Sirrende Drähte

Hendrik Jacksons Gedichtband "Dunkelströme" - Lyrik, die elektrisiert

Von Ulrike MatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrike Matzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Fahrten lauter Lichter" - möchte man nicht mitfahren, sofort, selber im urbanen Treiben sein, wenn ein Gedicht mit solchem Sog anhebt? Wie wenigen anderen gelingt es Hendrik Jackson, seinem Schreiben drive zu geben, einen spin. Die Verszeilen in "Dunkelströme", seinem jüngsten Lyrikband (dem dritten mittlerweile), elektrisieren schlicht: "sirrende Drähte (Boden - Himmel) zerreißend aufgespannt". Sie blitzen, treffen den Nerv der Zeit. Welt und Innenwelt spülen wechselweise Szenen an, die - ob vor den Lidern, ob dahinter - fluktuieren. Atmosphärisches quillt auf, um sich zu entladen: "grandiose Wetterfelder" mit Schlaglichtern auf heutige Befindlichkeiten.

Was bei Adalbert Stifter Seiten zur Beschreibung braucht - einer der Autoren, denen Jackson Reverenz erweist -, spannt der Berliner Dichter knapp in Versform auf, ausholend auf seine Art, und nicht minder einnehmend dabei. Raum tut sich auf. Jede Zeile ein Satz in die Höhe, Weite. Und dann: "Dunkel sickerte durch ein Loch am Himmel", und (umgeblättert) weiter: "die Tür klappte auf: der Schnee fiel (schlief) in dichten / Flocken - und stäubte, da begann etwas halb Vergessenes / Gedanken passierten mühelos". Durchlässig sind sie, die Gedichte, offen, zugleich in sich rund und schlüssig. An holländische Landschaftsgemälde und deren Prospekte erinnern die evozierten Bilder, an vorimpressionistische plein-air-Malerei: Constables dahinfahrende Wolken, Turners vaporose, von Licht durchgloste Flirrhimmel über der Themse. Aber nur momentan - denn unvermittelt schlägt die Stimmung um, reißt die Kulisse ein, schwenkt der Blick hinab, rasant, mitten in die Großstadt: "an den Fassaden lief Regen ab. ein schwarzer Vorhang beiseite / geschoben, unter metallenen Schildern spülte es / Bildfragmente weg". Materieteilchen schlagen sich auf imaginären Fotoplatten nieder, mit Schlieren wie Schärfen an den Rändern. Gewagte Fahrten mit der Kamera, ein Sog von Weitwinkelaufnahmen zum gezoomten Detail, zur Optik selbst, und Fluchten vice versa machen diese Poetik aus, die mit ihren unentwegten turns auf den studierten Filmwissenschaftler Hendrik Jackson verweist, der er, neben seiner Tätigkeit als Autor, Herausgeber und Übersetzer auch ist. In Klammern eingeschobene Kursiva geben Kommentare einer Art Regie, präzisieren oder brechen. Verspielt bändeln wahlverwandte Wörter aneinander an, geben sich ihren Takt. Raffinierte Lautinstrumentierung dämpft behutsam die Wucht und bindet an Erdschweres Luzides. Haiku-artig gestimmt sind viele der Sequenzen, bezogen auf den Lauf der Jahreszeiten, der Natur und ihres Lebens, vergleichbar lakonisch und pointiert. Wie ein Chemiker und Alchemist der Worte lässt der Dichter Elemente Bindungen eingehen und (re)agieren. Wasser zirkuliert in knapp zwei Zeilen bei ihm, gleich einer in Schwung gedrehten Genesis: "Regen schuf sich sein Meer und das Meer seine Wellen, schwollen / Wolken über der weißen Gischt des Meeres - helle Töne - / und wie Staub auf der Tonbandspur alles ineinander vermischt".

Mehr optisch-akustisch als greifbar ist alles, in einem fort sich ändernd. Subjektivität ist im räumlichen Geschehen nur umrissen, aber da, in ihrem Empfinden, Begehren, Lieben. Ihre Nähe knistert. Ernst im Grundton kann die Stimmung kippen, abrupt, vom Kosmischen ins Komische, in nonchalante Narreteien. Und es kommt schon vor, dass das Erhabene zwinkernd in sich sinkt: "und nach jedem Schluck Pils / quillt Glück, verquollene Augen / Angst, sich zu bewegen, diese Hoheit aufzulösen. / Dann eine Gestalt wie von Moorlicht verschluckt / (Froschauge) copyright by Teich".

Kurz: ein in jeder Hinsicht mit Finesse gemachter Band, aufgemacht in feiner Weise vom Grafiker Andreas Töpfer, der der kookbooks-Lyrikreihe der engagierten Jungverlegerin Daniela Seel ihre so augenfällige CI verliehen hat. So zeitgemäß kann Schreiben, kann Edieren, kann Lesen von Gedichten sein.


Titelbild

Hendrik Jackson: Dunkelströme. Gedichte.
Illustriert von Andreas Töpfer.
Kookbooks Verlag, Idstein 2006.
80 Seiten, 14,40 EUR.
ISBN-10: 3937445188

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch