In Erwartung des Absonderlichen

Renate Sternagels Ausgabe der javanischen Briefe der Therese von Bacheracht

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Jedes Mal, wenn wir eine Einladung zu irgendeiner Versammlung bei Chinesen, Javanen und Arabern erhalten, habe ich Hoffnungen, mit denen ich ausgelacht werde. Jedes Mal denke ich", schreibt am 4. August 1850 Therese von Lützow aus dem javanischen Surabaya: "'Heute werde ich etwas Absonderliches sehen!'" Kritisch und enttäuscht gleichermaßen fährt sie jedoch fort: "Aber jedes Mal bin ich getäuscht worden, denn man verwischt jetzt absichtlich den indischen Charakter, um europäische Gewohnheiten hierher zu verpflanzen! Java könnte wunderbar schön durch die Erhaltung seiner Gebräuche sein! Statt ihrer finden sich überall Nachahmungen unseres europäischen Lebens, die unter den Palmen zu Missbräuchen werden."

"Wer eigentlich war diese Therese, vormals von Bacheracht, zu dieser Zeit von Lützow, und welches Schicksal verschlug sie an das hinterste Ende der Welt?" fragt Renate Sternagel in ihrer umfangreich kommentierten Ausgabe der erstmals publizierten Briefe Thereses zwischen Januar 1850 und Juni 1852. Therese, wie sie nach ihrem erfolgreichen Debüt "Theresens Briefe aus dem Süden" (1841) allgemein genannt wurde, und ihr Werk - hauptsächlich Briefe, Novellen, Romane und Reiseberichte, die zwischen 1841 und 1849 erschienen sind - dürften meist nur noch Kennern der Vormärz-Literatur bekannt sein. Neben ihrem viel gelesenen Erstling erfuhren Werke wie "Ein Tagebuch" (1842), "Lydia" (1843), "Am Theetisch" (1844), "Paris und die Alpenwelt" (1846) oder die "Novellen" (1849) einige Aufmerksamkeit in der Mitte des vorletzten Jahrhunderts. "Mit ihren Themen und der Art, wie sie sie behandelte", bemerkt Sternagel in ihrer unprätentiösen und luziden biografischen Einführung zur vorliegenden Briefausgabe, "war Therese ganz auf der Höhe ihrer Zeit". Ihre "Geschichten spielten in der Gegenwart, handelten von Frauen, die unter den Folgen falscher Erziehung und unzureichender Bildung litten, durch Standesurteile und -beschränkungen und männliche Dominanz in ihrem Glücksstreben gehindert wurden. Die füreinander Bestimmten kamen nicht zusammen, die Frauen entsagten, landeten in Konvenienz-Ehen, blieben einsam oder starben, nachdem sie eine lange Geschichte mit unwahrscheinlichsten Verwicklungen, Intrigen und Missverständnissen durchlaufen hatten."

Im Juli 1804 in Stuttgart als Tochter des kaiserlich russischen Legationssekretärs und Staatsrats Heinrich von Struwe geboren, gelangt sie mit zehn Jahren nach Hamburg, wo ihr Vater "als russischer Gesandter für die Hansestädte bis ans Ende seines Lebens blieb. Und auch für Therese blieb Hamburg bis 1849 ihr Lebensmittelpunkt, da Robert von Bacheracht, ihr erster Mann, ebenfalls an der Gesandtschaft tätig war."

Doch die eher "holterdiepolter" geschlossene Ehe mit von Bacheracht war für beide alles andere als glücklich, ja "ein Fiasko". Nach dem Tod des gemeinsamen Sohnes Alexander gehen sie immer mehr getrennt "ihre eigenen Wege". Bald nachdem Karl Gutzkow die erste Veröffentlichung Thereses, jene "Briefe aus dem Süden", "in seiner Besprechung über den grünen Klee" gelobt hatte, wird Therese seine Geliebte. Nachdem "eines seiner Theaterstücke bei der Uraufführung in Hamburg durchgefallen war", lud sie ihn in ihr Haus ein. Kurze Zeit später beginnen beide eine "leidenschaftliche Liebesgeschichte". Therese schreibt wohl zahlreiche seiner Arbeiten ins Reine, während Gutzkow "Thereses Arbeiten lektorierte - allerdings herzlich schlecht - und nach ihrem Erscheinen in seinen Besprechungen lobte." Gemeinsame Reisen nach Italien, Frankreich, Österreich und in die Schweiz folgen, bis Gutzkow ab 1845 mehr und mehr den Abstand sucht, während sich Therese "umso mehr an ihn klammert. Briefe aus den Jahren 1847/48 zeigen diesen verzweifelten Kampf, bei dem man sich auf beiden Seiten nicht der feinsten Mittel bediente."

