Zurück zum Kommunismus

Boris Groys beschwört den linguistic turn in der politischen Philosophie

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Boris Groys, Professor für Kunstwissenschaft, Philosophie und Medientheorie, hat sich das hehre Ziel gesetzt, den Kommunismus völlig neu zu verorten und dies über den Begriff der Sprache, genauer: über das sprachliche Phänomen des Paradoxons. Dieses sei als treibende Kraft dem Kommunismus wesentlich und grenze ihn vom Kapitalismus ab, wo nicht der Widerspruch, sondern der Kompromiss gefragt sei, der auf dem Markt ausgehandelt werde. Während sich der Kapitalismus über das Geld als Medium und die formale Logik als Diskursparadigma konstituiert habe, stehe der Kommunismus für die Versprachlichung der Politik und gebe so den Menschen ein allgemein verfügbares Mittel zur dialektischen Kritik an die Hand, welche nicht nur geduldet, sondern als systemstützende Kraft höchst erwünscht sei.

Um es deutlich zu sagen: Der Autor behauptet, dass Kritik, solange sie nur dialektisch war, nicht etwa mit Arbeitslager bestraft, sondern mit dem Lob der am Widerspruch interessierten kommunistischen Machthaber belohnt worden sei. Die Regenten - vom Autor in die geistige Nähe der platonischen Philosophenherrscher gerückt - haben sich an nichts mehr erfreut als am Paradoxon. Damit gelangt der Autor zu einer völlig anderen Beurteilung des real existierenden Sozialismus in der Sowjetunion und in den Ländern des Ostblocks als so ziemlich jeder Historiker der letzten zwanzig Jahre. Groys schreibt die Geschichte des kurzen kommunistischen Jahrhunderts (1917-89) neu.

Der Autor bricht mit der Verklärung des Kommunismus über das Lob der paradox-dialektischen Logik ein Tabu, was aus der Perspektive der analytischen Betrachtung von Sprache auf der Hand zu liegen scheint. Wenn er den linguistic turn predigt, weg vom Geld als Regulator der Gesellschaft, hin zur Sprache als Medium aller Menschen, dann hört sich das gut an und bietet der politischen Philosophie eine neue Diskursthematik.

Doch zu Ende gedacht und auf die politische Praxis bezogen, erscheint sein Programm und seine Deutung des Kommunismus, einschließlich seines Anfangs und seines Endes, fragwürdig. So befände sich die "totale Logik", die alles einschließt -"A" und "non A" -, in der Nachfolge der totalen Logik der christlichen Dogmatik und ihrer Suche nach dem vollkommenen Selbstwiderspruch. So sei der Kommunismus nicht etwa ökonomisch gescheitert, sondern in einer Art freiwilliger Selbstaufgabe aus Einsicht in die Notwendigkeit einer Neuformierung friedlich-diskursiv geendet. Abgesehen davon, dass hier Tautologie und Totalität vermengt werden, verkennt der Autor die Wirklichkeit des sowjetischen Staatsbankrotts.

Da die Realität dem Autor nicht entgangen sein dürfte, stellt sich eine Frage: Verstehe ich ihn richtig? Kann ich ihn verstehen? Und wenn ja, wie? Wohl nur in der Beachtung und Achtung seiner Argumentation, die das Paradoxon als "kommunistische" Methodik in Anspruch nimmt. Die Autoapplikation des Kernbegriffs in der Darstellung verursacht eine gewisse Irritation bei demjenigen Leser, der sich einer "kapitalistischen" zweiwertigen Formallogik verpflichtet fühlt. Somit gibt es kaum einen Satz, der nicht zutiefst polarisiert und zum "Ja, aber..." provoziert. Doch genau dieser Ausdruck des Paradoxen, dieses "Ja, aber..." ist es ja gerade, das Groys zum Paradigma des Kommunismus erhebt, der es nicht aufzulösen versucht, sondern zur methodologischen Doktrin erhoben habe. Insoweit stellt der kritisch Fragende nicht den Kommunismus in Frage, sondern bestärkt ihn in seiner methodischen Anlage. Klingt paradox? Eben! Die Immunisierung gegen Kritik von außen wird dabei nicht problematisiert, sondern als besonders kluger Schachzug des Kommunismus gefeiert.

Gegen diesen Taschenspielertrick der Paradoxie, gegen die man nicht ankommt, ohne sie gleichsam zu bestätigen, ist nur ein Kraut gewachsen: der Blick in die Wirklichkeit, die bei Groys nur in Nebensätzen vorkommt. Stalin war für den Autor in erster Linie ein intellektueller Diskursliebhaber und erst dann derjenige, der ein paar Millionen Feinde der Paradoxie beseitigen ließ.

So kommt der Autor zu einer erstaunlich fahrlässigen Verklärung des brutalen Terrors als "Maßnahme zur Sicherung paradoxer Denkstrukturen" gegen die "Fanatismen der Regimegegner", die partout nicht das Gegenteil von dem, was sie für wahr hielten, für wahr halten wollten. Sieht Groys nicht die Gefahren des "Paradoxons an der Macht"? Allein: So sei es ja gar nicht gemeint. Er meine die Option, nicht das Reale, die Art der Versprachlichung, nicht die Abart der Verwirklichung. Doch diese Klarstellung erfolgt nur sehr verklausuliert und lange verteidigt er die These von der Kongruenz des real existenten Sozialismus mit den theoretischen Zielen Marxens und Lenins. Erst auf den letzten Seiten folgt das entscheidende Bekenntnis, das von "Zumutung des Sozialismus" spricht und feststellt, dass die Lösung der richtig und gut analysierten Probleme des Kapitalismus nicht in einer "Rückkehr zum sowjetischen Kommunismus" bestehen könne.

Bei soviel Paradoxem auf der Metaebene und der Ebene der inhaltlichen Ausführungen fällt eine abschließende Beurteilung schwer. Irgendwo zwischen genial und absurd, vielleicht auch beides zugleich. Klingt paradox? Ja, ja! Bahnbrechend erscheint der Struktur-Vergleich des Kommunismus mit dem Kapitalismus über die Dimension des jeweiligen gesellschaftlichen Ausgleichs- und Verhandlungsmediums. Sprache (Kommunismus) und Geld (Kapitalismus) regeln alles, wobei die Sprache eben das bessere, weil demokratische Medium sei. Warum mit dem demokratischeren Mittel allerdings keine demokratischeren Strukturen geschaffen werden konnten, das ist wohl einer der offenen Widersprüche des Kommunismus. Aber so hat er es ja gewollt, der Kommunismus, und so will es auch Boris Groys: Immer schön paradox!


Titelbild

Boris Groys: Das kommunistische Postskriptum.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
96 Seiten, 8,50 EUR.
ISBN-10: 351812403X

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