Lachen machen
Zu Robert Gernhardts Theorie der Komik
Von Rüdiger Zymner
Robert Gernhardt hat sich in ganz verschiedenen Rollen mit Komik befasst: natürlich als Komiker, aber auch als Komikkritiker und Komikkritik-Kritiker. Diese Rollenvielfalt wurde eigentlich erst möglich durch seinen unübersehbaren Drang zur Grundlagenreflexion, denn Gernhardt war nicht zuletzt auch Komiktheoretiker. Wollte man einen Text unter seinen zahlreichen komiktheoretischen Äußerungen besonders hervorheben, so wäre wohl sein „Versuch einer Annäherung an eine Feldtheorie der Komik“ (1988) an erster Stelle zu nennen. Gernhardt tummelt sich hier verblüffend leichtfüßig und überraschend selbständig in einem Gebiet, in dem man eigentlich seit Aristoteles nicht mehr viel Neues sagen kann – und wenn dies versucht wurde, so doch vielfach in einer derart gewunden-getragenen Art, in einem derart großen Abstand von Theorie und Gegenstand, ja in derart abschreckender Seriosität, dass die vergnügliche Praxis stets erheblich verlockender blieb als die steife Theorie. Anders nun Gernhardt!
Gernhardt bietet in seinem ‚Versuch‘ eine kulturanthropologische Komiktheorie mit biopoetischen, entwicklungs- und rezeptionspsychologischen Elementen, ohne jedoch soziologische und natürlich auch künstlerische Aspekte zu vernachlässigen. Seine Überlegungen führen ihn von einer allgemeinen Theorie der Komik zu einer speziellen Theorie der Komik als Kunst. Gernhardt verfolgt die Komik zunächst bis in die pleistozänen Anfänge des Menschen als Kulturwesen zurück – nicht positivistisch belegend zwar, aber doch hypothetisch spekulierend. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen steht ein gewisser Bobo, Bobo der Buckelige, der überdies ein ganz rücksichts- und respektloser Puper ist und seine Disposition zu Blähungen nun geradezu mit Vorsatz und ohne irgendwelche pragmatisch gebotene Klugheit dazu nutzt, albernste Heiterkeitsausbrüche in den unpassendsten Momenten zu provozieren. So während einer religiösen Handlung, der Anbetung der großen Wildkuh, zu der sich die Urhorde zusammenfindet. Der Schamane spricht:
„Schamane: Kuh, du schnelle, schöne, nahrhafte, höre uns an!
Alle: Mit deinen großen Ohren!
In der letzten Reihe der Horde läßt einer einen fahren. Der Blick des Häuptlings schweift prüfend über die Hordenmitglieder.
Schamane: Kuh, du weißt, wer vor dir steht, dein Volk, der Stamm der Kuhmenschen. Wir rufen dir zu:
Bevor die Horde antworten kann, läßt der geheimnisvolle Puper wieder einen fahren. Gekicher wird laut. Häuptling und Schamane mustern aufmerksam die Gesichter der Versammelten.“
Den Regeln volkstümlichen Erzählens folgend, kommt es noch ein drittes Mal zu einer Unterbrechung der heiligen Handlung, bevor der Häuptling unter den unverstellt Lachenden den Missetäter ausfindig macht, weil dieser als einziger ernst bleibt. Der erboste Häuptling droht dem buckeligen Bobo an, ihn mit einem Feuerstein zu erschlagen, sollte er noch einmal „einen fahren“ lassen. Doch siehe da! Bobo lässt sich nicht nur nicht einschüchtern, sondern entwickelt in dieser kritischen Situation sogar noch einigen renitenten Witz! Bobo lässt sofort wieder einen fahren, „blickt sich in gespielter Entrüstung um“ und fragt: „Wer fahr das?“ Natürlich löst das in der Horde ein „Riesengelächter“ aus, aber es führt leider auch dazu, dass der Häuptling seine Drohung in die Tat umsetzt und Bobo erschlägt. Was aber bleibet, stiften die Komiker – denn Bobos kecke Tat wirkt traditionsbildend: Nachts nämlich will das Gekicher und Gepupe gar kein Ende mehr nehmen, und auf des Häuptlings wütendes „Ruhe“ hört man ein von Kinderstimme gepiepstes „Wer fahr das?“ sowie mächtig aufbrandendes Gelächter.