1848 stirbt Gutzkows Frau Amalie. Doch die Trennung von Therese lässt nicht allzu lange auf sich warten, zumal sie sich sowohl negativ über ihre tote Nebenbuhlerin äußert als auch die drei Gutzkow-Söhne nicht in ihrem Haus haben will. In dieser Zeit des Zerwürfnisses mit dem großen Literaturkritiker der Vormärz-Zeit tritt die Jugendliebe Heinrich von Lützow, ein entfernter Verwandter, auf den Plan. Ihn heiratet Therese schließlich - wohl eher aus Enttäuschung über Gutzkow als aus felsenfester innerer Sicherheit -, nachdem die Ehe mit von Bacheracht geschieden war. Diese Ehe ist jedoch ebenfalls nicht recht glücklich, wie Therese ihrer Freundin, der Schriftstellerin Fanny Lewald, andeutet. Mit Lewald verbindet Therese seit 1845 eine enge Freundschaft.

Mit Heinrich von Lützow, Offizier der niederländischen Kolonialarmee, bricht Therese für unbestimmte Zeit im Oktober 1849 zur indonesischen Insel Java auf, von der sie nie mehr nach Deutschland zurückkehrt. Therese stirbt nur knapp drei Jahre später im September 1852 offenbar an einer Darmerkrankung, als sie erstmals längere Zeit ohne ihren Mann Heinrich von Lützow auf einer Reise durch Mitteljava unterwegs ist.

Bis zu ihrem, so mutmaßt Sternagel, möglicherweise gesuchten Tod, schreibt Therese von Java aus zahlreiche Briefe an ihren Vater, die hier erstmals versammelt sind. Offenbar bereits mit der Absicht einer späteren Publikation verfasst, sind sie Dokumente einer genauen Beobachtungsgabe über Land und Leute.

Natur, Politik und kulturelle Beobachtungen und Reflexionen bringt Therese darin ebenso pointiert zum Ausdruck wie auch skurrile Eigenheiten der sie umgebenden Menschen. Obwohl ihr Mann im Dienst der Kolonialmacht steht, scheut sie sich nicht vor Kritik, beklagt Korruption und Intrigen der Beamten. Gleich im ersten der hier abgedruckten Briefe vom 31. Januar 1850 heißt es: "Die Glorie der Natur wird getrübt durch das, was nicht zu ihr passt, was sie verunstaltet. [...] Wäre es nicht besser, dass die Europäer, die hier leben, den Ton angeben, wirken und Rat erteilen, dahin arbeiteten, dass die Eingeborenen sich naturgemäß entwickeln, nicht aber, dass sie dieselben, die braun sind, gleichsam weiß machen wollen!"

Und im Februar beklagt sie: "Wie verdreht ist unsere Existenz! Welch ein entartetes übermütiges Geschlecht, welch eine Masse von Lügen und tyrannischer Gewohnheit bilden wir im Vergleich mit diesen Kindern der Natur." Insofern wagt sich die Offiziersgattin mit ihrer Kritik weit hinaus, wenn sie schreibt: "Wer seinen Sohn liebt, wer ihn in Europa behalten kann, der schicke ihn nicht nach Java, denn er setzt ihn gerade in der militärischen Laufbahn großen Gefahren aus. Nicht dass das Klima tödlich sei, aber weil es mit Heimweh, mit getäuschter Hoffnung verbunden, den jungen Baum knickt, statt ihn zu entwickeln. Und doch ist dies Java für den, der hier sich ansiedeln, der hier eine Heimat finden kann, ein wahres Paradies, was Natur und Anblick betrifft."

