Die Hölle ist noch viel schlimmer

Matias Faldbakken schreibt nicht, was alle denken und wollen

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"The Cocka Hola Company" ist Matias Faldbakkens erster Roman, jetzt als Taschenbuch bei Heyne neu aufgelegt, nachdem er 2004 vom Blumenbar-Verlag für den deutschen Markt zugänglich gemacht wurde. Im Erstling hatte Faldbakken sein Konzept noch nicht so gründlich versteckt wie in "Macht und Rebel" (vgl. literaturkritik.de 06/2006). Der Zweitling fiel deswegen prompt durch, widmete sich Faldbakken hier doch der Faszination des Faschismus und nicht wieder einem Thema, bei dem jeder gerne mal hinschaut und damit dann noch kokettieren darf: der Pornografie.

Denn "The Cocka Hola Company" ist auch der Titel eines Pornofilms, den die "Desirevolution"-Gesellschaft dreht. "Desirevolution" - Faldbakken beweist stets großes Geschick für modische Kofferwörter - ist eine ebenso ökonomisch wie auch ideell orientierte Vereinigung unterschiedlicher Menschen, die dem konventionellen Leben entfliehen wollen. Von der Pornoproduktion können alle gut leben, und nebenher sind alle Mitglieder verpflichtet, subversive Eigenprojekte zu initiieren. Einer der Umtriebigsten ist Simpel, der als seine "Haupttriebkraft" "Angst und Langeweile" angibt, voller Hass für all das, was man tut, für "die ganze Konventionsdressur." So lautete eines seiner Projekte "Fuck up your neighbourhood!", weil "gute Nachbarschaft" "eine der scheußlichsten fixen Ideen" sei, "die der moderne Mensch hervorgebracht hat." Er hat die "Schnauze voll" vom "Rest der Welt" und er weiß: "alles, was du in so einer Situation tun kannst [...], das ist: Widerstand leisten."

Und bei diesem Widerstand geht es immer um das gute, aber sehr alte "épater le curé", nur dass Faldbakkens Charaktere vornehmlich gegen die arrivierten und staatlich alimentierten Linksliberalen und -alternativen schießen. Auf dieser ersten Ebene, der aggressiven Verstörung des politisch korrekten Milieus, sind Faldbakkens Romane amüsant. Die Beschreibung beispielsweise von Dr. Berlitz, dem Schulpsychologen "mit seinem ernsten Pfaffengesicht, so voller bekümmertem Verständnis", "mit seiner verlogenen Fürsorglichkeit, eigentlich das ekelerregendste Symptom von Machtkrankheit. Verfluchter Fürsorglichkeitsnazi" - das ist schön böse übertrieben und wahr zugleich.

Die begeisterte Rezeption von Faldbakkens Büchern von der "F.A.Z." bis zur "Amica" freilich kichert nur über den Tabubruch, die Gutmenschen-Schelte. Sie hinterlassen aber nur deswegen kein schlechtes Gefühl, weil sie mit dieser ersten Ebene von einer zweiten aus spielen. Denn die Gegenstrategien von "Desirevolution", sie scheitern allesamt. Ritmeester, der "Porno-Ideologe", hat sich freiwillig von der Außenwelt isoliert; zum einen, um sich ganz und gar der Verbesserung der Pornoproduktion widmen zu können, zum anderen, um der "verfluchte[n] Lifestyle-Welt da draußen" mit ihren falschen Versprechungen von Glück zu entgehen. "Kein Problem, ohne menschlichen Kontakt auszukommen" - so sieht er es, doch sein Kontaktmann Eisenmann kommt nicht umhin zu bemerken, wie Ritmeester vollkommen verfällt. Casco und Tiptop, die beiden männlichen Pornodarsteller, sind attraktive, Ich-lose Menschen, die Porno-Sex haben, im Koks-Rausch dahindämmern, die ihren einander ähnlichen, unbenutzten und nichtssagenden Wohnungen entfliehen und die sich "persönlich und geistig seit dem 19. Lebensjahr nicht nennenswert entwickelt" haben.

