Differenzierte Analysen

Der Sammelband "Moderner Rechtsextremismus in Deutschland" stellt Ergebnisse aktueller Projektarbeit zum Thema vor

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rechtsextremismus zielt auf die Zerstörung der demokratischen Gesellschaft. Indem er in seinen rassistischen und fremdenfeindlichen Anschauungen das zentrale Gebot menschlicher Gleichheit negiert, wendet er sich gegen die auf diesem Gebot aufbauende demokratische Rechtsstaatskultur. Es ist also folgerichtig, wenn dieser seinerseits Rechtsextremismus indiziert und Maßnahmen gegen ihn zu ergreifen sucht. Allerdings erweist sich der in der Theorie eindeutig zu indizierende Begriff Rechtsextremismus für die konkrete Abwehrarbeit aber auch für präventive Maßnahmen als wenig hilfreich. Statt zu differenzieren, pauschalisiert er.

Die Folge davon ist, dass in der notwendigen Abwehrhaltung gegen Rechtsextremismus auch solche gesellschaftlichen Erscheinungen thematisiert werden, die sich zwar im Umfeld rechtsradikaler oder -extremer Einstellungen entwickeln, in ihrem Ursprung und ihrer Ausprägung aber nicht per se als rechtsextrem zu definieren sind. Eine solche "Vereinheitlichung des heterogenen Rechtsextremismusfeldes zu einer geschlossenen Bedrohungsgestalt", so schreiben die Herausgeber des vorliegenden Bands, behindert die zielgerichtete Arbeit und "erschwert den Blick für solche Eigenarten der verschiedenen Phänomene, ihre jeweilige Entstehungsdynamik und die angemessenen Weisen ihrer Bearbeitung".

Dieser Erkenntnis versucht der Band Rechnung zu tragen, indem er einen Einblick in unterschiedliche Projekte der Beschäftigung mit dem "Modernen Rechtsextremismus" vermittelt. Was gemeint ist, lässt sich beispielsweise an den "National Befreiten Zonen" veranschaulichen. Über diesen Terminus, so zeigt ein Beitrag des Bands, ist in der Szene seit den 90er-Jahren eine eher diffuse Vorstellung vorhanden ("Wir sind drin, der Staat ist draußen"). In der öffentlichen Wahrnehmung wird vor so genannten "no-go-areas" gewarnt, in denen eine dominante rechte Kultur den Aufenthalt etwa für Ausländer gefährlich macht. Durch diese pauschale öffentliche Diskussion aber, so führt die Autorin des Beitrags plausibel aus, werde der notwendige Blick auf tatsächliche "regionale Formierungsprozesse der rechtsextremen Szene" unscharf.

Eine ähnliche Diffusität entsteht durch den gemeinhin anerkannten Erklärungsansatz, rechte Milieus würden dort entstehen und sich festigen, wo typische 'Modernisierungsverlierer' auszumachen sind. Am Beispiel zweier rechter Hochburgen im Südwesten der Republik zeigt aber nun ein weiterer Beitrag, dass dieser fast zum Klischee gewordene Erklärungsansatz nicht ausreicht. Die sozialpolitischen Zusammenhänge verweisen auch auf ein Risikopotential unter den "Modernisierungsängstlern", also jenen Menschen, die Angst vor dem Verlust ihres sozialen Status haben. Ist dann zudem die politische Kultur im Sinne eines demokratisch-pluralistischen Selbstverständnisses des Gemeinwesens nur gering ausgebildet, stehen die Chancen für rechte Parolen gut. Wie bedeutsam eine demokratische Stadtkultur zur Eindämmung rechter Einstellungen und Aktivitäten ist, belegt ein anderer Beitrag. Um erfolgreiche Strategien im Umgang mit den Rechten zu entwickeln, ist die "Rahmung" des gesellschaftspolitischen Problems entscheidend: Nimmt also eine Stadtgemeinschaft fremdenfeindliche Gewaltakte von Jugendlichen eher banalisierend als "unpolitische Jugendgewalt" wahr oder als nicht hinnehmbare "Verletzung von Menschenwürde"?

Der offensive Umgang mit rechtsextremen Erscheinungen braucht allerdings auch Kenntnisse über seine Aktionsformen. Dabei ist in den letzten Jahren eine Tendenz zur "taktischen Zivilisierung" festzustellen. Rechte Aktivisten melden sich zu Wort bei Bürgerversammlungen, wenn es beispielsweise um den Neubau einer Moschee geht, oder 'engagieren' sich für 'nationale Jugendzentren'. Wie der Autor des Beitrags "Zwischen Militanz und Bürgerlichkeit" zeigt, muss dabei aber immer der Anspruch auf "Radikalität" bestehen bleiben. Denn er bestätigt sowohl nach innen als auch nach außen ein identitätsstiftendes Exklusivitätsbedürfnis.

Im Rahmen der "taktischen Zivilisierung" ist auch die "Demonstrationspolitik" zu verstehen. Die "Märsche" der Rechten, oft thematisch, zeitlich und örtlich provozierend angemeldet, erfüllen dabei auch wichtige Funktionen in die Szene hinein: Man trifft sich, lernt neue 'Kameraden' kennen und soll ein Bewusstsein als "politische Soldaten" entwickeln.

Verantwortlich für "Protestorganisation und Eventmangement" ist der "Typus des rechtsextremen Bewegungsunternehmers". Am Beispiel des Aktivisten Christian Worch stellt ein weiterer Beitrag diesen Typus anschaulich vor.

Weitere Beiträge beschäftigen sich mit typischen Männlichkeitsmustern der rechten Szene und wie diese die Selbst- und Rollenbilder der Akteure bestimmen. Am Beispiel der "Entwicklung rechtsextremer Handlungs- und Orientierungsmuster von Mädchen und jungen Frauen" belegt die Autorin dieses Beitrags den Ursprung rechtsextremer Einstellungen in einem "Zusammenspiel sich wechselseitig beeinflussender Erfahrungsebenen: den familiengeschichtlichen Hintergrund, den lebensgeschichtlichen Erfahrungen im familialen sowie dem außerfamilialen Bereich."

Dass rechtsextreme Einstellungen nicht als fertiges Muster wirkungsvoll werden, nach dem Handlungen gezielt ausgerichtet werden, belegt die akribische Analyse eines Mordfalls ebenso eindrucksvoll wie erkenntnisreich, bei dem drei Jugendliche einen ihnen bekannten Jugendlichen nach vielfacher Demütigung und Quälerei schließlich töten. Die verhängnisvolle Eskalation erhält ihren Antrieb aus verdrängten Männlichkeitskomplexen und rassistisch motivierten Erniedrigungen des Opfers. Sie kann aber trotzdem nicht eindeutig als zielgerichtet im Sinne eines rechtsextremen Vorsatzes bewertet werden. Zum vollständigen Verständnis einer solchen in der Statistik als rechtsextreme Straftat gekennzeichneten Tatablaufs sind zusätzliche sozialwissenschaftliche und -psychologische Analysen notwendig.


Titelbild

Andreas Klärner / Michael Kohlstruck (Hg.): Moderner Rechtsextremismus in Deutschland.
Hamburger Edition, Hamburg 2006.
345 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-10: 3936096627

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