Andererseits ist Therese von Bacheracht nicht minder davon überzeugt, dass "der Europäer dem Eingeborenen überlegen ist in der Kultur, dass er sich seiner Führung unterwerfen kann", wenngleich sie auch äußert, dass die "angesiedelten Europäer ihr Möglichstes tun," die Einheimischen in ihrem "beschränkten Ideenkreis festzuhalten".

Immer wieder beschreibt Bacheracht Eigenheiten und Lebensgewohnheiten der verschiedenen Volksgruppen auf Java und zieht daraus ihre Schlüsse, etwa am 20. März 1850: "Man kann es ja nicht leugnen, dass der Europäer hier sich ewig als fremde Pflanze fühlen, ewig hier gegen das Klima zu kämpfen haben wird. Betrachtungen, die angestellt worden sind, beweisen, dass die dritte Generation beständig ausstirbt, wenn sie sich nicht wie es häufig geschieht, mit den Inländern und den Chinesen vermischt hat. Die Inländer sind ganz anders als wir organisiert, und ihre Gewohnheiten sind den unsrigen entgegen. Dabei fällt mir die Gewohnheit der Javanen ein, so oft wie möglich sich ins Wasser zu legen. Sie baden sich, Männer, Frauen und Kinder durcheinander. Zugleich waschen sie ihre Kleidungsstücke, indem sie diese im Wasser hin und herziehen und sie dann an einen Baum hängen. Bis sie trocken geworden, bleiben sie selbst im Flusse sitzen. Es sind dies Gewohnheiten, welche auf seine Religion begründet, zu weisen Gesundheitsregeln geworden sind."

Besonderes Augenmerk legt Therese von Bacheracht bei ihren Reisen durchs Land immer wieder auf Landschaften, auf Fauna und Flora, ohne politische und gesellschaftliche Aspekte ganz auszublenden: "Die Umgebungen von Surabaya sind lieblich. Die Natur hat hier mehr Herrschaft als in dem verkünstelten Batavia. [...] Am auffallendsten ist mir die Bevölkerung Surabayas, der Unterschied zwischen den Malaien und dem Javanen tritt hier scharf hervor. Der Javane ist edel und stolz in seiner Haltung. Er ähnelt der Pinangpalme, welche ihr Haupt auf schlankem Stamme trägt. Er ist genügsam, einfach und treu, obwohl er nicht frei von dem Aberglauben der Malaien ist."

Deutlich wird in manchen Passagen jedoch auch, dass Therese trotz allem kritischen Reflexionsvermögen ein Kind ihrer Zeit ist, nicht nur wenn sie über die kulturelle Überlegenheit der Europäer räsoniert, sondern auch, wenn sie die Geschäftstüchtigkeit der Chinesen hervorhebt, "die den indolenten, ganz bedürfnislosen Einwohner überflügeln, die sich nur zum Reis- und Kartoffelanbau gebrauchen lassen. Sie kommen in die europäischen Häuser und bringen der Hausfrau das Nötige, man muss mit ihnen handeln wie mit ihren Geistesverwandten, den Juden, man bietet die Hälfte und erhält es."

Insgesamt ist so ein spannungsreicher, informativer und gut lesbarer Briefband entstanden, den die Herausgeberin nicht nur durch fundierte Kommentare, sondern auch durch Kurzbiografien der wichtigsten Zeitgenossen Thereses abrundet. "Heute werde ich Absonderliches sehen" weckt zugleich die Lust, sich darüber hinaus eingehender mit dieser Schriftstellerin und ihrem Werk im Umfeld von Gutzkow, Mundt und Lewald zu beschäftigen.


Titelbild

Therese von Bacheracht: "Heute werde ich Absonderliches sehen". Briefe aus Java 1850-1852.
Herausgegeben und kommentiert von Renate Sternagel.
Ulrike Helmer Verlag, Königstein/Taunus 2006.
323 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3897411946

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