Schiefe Ebene
Ossis, Wessis und Wossis in Jeanette Landers Roman "Robert"
Von Hiltrud Häntzschel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseZuerst war da wohl eine Ost-West-Geschichte, der mentale Krieg nach dem Ende der DDR, Frontlinie Prenzlauer Berg. Aber dann ist, wie manchmal im Leben, etwas dazwischen gekommen, die Liebe. Und obendrein ein ehrgeiziges Erzählverfahren: der Geschlechterrollentausch. Also: Die amerikanische Wahlberliner Autorin läßt Robert, einen Hamburger Mittfünfziger mit viel Geschmack und allerlei Lebensscherben um sich herum, die Liebe erleben und erzählen. Katja, eine entlassene Slawistin aus Berlin Ost mit leuchtendem Haar, begegnet ihm. Sie ist "keine sehr junge Frau. Mitte Dreiáig vermutete ich." Unter dem Blick, von dem die Autorin unterstellt, daß es der männliche sei, wird sie umgehend zur spröden Kindfrau, zum rätselhaften Objekt des Begehrens, mal unerreichbar intellektuell, mal eifernd idealistisch, schließlich zum Trumpf für Roberts angefressenes m"nnliches Selbstbewußtsein. Max Frischs "Montauk"-Zauber drängt sich auf, auch der Name Lolita fällt einmal, wenngleich von feindseliger Seite. So spielen sich die Verständigungsmöglichkeiten über ost-westliche Befindlichkeiten auf einer gefährlich schiefen Ebene ab.
Und dann kann Jeanette Lander ja am besten immer gleichzeitig wunderbare Kochbücher schreiben; hier teilt sie die Kunst des Kochens mitsamt dem erlesenen Insidervokabular und dem Siebeck-Habitus ihrem Unhelden zu, der trotz der gelegentlich krankenden Nichtbeachtung seiner Künste im Lande der vormaligen "Sättigungsbeilagen" am Ende den Kampf gewinnt. Katja wird aus ihrer alten und für seinen Geschmack lieblos vollgepackten Wohnung hinaussaniert, ihr alter Anorak weicht seinem noblen Mantelgeschenk, sie zieht für immer zu ihm, in die Sechszimmerwohnung am Prenzlauer Berg und erwartet das gemeinsame Kind. So viel Falsches (in der Wahrnehmung wie in der Sprechweise) zwischen Männern und Frauen, zwischen Ossis und Wessis und Wossis, zwischen Jungen und Älteren und Alten, gibt es im Leben. Warum nicht auch im Roman?