Jungensünden

Proben aus der Lehrzeit eines gewissen Herrn Bertolt Brecht

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bertolt Brecht ist einer der vielseitigsten Autoren des 20. Jahrhunderts, das kann man wohl als konsensfähig ansehen. Dass er sich in seiner Art zu schreiben und zu denken signifikant von seinen Kolleginnen und Kollegen unterscheidet, dürfte ebenso einhellig bejaht werden. Zudem kann als unbestritten gelten, dass Brecht hierbei keineswegs nur durch seinen besonderen, eigenen Stil aufgefallen ist, sondern sich zugleich intensiv und offen, bis zum so genannten geistigen Diebstahl, der literarischen Tradition bedient hat. Dafür wird er viel gelesen haben, denn diese Tradition musste er kennen. Zugleich hat er offenbar seine Fähigkeit, die Stimmlage alter Texte zu imitieren und sie zugleich gnadenlos gegen Strich zu bürsten, intensiv eingeübt. Es muss also vor dem jungen ambitionierten Autor, der Anfang der 20er-Jahre mit "Baal" und "Trommeln in der Nacht" auf die literarische Bühne tritt, um schließlich zu einem ihrer Stars zu werden, noch einen anderen, noch jüngeren gegeben haben, der all das übte.

Das Interesse hat sich immer wieder auf das Brecht'sche Jugendwerk gerichtet. Der Einakter "Die Bibel" hat es sogar zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Der kommentierte Nachdruck des Zeitschriftenprojekts "Die Ernte", den Jürgen Hillesheim und Uta Wolf 1997 herausbrachten, ist freilich nicht nur für die Brecht-Forschung von Interesse, sondern auch für die Geschichte der Kulturzeitschriften und ihrer Produktionstechniken. Schon 1913 war es also möglich, sich mit geringen Mitteln des Mediums Zeitschrift zu bedienen und an eine, wenigstens kleine Öffentlichkeit zu treten. Aber das nur nebenher.

Jürgen Hillesheim, seit 1991 Leiter des Augsburger Brecht-Forschungsstätte, hat sich nun ein weiteres Mal dem Frühwerk des Dichters zugewandt und es als eigenständiges Konvolut zusammengefasst. Die Brecht-Texte, die Hillesheim in dem Band "frühester Dichtungen" zusammenstellt, umfassen die Zeit zwischen dem 19. Mai 1913 und dem 20. Februar 1916. Den Schnitt macht er vor jenem Text, der als ältester Aufnahme in die "Hauspostille" gefunden hat, "Das Lied von der Eisenbahntruppe vom Fort Donald". Dieser Text markiert für Hilleheim den "Wendepunkt" im Werk Brechts. Hier seien neue Themen und ein neues Selbstbewusstsein erkennbar, das sich nicht zuletzt darin bemerkbar macht, dass er es nicht mit einem Pseudonym, sondern mit "Bert Brecht" gezeichnet habe. Vieles, was dieses Gedicht auszeichne, lasse sich in den späteren Werken wieder finden. Wie aber lässt sich der Qualitätssprung erklären, den Brecht hier anscheinend erreicht?

Bis auf wenige Ausnahmen sind die Texte allesamt bekannt, das meiste liegt in der Berliner und Frankfurter Ausgabe gedruckt vor. Hillesheim mischt hier aber nicht nur die Genres, druckt Gedichte neben Erzählungen, Tagebuchnotizen neben Zeitungsartikel. Er stellt vor allem den Zeitungsveröffentlichungen zu Beginn des Ersten Weltkriegs Texte anderer Autoren zur Seite, die gleichfalls in Augsburger Zeitungen veröffentlichten und die sich zu ähnlichen Themen geäußert hatten. In seinem Beitrag für den neuen text+kritik-Band zu Brecht hat Hillesheim Brechts Texte mit denen Ludwig Ganghofers verglichen (sehr zum Schaden Ganghofers). Dort bestätigt sich das, was Hillesheim auch in diesem Band feststellt: Bei aller Willfährigkeit, die Brecht gegenüber der kriegsbegeisterten deutschen Heimatfront an den Tagt legt, scheinen selbst seine einschlägigen Texte mit dem Thema nur zu spielen und eine - nur im Vergleich erkennbare - Distanz zum Geschehen aufzuweisen. Alles andere hätte ja in der Tat enttäuscht - ohne allerdings etwas an der Bedeutung des erwachsenen Autors Brecht zu ändern. Denn immerhin haben wir es hier mit einem 15- und 16-Jährigen zu tun, der sich, bei allem Kunst- und Behauptungswillen, erst noch von seiner wilhelminischen Sozialisation befreien muss und dafür noch eine Weile brauchen wird.