Gernhardt demonstriert in seiner Geschichte, was er mehrfach als den „Kraftquell der volkstümlichen Komik“ bezeichnet hat. Immer wieder ist es bei ihm nämlich die Orientierung an ‚dem Mann‘ bzw. ‚der Frau auf der Straße‘ – den lachlustigen Laien also – die Gernhardts Texte auf sympathischen common sense eicht und vor demonstrativer Esoterik und abgehobener Dunkelheit bewahrt. Gernhardts Begriff von Volkstümlichkeit hat erkennbar nichts mit volkstümelndem Kitsch zu tun, sondern mit dem vitalen Volksvermögen in aller Derb- und Privatheit, wie es ja auch Peter Rühmkorf, etwa in seinem Band „Über das Volksvermögen“, ins Auge gefasst hat.
Die Geschichte zeigt zudem, dass Komik im allgemeinen zunächst einmal etwas mit Körperreaktionen zu tun hat – in diesem Fall das nicht unterdrückbare Gekicher und Lachen. Allgemein gelte: „Alle Komik will dasselbe: Lachen machen. Alle Komik bedient sich der gleichen Mittel: Übertreibung, Untertreibung, Stilisierung usw., vor allem aber: Alle Komik schöpft aus dem gleichen Brunnen – richtiger: sie greift in die Büchse der Pandora – noch richtiger: Sie nährt sich seit Jahrtausenden vom immergleichen Urschlamm der Triebe und Lüste, in welchen alle Kulturen ihre Pfähle der Sitte, Moral und Religionen gerammt haben, um eine Grundlage zu schaffen für beständige, funktionierende Gemeinwesen; dabei ist die Tatsache dieses Urgrundes allen, die da auf scheinbar festem Boden wandeln, ebenso bewußt, wie der Widerwille, ihn zur Kenntnis zu nehmen, groß ist. Es sei denn, diese Kenntnisnahme vollzieht sich so, daß sie Lust verschafft – und eben das tut Komik, radikaler noch als die anderen Genres, und sie tut es rasch: Ein blitzschneller Blick in den Brunnen, in die Büchse, in den Sumpf – und dann ebenso schnell den Deckel des Lachens draufgestülpt und den Blick wieder abgewendet.“
Im Falle des Komikers, der weniger als Bedürfniserzeuger denn als Erfüllungsgehilfe auftritt, hat die Komik überdies die Funktion, sich den Regeln und Normen der Kultur zu entziehen – sei es beim buckeligen Bobo, indem er im Gottesdienst pupt und respektlose Wortwitze macht, sei es im Falle Robert Gernhardts, indem er beispielsweise immer wieder zu komischen Zwecken auf Formen und Gattungen zurückgreift, die eigentlich in den Sakralbereich und den der religiösen Praxis gehören, wie etwa in dem komischen Gebet:
Lieber Gott, nimm es hin,
daß ich was Besond‘res bin.
Und gib ruhig einmal zu,
daß ich klüger bin als du.
Preise künftig meinen Namen,
denn sonst setzt es etwas, Amen.
