"Die Welt vom Souterrain aus"

Arnold Stadlers erweiterter "Ausflug nach Afrika"

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Das Unglück zu Hause rührte allein daher, glaube ich, daß bei uns im Hotzenwald keine Palmen wuchsen." So beginnt vor knapp einem Jahrzehnt Arnold Stadler seine kleine Erzählung "Ausflug nach Afrika". Als Kern ging diese Erzählung auch in seinen Roman "Der Tod und ich, wir zwei" ein. Nun hat Stadler eine erweiterte Fassung seiner Erzählung vorgelegt. Sein Held, oder besser Anti-Held Engelbert Hotz ist ein typischer Stadler'scher Minus-Mann im besten Sinne des Wortes. Wie in den ersten Romanen "Ich war einmal" (1989) und "Mein Hund, meine Sau, mein Leben" (1994) ist der Protagonist Sprössling einer Viehhändlerfamilie. Und wie in allen Romanen Stadlers ist der "Schmerz der Grundriß des Seins", ein Schmerz, der eher ein "Hunger auf alle Arten ist", wie es in Stadlers Aufsatz "Langeweile (rasterisch; deutsch: Heimweh)" heißt: "Auch der Durst ist ein Hunger. Und die Sehnsucht ist es auch. Vielleicht sogar das Heimweh nach Menschen, Orten und Zeiten".

Das Heim- und Fernweh Engelberts ist die Sehnsucht eines skurrilen Außenseiters, der sich unter seinen hotzenwälder Verwandten im Waldshuter "Rössle" so klein vorkommt, dass er "die Empfindung hatte, gar nicht ganz auf der Welt zu sein." So wächst - quasi im umgekehrten Verhältnis zu seiner stagnierenden Körpergröße von 1,59 Meter - der Wunsch zu einem Ausflug nach Afrika: "Da waren die Palmen. Und dann gab es dort, wie ich wußte, noch richtige Menschenfresser. Ich wollte gefressen werden. Manchmal hatte ich, nach allem, genug vom Leben. Auch dachte ich, dass ich auf dieses Weise doch noch zu etwas nütze sein könnte." Deshalb macht sich Hotz, um dem Weltanschauungskrieg des (bösen) Onkels gegen artfremden Wildwuchs im Obstgarten oder den Nachstellungen in der Viehhändlerdynastie im "Rössle" zu entfliehen, mit einem "one-way-ticket" aus seinem "Hinterland des Schmerzes", der "Welt vom Souterrain aus", über Portugal auf nach Afrika. Selbstverständlich hat Hotz seine Bertullischuhe dabei, jene Schuhe, die ihn um mindestens zehn Zentimeter größer erscheinen lassen - Stadler schreibt auch hier seine bereits im Essayband "Erbarmen mit dem Seziermesser" publizierte Familiengeschichte der Bertullis um und weiter - um schließlich, ähnlich wie der Protagonist in "Feuerland" dann feststellen zu müssen, dass er auch hier nicht dazugehört.

Stadlers Figuren - ob das namenlose Ich in den ersten Romanen, ob Franz Marinelli in "Eines Tages, vielleicht auch nachts" und nicht zuletzt in seinen Dichter-Essays etwa zu Hebel und Stifter oder nun wieder Engelbert Hotz - sind Sehnsuchtsmenschen, deren Heimweh die Vergangenheit ist. Mag Stadler, wie Peter Hamm in seiner Laudatio zum Büchner-Preis einmal positiv formuliert hat, immer die Fortsetzung eines Buches schreiben, was in dieser Pauschalisierung für viele Schriftsteller gelten darf. Nicht immer jedoch geschieht es so tief- und abgründig, heiter-humorvoll, sinnlich-melancholisch und vor allem so pointenreich-poetisch wie bei Arnold Stadler.


Titelbild

Arnold Stadler: Ausflug nach Afrika.
DuMont Buchverlag, Köln 2006.
95 Seiten, 7,50 EUR.
ISBN-10: 3832179747

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