Mit unserem Latein sind wir noch lange nicht am Ende

Warum das so ist - erklärt Althistoriker Karl-Wilhelm Weeber launig und humorvoll

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer hätte das gedacht, dass wir alle Lateiner sind, einerlei ob wir das Fach Latein in der Schule gelernt oder von der lateinischen Grammatik keine Ahnung haben. Sie glauben es nicht? Dann schauen Sie doch einmal in Karl-Wilhelm Weebers vergnüglich zu lesendem Buch "Romdeutsch" hinein und Sie werden schnell eines Besseren belehrt. Anschaulich zeigt Weeber seinen Lesern, wie viele lateinische Ausdrücke und Lehnwortbildungen aus dem Lateinischen die deutsche Sprache bereichert haben, obwohl sich im Unterschied zu anderen Ländern, zum Beispiel zu Spanien, das Lateinische im germanischen Sprachraum nicht unmittelbar hat durchsetzen können. Stattdessen haben die Germanen, da eine grundsätzliche Übernahme des Römischen für sie nicht in Frage kam, lateinische Begriffe als Lehnwörter germanisiert. Gleichwohl tragen viele ihrer Städte lateinische Namen, wie etwa Colonia Agrippina (Köln) oder Augusta Treverorum (Trier).

Deutlich führt uns der Althistoriker Weeber - Autor vieler Bücher über antike Kultur - vor Augen, was wir alles den Römern verdanken, nicht nur den Aquädukt und die Kanalisation, sondern auch den Wein (vinum), der übrigens eines der ältesten Lehnwörter ist, die die germanischen Dialekte aus dem Lateinischen aufgesogen haben. Natürlich kann der Mensch allein von Trauben und Wein nicht leben. Kein Wunder also, wenn sich germanische Bauern auch in anderen Dingen bei ihren römischen Besatzern kundig machten. Man denke nur an landwirtschaftliche Geräte, Techniken und Produkte, die sie von den Römern übernommen haben wie Dreschflegel (flagellum), Mühle (molina) und den sie betreibenden Müller (molitor). Auch der Handel war eine Domäne der Römer. So kam es, dass der caupo (Händler) zum Kaufmann mutierte, das pondo zum Pfund als Gewichtbezeichnung und das Zahlungsmittel von moneta zur Münze.

Wichtige Hebammendienste leistete das Lateinische ferner bei der "Christianisierung" des Deutschen. Aber nicht nur der Engel (angelus), der Teufel (diabolus) und das Kloster (claudere) kommen aus dem Lateinischen, sogar der Fortschritt (progressio), ganz zu schweigen vom Juristen- und Medizin-Latein und der Latinisierung anderer Fachsprachen bei Bankern, Soldaten und Musikanten. Selbst hier spart Weeber nicht mit Kostproben.

Kein Zweifel, Latein hat der deutschen Sprache nicht nur in ihrer Entstehungszeit kräftig auf die Sprünge geholfen. Gedankt hat sie das freilich dem Lateinischen nicht, vielmehr wurden Lehnwörter und Lehnübersetzungen so geschickt eingedeutscht, dass sie als solche oft gar nicht mehr zu erkennen sind - doch hier hilft uns Weeber dem lateinischen Ursprung zahlloser deutscher Begriffe auf die Spur zu kommen. Wie bunt die Welt der Lehnwörter ist, erkennt man schon daran, wenn man sich nur auf dem Weg zu McDonald's begibt, der "mit Latein-Relikten" geradezu gepflastert ist.

Wer glaubt, Penne, sprich Schule, kommt von pennen, ist auf dem Holzweg. Auch wenn die Schule manchmal so langweilig ist, dass Schüler dort vom Schlaf übermannt werden, so kommt Penne dennoch von "penna", der Feder, mit der man schreibt.

Überdies gibt es viele Agenda, das heißt, Dinge, die getan werden müssen. Das wusste auch der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, als er seine Agenda 2010 erließ. Aber zeigten diese Wirkungen? Das fragten sich Regierung und Opposition. Sie beantworteten diese Frage zwar unterschiedlich, verwendeten aber dabei beide das Verb "zeigen" inkorrekt im Singular statt, wie es richtig gewesen wäre, im Plural.

"Wer kein Latein kann, den bestraft das Deutsche", bemerkt der Autor launig und wird nicht müde, zu erklären, warum wir mit unserem Latein noch lange nicht am Ende sind.

Indes - selbst der Vatikan ist vor Ausrutschern nicht gefeit, obwohl doch hier Latein die Amtssprache ist.

"Paupera lingua Latina ultimum refugium in Riga habet" (die arme lateinische Sprache hat ihre letzte Zufluchtsstätte in Riga), konstatierte Papst Paul Johannes II. einmal im Gespräch mit einem lettischen Bischof und lieferte mit zwei Fehlern in diesem Satz gleich den Beweis für päpstliche Fehlbarkeit. Denn das Femininum von pauper ist ebenfalls pauper, außerdem sollte statt "in Riga" der alte Lokativ "Rigae" Verwendung finden.

Dass auch facere (machen) eine Menge zu bieten hat, wird von Weeber gleichfalls überzeugend als "Faktum" erwiesen.

Sogar deutsche Redewendungen wurzeln in der lateinischer Vergangenheit. "Alea iacta est" (der Würfel ist gefallen) lautet eine dieser Redensarten. Aber manchen Zeitgenossen reicht ein Würfel offenbar nicht aus. Bei ihnen müssen es immer gleich "die" Würfel sein, obwohl "alea" im Singular steht.

Über Computer, Bits und Bytes geht es zu Variationen der Fortbewegung. Was aber hat Roms Sprache in deutschen Krimis zu suchen? Eine ganze Menge, wie uns am Beispiel von Derrick vorgeführt wird, der allerdings dort, wo er zu intensiv nachgefragt hat, als "persona non grata" nicht eben willkommen war. Selbst Cäsar fände sich in der heutigen Finanzsprache zurecht und könnte von Günter Jauch, wie Weeber vorführt, ohne weiteres interviewt werden.

Ein anderes Kapitel ist dem "Dummlatein auf deutsch" gewidmet. Dazu gehört, dass Visas statt visa - dieser lapsus unterlief einst dem Ex-Außenminister Fischer - ausgestellt werden und Steigerungen nochmals gesteigert werden, so dass aus optimal ein optimalst und aus extrem ein extremst, auf deutsch "äußerstester", wird.

Und die Jugendsprache? Sie soll nichts mit Latein zu tun haben? Weit gefehlt. Manche Party (pars) ist echt "super" ( über das Normale hinaus), so dass man immer wieder gern zu Feten (festum) geht. Das alles sei beileibe kein Joke (iocus-Witz), versichert uns Weeber.

Ihm selbst jedoch hat es an Witz bei der Niederschrift des Buches nicht gefehlt, im Gegenteil, man merkt es jeder Seite, ja jeder Zeile an, wie viel Freude (Gaudium) und Spaß (expandere - die Zeit vergnüglich vertreiben) es dem Autor bereitet hat, uns die Lebendigkeit des lateinischen Erbes in der deutschen Sprache humorvoll nahe zu bringen.

Nebenbei: Wie alle Bücher der "Anderen Bibliothek" ist auch dieses sorgfältig gestaltet und enthält neben Literaturhinweisen ein Register der lateinischen Wörter (diese werden übrigens im Text mit roter Farbe kenntlich gemacht) sowie ein Register deutscher Wörter mit lateinischen Wurzeln.


Titelbild

Karl-Wilhelm Weeber: Romdeutsch. Warum wir alle lateinisch reden, ohne es zu wissen.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
340 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3821847476

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