Bret Easton Ellis hatte in seinen Romanen solche Menschen in ihrer Erstarrung melancholisch verklärt, damit seine Leser sich darin narzisstisch spiegeln können. Casco und Tiptop sind die lebende Antithese zu den Strategien der "Selbstverwirklichung" des selbstbetrügerischen alternativen Kulturbetriebs, die Simpel berechtigterweise hasst - aber eben auch nur die falsche Negation. Simpel hasst zwar "the fact that everything, every fucking thing, every action and every fucking attitude, every rebellion and every indecency - everything - turns into design, sooner or later" - dafür sieht seine Anti-Design-Wohnung aber aus wie die Polizeiwache, auf der er festgehalten wird. Sein Scheitern bekommt er drastisch vorgeführt, als er in einer Fernsehsendung sein subversives Konzept darstellen darf. Vor der Sendung frohlockt er angesichts des verhassten Moderators, wie weit dieser "mit seinem kritischen Journalistenblick kommt, wenn die Antimoral-Dampfwalze [= Simpel] anrollt." Während der Sendung verstummt Simpel erschrocken und überrascht, weil er genau das sagt, was das Publikum hören möchte. Er verblasst mit seiner Anti-Pose wie ein Zwerg aus der Sage vor dem Gestein des Gebirges, weil die Zeit der Sagen ausläuft. "... Zustimmung ist der Satan [...] wenn sie dir zustimmen, das ist wie... ewige Verdammnis. Wenn sie dich gut finden, hast du verloren. Dann bist du tot."

Faldbakkens Bücher werden immer wieder mit denen von Bret Easton Ellis und Michel Houellebecq verglichen. Dabei ist er über diese schon hinaus. Er schreibt über eine Welt voller Ellis' und Houellebecqs: Verklärer der Misere und zynische Durchschauer, die sich selbst 'schonungslos realistisch' nennen. "Das Bewusstsein, dass es nichts hilft - das ist gesund, das Bewusstsein, das man gearscht ist, egal, was man tut, das heißt der Welt ins Gesicht sehen", so fasst Ritmeester seine Haltung zusammen. Es ist die bekannte Pose des tapferen Ausharrens im Nichts; für nichts, nur um des Ausharren willen, um zu zeigen, dass man standhalten kann.

Viel eher könnte man Faldbakken mit dem fast vergessenen Sinclair Lewis vergleichen. Mit diesem hat er nicht nur die eingeschobenen Persönlichkeitstableaus gemeinsam, die Lewis besonders in "Cass Timberlane" (1945) ausbreitete, sondern auch die verkürzte Rezeption. Lewis' bekanntester Roman "Babbitt" (1922) ist zwar in der Tat die detaillierte Erkundung des Innen- und Außenlebens eines Spießers, als die sie von Spießern, die keine sein wollen, gerne wahrgenommen wurde. Aber "Babbitt" verfolgt ebenso, wie beispielsweise auch "Main Street" (1930), genauestens die illusionären, von vornherein zum Scheitern verurteilten, anti-spießigen Ausbruchsversuche von Spießern.

Faldbakkens Thema ist die Suchbewegung von Menschen nach Subversion und Opposition in gesellschaftlichen Zuständen, wo diese weitgehend erlaubt sind und deswegen sinnlos werden. Darum geht es, nicht um einen "Angriff auf die großen Lebenslügen von Selbstverwirklichung und individuellem Glück", wie der Klappentext verspricht. Dass all dies Lüge ist, das weiß inzwischen sowieso jeder, und Faldbakken ist zu klug, als dass er auf deren Entlarvung noch bestünde. Die besorgen andere, und diese Menschen berserkern in Faldbakkens Romanen. Er lebt nicht noch immer in den 1960ern, wo die kulturindustrielle Umarmung und Entschärfung der Revolte noch vergleichsweise neu war (Adorno und Horkheimer wussten schon zwanzig Jahre früher davon) und Wut darauf entfachen konnte, sondern im dritten Jahrtausend, im "post-" und "anti-politischen" Zeitalter der subversiven "Mikropraxen".

Auch wenn man weiß, dass es kein "Außen" mehr gibt, dass alle gegensätzlichen Richtungen letztendlich doch zu einem großen Integral zusammenfinden, so sucht trotzdem ein jeder nach einem persönlichen Ausweg. So illusionslos ist die Postmoderne denn doch nicht; und wie gefährlich die illusionslosen Illusionen sind, das führt Faldbakken vor.


Titelbild

Matias Faldbakken: The Cocka Hola Company. Roman.
Heyne Verlag, München 2005.
462 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-10: 3453400526

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