Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode

"Wahnsinn" - Roy Porters kurze Geschichte der Geisteskrankheit

Von Petra PortoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Porto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Eine kleine Kulturgeschichte" lautet der Untertitel von Roy Porters "Wahnsinn". Und 'klein' ist sein Beitrag zumindest augenscheinlich tatsächlich - der Irrsinn schrumpft auf ca. 240 Seiten und sieben Kapitel zusammen. Betrachtet man das Inhaltsverzeichnis genauer, ist man noch erstaunter - den Zeitraum von der Antike ("Götter und Dämonen") bis zum 20sten Jahrhundert ("Moderne Zeiten, alte Probleme") soll die Einführung umfassen. "Vieles wird ausgeblendet bleiben", gab der 2002 verstorbene Professor für Sozialgeschichte der Medizin in seiner Einleitung denn auch unumwunden zu. So wolle er zum Beispiel nicht erläutern, warum Menschen wahnsinnig würden oder wie Wahnsinnige in Kultur und Medien dargestellt werden, sondern sich um die Klärung wesentlicher Kernfragen bemühen: "Wer wurde als wahnsinnig bezeichnet? Was wurde als Ursache ihres Zustandes verstanden? Und was wurde getan, um sie zu heilen oder unter Kontrolle zu halten?" Sein Abriss, erklärt Porter, begnüge "sich mit einer kurzen, klaren und vorurteilslosen Darstellung der Geschichte" der Geisteskrankheit.

Porter spannt einen Bogen zwischen der Auffassung der Babylonier und Mesopotamier, die Wahnsinnigen seien von Dämonen besessen, über die von den Göttern mit Wahnsinn geschlagenen Helden antiker Theaterstücke und Epen und die mechanistischen Physiologie des 17. und 18. Jahrhunderts zur Psychoanalyse Sigmund Freuds, der Anti-Psychiatrie-Bewegung R. D. Laings und den weit gefächerten Angeboten der heutigen Seelenheilkunde: Gruppen- und Familientherapien, Bewusstseinssteigerung, Sensitivitätstraining, Rollenspiele und Verhaltenstherapie.

Dabei schildert Porter anregend und einleuchtend die von ihm ausgemachten Entwicklungslinien und spart dabei nicht mit Anekdoten. Dass bei einem solchen Abriss vielleicht einiges etwas zu kurz kommt - gerade, wenn es um die hochdifferenzierten Therapieangebote des 21. Jahrhunderts geht - liegt in der Natur der Sache. Als Einstiegstext in ein spannendes Kapitel der Medizingeschichte ist der Band allerdings gerade für Laien nur zu empfehlen, enthält er doch neben den Überlegungen Porters nicht nur eine annotierte Literaturliste im Anhang, die zum Weiterlesen anregen soll, sondern auch noch eine Reihe hervorragend ausgewählter Illustrationen, die den Umgang der Gesellschaft mit den als wahnsinnig Eingestuften eindrücklich belegen.


Titelbild

Roy Porter: Wahnsinn. Eine kleine Kulturgeschichte.
Dörlemann Verlag, Zürich 2005.
240 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3908777062

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