannte, die er in seinen Pariser Ausstellungsberichten besprach. Gerade in Caspar David Friedrichs Überhöhung der Wirklichkeit fand der Dichter wohl ein Vorbild für seine Absage an realistische Mimesis. Dass derlei die Substitution der Natur durch das Ich forderte, lässt mögliche Affinitäten zu Hegels Ästhetik vermuten, ohne dass eine direkte Beeinflussung nachzuweisen wäre. Hingegen hat Baudelaire mit Heinrich Heine einen poetischen "Dialog" geführt. Im deutschen Exilanten erkannte er den Dichter der Modernität, des Epochenwechsels von der Romantik zum 'surnaturalisme'. Themen wie die Dichtung der Stadt und der Gesellschaft, die Ästhetisierung des Banalen und Marginalisierten konnte Baudelaire im Werk des anderen vorgeprägt finden.

Schließlich hat der Dichter der Musik Richard Wagners eine eigene Schrift - über den "Tannhäuser" - gewidmet. Im Allgemeinen als Ausdruck der Bewunderung für den Komponisten und als Bekenntnis zur ekstatischen Versenkung ins Kunstwerk gelesen, lassen sich im Essay doch Baudelaires Vorbehalte gegen den Komponisten erkennen. In differenzierter Argumentation wird gezeigt, dass der Dichter gegen Wagners Subsumtion des Individuellen unter den allgemeinen Mythos auf der modernen, ironischen Subjektivität insistiert. Im Modus des 'unmarkierten Bruchs' zeige Baudelaire, dass 'Welt' ästhetisches Konstrukt des 'Ich' sei und keinen heiligen Mythos, sondern nachmetaphysische Isolation des Menschen bedeute.

Weitere Beiträge des Sammelbands zeichnen die Stationen der Baudelaire-Rezeption in Deutschland nach. Nachdem der Dichter 1856 noch fälschlich als Biograf Edgar Allan Poes erwähnt wurde, setzt die echte Beschäftigung mit dem Franzosen erst 1879 ein. Vorherrschend sind zunächst negative Wertungen. Baudelaire sei ein Dichter der Dekadenz, der Hässliches und Verwerfliches beschreibe. Max Nordau - hinter dem Pseudonym verbarg sich ausgerechnet der Jude Simon Südfeld - befand 1892 gar, Baudelaires Kunst sei "Entartung". Doch die Kanonisierung des Dichters ließ sich nicht aufhalten. Bereitet wurde sie durch Wilhelm Weigands Essay von 1889, der frei von ästhetischen oder deutschnationalen Vorurteilen zu einer angemessenen Würdigung des Franzosen gelangte. Vor allem aber hatte Nietzsche in Baudelaire einen Wesensverwandten entdeckt, der sich wie er zum Interpreten Wagners gemacht hatte - und an dessen artifiziellen Paradiesen der Verfasser des "Zarathustra" ästhetischen Gefallen fand. 1904 wurde der Dichter schließlich in Reclams Universalbibliothek aufgenommen, und seine Modernität bestätigte ihm noch Walter Benjamin in seiner Studie "Charles Baudelaire".

Der Sammelband, den Untersuchungen zur Übersetzungspraxis abrunden, besticht durch seine informativen und fundierten Beiträge, die zur Auseinandersetzung mit dem Dichter einladen - ob er nun wirklich, wie das Buch meint, der "größte französische Lyriker des 19. Jahrhunderts" gewesen sein mag oder nicht. Wie überall, wo die Beziehung eines Dichters zu einem Land in Rede steht, bleiben freilich Fragen offen. Einen Beitrag zu Rilkes Baudelaire-Rezeption etwa hätte man sich gewünscht. Dennoch stellt das Buch das Verhältnis zwischen Baudelaire und Deutschland erstmals in solchem Umfang zusammenhängend dar und zeigt den Franzosen dabei vielfach in neuem Licht.


Titelbild

Hans T. Siepe (Hg.) / Bernd Kortländer: Baudelaire und Deutschland - Deutschland und Baudelaire.
Gunter Narr Verlag, Tübingen 2005.
270 Seiten, 54,00 EUR.
ISBN-10: 3823361384

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