Bei Gernhardt könnte man sicher von der Säkularisation als einer komikbildender Kraft sprechen, jedenfalls bilden Religion und Ritual in seinem Werk ganz zentrale Beispiele für die normative Kraft der Kultur, gegen die er sich als Komiker wendet. Das hat nicht zuletzt auch entwicklungspsychologische Gründe. In seinem Essay über die Komik hält Gernhardt nämlich unter der Überschrift „Frage der Fragen“ in einer Schilderung, die an Jean Pauls Erzählung über die Entdeckung seines Ich erinnert, fest: „Die Frage ist doch: Wann kriegen sie dich? (Ich, der 14jährige, auf dem Fahrrad, im Begriff, in die Innenstadt von Stuttgart hinunterzuradeln, bin plötzlich erfüllt von einem Vorsatz, einem Versprechen, ja fast einer Gewißheit: Sie sollen mich nicht kriegen!). Sie alle warten doch nur darauf, dich zu kriegen. Du wirst als Triebbündel, als Sprengsatz geboren, und vom ersten Moment an versuchen sie, dich in den Griff zu kriegen, dich zu entschärfen. Sie kriegen dich soweit, daß du nicht in die Hose scheißt, sie kriegen dich dazu, fraglos in die Schule zu gehen, sie kriegen dich unter Kontrolle, indem sie dich dahin kriegen, daß du all ihre Forderungen zu deinen eigenen machst: Gut sein, sauber sein, verantwortungsbewußt sein, wahr sein, ernst sein. Sicher: Diese ganze Dressur muß sein, damit die Art weiterexistiert. Doch ebenso wahr ist, daß erst die Ventile, Kunst, Wahn, Religion und Komik, das Überleben der Art ermöglichen. Schließlich ließe sich die Art als eine begreifen, die nur deswegen überlebt hat, weil sie stets das, was ist, gering geachtet und an dessen Stelle das, was sein könnte, gesetzt hat. So wäre die Deutung dessen, was ist, die eigentliche Realität, wären die Blickwinkel die Sache selber, wäre der komische Blick nur einer unter anderen, einer, den die anderen eigentlich als einen Bundesgenossen bzw. Artgenossen begreifen müssten.“
Komik ist also (neben der Kunst; wie sehr aber erst als Kunst!) eines der ontogenetisch wie auch phylogenetisch bedeutsamen ‚Ventile‘ des Menschen, sie ist nach Gernhardt im Grunde eine Art und Weise, das, was ist, zu deuten, eine Anschauungsform der Realität, die selbst Realität konstituiert – aus dem Blickwinkel der Komik bzw. des Komikers ist das, was ist, zum Lachen, und zwar alles, was ist: Komik kennt keine Tabus. „Ich kann alles über jeden sagen. Ich kann jeden Schwarzen, jeden Juden, einfach jeden auslachen…Ich bedrohe alle Dogmen…Ich bin hinter allen her… Wir können die Blinden nicht auslassen, sie leiden wie die Sehenden. Geht es um Komik, kriegt jeder was ab…“, so zitiert er zustimmend Mel Brooks und denkt eben deshalb über Aidswitze, Schwulenwitze, Schwarzenwitze, Ausländerwitze und Witze über Frauen nach bzw. erprobt sich als rücksichtsloser ‚Totalkomiker‘ (nicht zuletzt auch in seinen Beiträgen in „pardon“ und „Titanic“) – also als Teil einer „Internationale des herrschenden Wahnsinns“, wie Gernhardt schreibt, „die die Individuen allüberall vor die Alternative stellt, entweder klaglos durchzudrehen oder gnadenlos zurückzulachen.“
Das genuin Komische finde immer da statt, wo ‚Erdenschwere‘ nachhaltig vernichtet werde, gleichgültig mit welchen Mitteln, egal ob durch Sprengung oder Levitation. Komik ist grundsätzlich anarchisch, ein anthropologisch und entwicklungspsychologisch notwendiges Widerspiel zu jenen Normen und Regeln, deren Aneignung und Einverleibung das Überleben der Art garantieren, ein Widerspiel, das von aller kulturellen Dressur entlastet, das mit dem Möglichkeitssinn des Menschen rechnet sowie nicht zuletzt auch damit, dass nur dem Menschen die Fähigkeit gegeben sei, zu lachen.
