Großes Scheitern

Stefano Bennis Roman "Der schnellfüßige Achilles" ist gut und schlecht zugleich

Von Zora Schmidt-TychsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Zora Schmidt-Tychsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Stefano Benni ist ein Erfinder von Worten und Sätzen, die die Welt verändern, zumindest für die Zeit der Lektüre. Die alltäglichsten Dinge nehmen neue Gestalt an und eröffnen einen ungewohnten Blick auf die Welt. Elemente aus Fantasy, Science Fiction, Satire und antikem Erzählstoff fügt Benni zu etwas ganz Neuem zusammen. An Einfallsreichtum und Fantasie können es seine Texte mit den großen Werken der Kinder- und Jugendliteratur aufnehmen und sind doch moderne Märchen für Erwachsene. In Italien zählt Benni trotz seiner 59 Jahre zu den so genannten "jungen Wilden" und gehört zu den wenigen Menschen, die mit Literatur Geld verdienen.

Ganz anders der Protagonist seines neuen Romans "Der schnellfüßige Achilles": Ulysses ist erfolgloser Schriftsteller und Lektor in einem ebenfalls erfolglosen Verlag; ein moderner Odysseus, der vor der Kulisse des verregneten Mailands durchs Leben irrt. Auch seine Beziehung zu der schönen Penelope, genannt Pilar, läuft alles andere als gut. Die Dinge um Ulysses herum führen ein Eigenleben, über das sich der ständig übermüdete Mann längst nicht mehr wundert. Zum Beispiel die unveröffentlichten Manuskripte, die er zu lesen versprochen hat. Ihre Autoren krabbeln aus seiner Tasche, kommentieren neunmalklug das Geschehen und rauben dem ohnehin schon gebeutelten Ulysses den letzten Nerv. Mit dem hartnäckigen Professor Vergil Colantuono, dem blutrünstigen Kriminalschriftsteller Petrotto und der lüsternen Verfasserin des "oralen Tagebuchs" parodiert Benni Stereotypen des gegenwärtigen Literaturbetriebs, dem es in erster Linie um Vermarktung geht. Und nicht nur die Literaturszene bekommt ihr Fett weg. Der "Duce" spukt zwischen den Zeilen, die ein durch und durch korruptes und fernsehgeschädigtes Italien schildern. Dennoch kommt dieser Roman nie mit erhobenem Zeigefinger daher, da Ulysses durchaus Teil des Problems ist. Benni erzählt mit einem lachenden und einem weinenden Auge. In den Auftritten der winzigen Möchtegernschriftsteller steckt bei aller Kritik so viel Wortwitz und abgründiger Humor, dass man ihnen ihre schlechten Bücher einfach nicht übel nehmen kann.

Wenn hundert miese Veröffentlichungen der Preis sind für ein Buch wie dieses, dann hat sich der Aufwand gelohnt. Die Erzählung erfolgt in rasantem Tempo und überschlägt sich geradezu an überraschenden Einfällen. In den Dialogen offenbart sich ein Gespür für die richtige Pointe im richtigen Augenblick, und dank der Übersetzung Moshe Kahns ist der deutsche Text fast ebenso amüsant wie der italienische. Keine leichte Aufgabe bei Stefano Benni, der mit Worten und ihren Bedeutungen jongliert wie kein anderer. Ein großer Erzähler, ein großartiges Buch.

Wäre da nicht diese mühsam konstruierte Haupthandlung: Der schwer behinderte, isoliert lebende Achilles nimmt per E-Mail Kontakt zu Ulysses auf - der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Ulysses, von einer Schreibblockade geplagt, erzählt aus seinem Leben und liefert Achilles so den Stoff zum Schreiben. Nach nur einer Woche nimmt Achilles sich das Leben. Die Waffen des toten Achilles, derer Odysseus sich bemächtigt, sind in dieser Version der Geschichte ein kleiner Roman, den Ulysses unter eigenem Namen veröffentlichen soll. Seine und die Zukunft des kleinen Verlages sind gerettet.

Die Texte, die Achilles literarisches Talent aufzeigen sollen, sind wenig überzeugend, und auch die Figur des monströsen Achilles selbst bleibt merkwürdig unbeseelt. Eine fragmentarische Gestalt, der man beim Lesen kein Leben einzuhauchen vermag. Es fällt schwer, hier der Versuchung zu widerstehen, weiterzublättern und den schnellfüßigen Achilles hinter sich zu lassen. Denn kaum verschwindet er von der Bildfläche des Geschehens, wird man für das Durchhaltevermögen belohnt. Die an Fantasie überbordende Erzählung ist so gut, dass sie den schleppenden Plot vergessen lässt.

Wenn Stefano Benni also mit diesem Roman scheitert, so scheitet er doch ganz groß.


Titelbild

Stefano Benni: Der schnellfüßige Achilles. Roman.
Übersetzt aus dem Italienischen von Moshe Kahn.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2006.
265 Seiten, 19,50 EUR.
ISBN-10: 3803132002

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