Die Erkundung und kontrollierte Verwendung der Mechanismen und Verfahren der Komik ist nach Gernhardt nun die Angelegenheit des professionellen Komikers. Und im Bereich der Komik, die als Profession betrieben wird, gibt es überdies Genres oder Sektoren, in denen Komik und Kunst zusammenfallen können, als komische Kunst oder Kunst des Komischen. Zielt Komik an und für sich auf ‚Zwerchfellerschütterung‘ durch kontrollverlustiges Lachen, so tut dies Komik als Kunst betrieben mit den künstlerischen Mitteln und Verfahren einer Zwerchfellakrobatik. Insbesondere das komische Gedicht sei hier ein Königsweg zur sogenannten ‚Hochkomik‘. Denn das komische Gedicht teilt den anarchischen Grundimpetus der Komik überhaupt, verfolgt ihn jedoch kontrolliert und mit Bedacht, „vom Leben geglüht, mit Fleiß gehämmert und nicht unzweckmäßig zusammengesetzt“, wie Gernhardts von Wilhelm Busch übernommene Formulierung lautet. Es ist die handwerklich-künstlerische Sorgfalt und das kontrollierte komische Kalkül, die das komische Gedicht besonders auszeichnen. Hier sei bereits der Weg das Ziel, ja Formen und Verfahren an sich seien hier vielfach schon komisch. Dieser Weg lasse sich auch dann nochmals mit Genuss zurücklegen, wenn der Leser oder Zuhörer wisse, worauf das Ganze hinauslaufe: Um so aufmerksamer werde er sich den Schönheiten am Wegesrand zuwenden können. Zu der Lust des Lachens tritt der Genuss des Weges, d.h. der kundig und kunstvoll eingesetzten poetischen Mittel. Gernhardt hat sogar die These vertreten, dass die poetischen Mittel und insbesondere Reim, Versstruktur und Rhythmus eigentlich jedes Gedicht komisch machten, weil durch eben diese Mittel Zusammenhänge hergestellt werden, die mit dem Dargestellten nichts zu tun haben: „Alles Dichten, sofern es Reimen meint, ist schon deshalb nicht frei von Komik, da es mit Sprache spielt und den Sinn wie den Wortlaut eines Gedichtes einem herzlich sinnlosen – richtiger: sinnfreien – Selektionsprinzip unterwirft, dem, Worte mit gleichklingenden Bestandteilen zusammenzustellen. Dieser – zur Kenntlichkeit entstellten – Unsinnigkeit verdanken sich Kinderverse, Klosprüche und Kommerslieder ebenso wie die Klassiker der komischen Dichtung.“
Die Geschichte der Lyrik und der lyrischen Formen stellten für Gernhardt ein Reservoire an Möglichkeiten bereit, Komik als Kunst zu betreiben. Wie das aussehen kann, zeigt u.a. Gernhardts Sonett über das Sonett mit dem Titel „Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs“, das 1979 im „ZEITMagazin“ erschien. Es hebt mit den mittlerweile legendären Worten an: „Sonette find ich so was von beschissen, so eng, rigide, irgendwie nicht gut“, und es lässt ein zentrales Prinzip in Gernhardts Komiktheorie erkennen, nämlich das der „Fallhöhe“. Mit „Fallhöhe“ bezeichnet Gernhardt allgemein Veränderungen oder Verschiebungen im Bereich von Werten, Normen, Regeln – beispielsweise von der erkannten oder umspielten Norm zu ihrer zur Kenntlichkeit verzerrten Unsinnigkeit oder Sinnfreiheit: „Fallhöhe“ meint den perzeptuellen oder kognitiven Weg des Lesers oder Hörers, den Prozeß des Erkennens der oder einer komischen Sinnfreiheit dessen, was als erdenschwere kulturelle Norm präsentiert wird. Die „Fallhöhe“ ist somit ein Element einer Dramaturgie der Komik, zu der natürlich auch und vor allem der „darstellende Spaßmacher“ selbst gehört: „Noch der einsamste Schreibtischkomiker denkt, schreibt und zeichnet für ein Gegenüber, das es mit allen Mitteln zu bezwingen oder zu bezaubern gilt. Daher der dialogische, rhetorische, dramatische, gestische, ja gestikulierende Charakter aller komischen Kunst.“
Das komische Gedicht hat es „auf ein zuhörendes Du, wenn nicht sogar mitmachendes Wir abgesehen“, da es sich, wie Gernhardt sagt, „am besten in Gesellschaft lacht“. Die Dramaturgie der Komik kann der Komiker als Dichter allerdings im Text und mit dem Text gestalten, indem er sich prinzipiell geeigneter Mittel oder Verfahren bedient. Diese Mittel seien zeitabhängig und werden zudem beeinflusst von dem, was Gernhardt als „Komikprägung“ bezeichnet. Moderne Komik dürfe eben nicht mehr umständlich und breit ausführend sein, wie ehedem z. B. der frühneuzeitliche Schwank. Moderne Komik habe „hell und schnell“ zu sein – und diese bei Christian Morgenstern gefundene Doppelformel meint sowohl die geistreiche oder witzige, in jedem Fall verknappte oder gar pointierte Textstruktur, als auch die hierdurch anvisierte Dramaturgie der Komik: Helle und schnelle Texte sollen es dem Leser oder Hörer ermöglichen oder ihn möglichst sogar dazu provozieren, die komische Fallhöhe von der prätendierten kulturellen Norm zur kenntlich gemachten Sinnfreiheit denkbar ‚hell und schnell‘, mit höchster kognitiver Geschwindigkeit und intellektueller Beweglichkeit, zu überwinden. Mit seinem Hinweis auf die Rolle von Komikprägungen erinnert Gernhardt schließlich nicht von ungefähr noch einmal an entwicklungspsychologische Zusammenhänge: „Ich vermute, daß komische Prägungen sehr früh stattfinden und sehr hartnäckig sind. Zwei Gründe: Der junge Mensch ist ein recht unbedingter Lustsucher; auch ist er ein noch unbeschriebenes Blatt, um so nachdrücklicher prägen sich im komische Erlebnisse ein. Wenn der Ernst des Lebens beginnt, nehmen die Bereitschaft und die Fähigkeit ab, sich derart verführen und beeindrucken zu lassen.“
In seiner komischen Praxis geht es Gernhardt nicht so sehr um Formen der angewandten Komik (wie zumal der Parodie und der Satire), denen die Komik lediglich ein Mittel ist, sondern um reine Komik, deren Ziel nichts als das Lachen ist – und zwar unbedingt und total, herz- und gnadenlos. Die vielfach verdeckte oder gar fehlende Aggressivität seiner Arbeiten ebenso wie die Tatsache, daß Gernhardt sich in der Regel nicht auf die ‚konkrete‘, ‚wirkliche‘ Welt außerhalb der Kunst bezieht und diese zum Gegenstand der Komik macht (es sei denn in Form putziger Tiere), lässt jedenfalls den Eindruck entstehen, bei Gernhardt habe man es in der Praxis (trotz aller geforderten Herzlosigkeit in der Theorie) mit so etwas wie sanftem Nonsens zu tun, dem man wahlweise auch die Epitheta „heiter“ oder „scherzend“ hinzufügen könnte. In Wirklichkeit muss man Gernhardts Komik aber wohl als einen Versuch betrachten, der Unübersichtlichkeit zu begegnen, den ‚Untergang‘ erträglicher, unterhaltsamer zu machen. Zu Gernhardts Komikkonzeption gehört nämlich die These der Neuen Frankfurter Schule, daß Satire tatsächlich nichts bewirken könne, und Satiriker, die dies glaubten, seien nichts anderes als realitätsblinde Oberlehrer und peinliche Besserwisser.
„Wie noch etwas zur Kenntlichkeit entstellen, dessen wahre Natur bereits der Dümmste erkannt hat? […] Weshalb noch […] die Logik der Hochrüstung des Wahnsinns überführen, da der doch auf der Hand liegt […] Wozu da noch nach Pointen suchen, wo bereits alles auf den Punkt gebracht ist?“, fragt Gernhardt. Das aufklärerische Engagement des Satirikers sei nichts anderes als billiger Gesinnungskitsch, denn der Satiriker habe weder ein Monopol auf die Wahrheit, noch gebe es diese eine Wahrheit überhaupt. Es gebe auch keinen verbindlichen Bildungs-, Verhaltens und Moralkanon mehr, so Gernhardt, der Satiriker könne den „Lümmeln von der ersten bis zur letzten Bank“ heute nicht mehr den Spiegel vorhalten, denn ihm selbst sei „jegliches Podest unter den Füßen entzogen. Er befindet sich […] mitten im Gewühl der sich stoßenden, drängenden, ihn über den Haufen rennenden Lümmelmassen […], keiner bereit oder auch nur in der Lage, in den hin und her schwankenden Spiegel zu schauen.“ Er könne „von Glück reden, daß er irgendwo zufällig einen leeren Stuhl erwischt, auf welchen er sich denn auch ermattet fallen läßt, kein strenger Lehrer mehr und kein richtender Außenseiter, keiner, der den Überblick besitzt, höchstens jemand, dem hin und wieder ein Durchblick gelingt; keiner, der es denen mal zeigen will, sondern selbst einer von denen.“ Der Komiker sei persönlich überdies eine ‚höchst problematische Natur‘: „Der Spaßmacher wäre ja gerne ganz heil und gut und eigentlich und rund und wichtig und geachtet und tief und so weiter, er neidet es ja dem Ernstmacher, daß er all das guten Glaubens und reinen Herzens sein kann, was er ums Verrecken nicht schafft, da der Riß, der durch die Welt, also auch durch ihn geht, einfach nicht heilbar ist, da er den nur aushalten kann, indem er in ihm herumbohrt, ihn erweitert, ihm auf den komischen Grund geht, so, wie die Zunge fortwährend den pochenden Zahn sucht, sich lauernd in ihn schmiegt, in der Hoffnung, den Schmerz, da er nun mal nicht zu betäuben ist, wenigstens so weit zu reizen, daß er sich ganz und gar zu erkennen gibt und zugleich seine Grenze offenbart: die Schmerzgrenze, die Grenze des Komischen.“
Die Unmöglichkeit der Satire und der komische Widerstand gegen den Schmerz an dem unheilbaren Riss, der durch die Welt gehe, führt Gernhardt zum Nonsens, zu einer „systematisch betriebenen Sinnverweigerung“. Die letzten Statthalter der Ideologiekritik angesichts einer Krise des aufgeklärten Engagements seien, so Peter Sloterdijk, die inspirierten Blödler, deren Waffen weder Florett noch Degen sind, sondern die Wasserpistole. Es geht nurmehr um das Vergackeiern, mit dem ein befreiendes Lachen provoziert werden kann. Nicht zufällig sagt Gernhardt beispielsweise im Hinblick auf sein Sonett über das Sonett, er habe hier einen bestimmten Jargon ‚verarschen‘ wollen (und nicht etwa: kritisieren oder als Mißstand attackieren). Die Weltsicht des reinen Komikers ist, verstehen wir Gernhardt recht, eine jedenfalls psychisch zwingende und für die Gattung nützliche Widerspenstigkeit. Es ist reine, lachen machende Widerspenstigkeit gegen alle ‚Erdenschwere‘, gegen die Kultur, ihre Dressur und den ganz normalen Wahnsinn der Wirklichkeit – eine Widerspenstigkeit, deren künstlerischer Ausdruck bei Robert Gernhardt allemal die souveräne Leichtigkeit seiner komischen ‚Zwerchfellartistik‘ ist.
Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag Rüdiger Zymners basiert auf seinem umfassenderen Aufsatz: Zwerchfellakrobatik. Theorie und Praxis der Komik bei Robert Gernhardt. In: Burkhard Moennighoff (Hg.): Die Sprache des Witzes. Heinrich Heine und Robert Gernhardt. Tagungsprotokolle. Institut für Kirche und Gesellschaft, Iserlohn 2006, S. 33-54.