Allerdings verweist Hillesheim auf den eigentlichen Grund, weshalb uns diese frühen, diese frühesten Texte interessieren können. Denn Brecht probiert offensichtlich in seinen Anfängen sämtliche literarische Techniken und Töne aus, die ihm seine Lektüren zur Verfügung stellten. Aber auch sonst ist der Brecht, den wir kennen, schon anwesend: Auch der 15-Jährige schreibt Balladen und verlegt sie in exotische Szenerien. Die Liebesgedichte sind noch arg schwülstig, aber das Faible für das Spiel mit dem amourösen Genre hat er anscheinend schon als Jugendlicher gemocht. Noch der erste Kriegstext "Turmwacht" vom August 1914, anonym gedruckt in den "Augsburger Neuesten Nachrichten", ist weniger das erste Schaustück des jungen, hier einmal kriegslüsternen Dichters, der eines seiner kleinen Abenteuer zum Besten gibt, denn ein Spiel mit der Literatur. Schließlich lässt die in Klammern gesetzte Bemerkung "wie ich mir aus einem Roman gemerkt habe" weniger ein reales Erlebnis denn die Lektüre von Schauerromanen als Quelle vermuten.

Dass Brecht belesen war, ist bekannt. Dass er seine Lesefrüchte gleich aber wieder zu Literatur machte, wenn auch zu zweifelhafter, ist ein besonderer Aspekt, scheint es doch so, dass der heranwachsende Mann, der in der Literatur das Medium gefunden hatte, mit dem er Anerkennung fand und mit dem er den Ton angeben konnte, ganz bewusst sein Handwerkszeug erlernen wollte. Gelegentlich notiert er selbstkritisch: "Es hat kaum Wert." Oder: "Dieses Gedicht ist Skizze und nichts wert." Dann aber folgen Sätze wie "Ich muß immer dichten." Ein "Dichter" ist der junge Brecht - "noch" muss man hinzufügen. Denn mit kaum verhohlenen Stolz zitiert Brecht eine Frau Veeh, die ihm attestiert, er werde "noch einmal ein ganz Großer" werden. An mangelndem Selbstbewusstsein hat schon der Halbwüchsige nicht gelitten.

Allerdings haben seine Texte ihm dazu kaum Anlass gegeben. Da wird viel gestorben, in "lohen Augen" hat es "Purpurschein" und auch der feste, männliche Schritt darf - insbesondere in der Kriegslyrik - nicht fehlen. Allerdings hat sich Brecht von seinem eigenen Ungenügen nicht weiter beeindrucken lassen. Stattdessen wechselte er Themen und Formen, wie es sich ergab. Und merkwürdiger Weise lassen sich schon hier Texte finden, die andeuten, was aus diesem Eugen Berthold Friedrich Brecht einmal werden sollte: Die "Moderne Legende" zum Beispiel, die schon im November 1914 auf die Opfer auf beiden Seiten hinweist (mit weinenden Müttern allerdings). Der Text ist nicht wirklich gelungen, zeigt aber eine Distanz zum Krieg und eine Empathie mit der Gegenseite, die den meisten seiner Landsleute zu diesem Zeitpunkt noch fremd sind und fremd bleiben werden. Und selbst was Stil, Form und Sprache angeht, lassen sich zur Ehrenrettung Brechts jene Texte anführen, die in derselben Zeit an die Öffentlichkeit gebracht wurden (und die Hillesheim mitdruckt). So zum Beispiel das Werk eines gewissen Friedrich Grunwalds, dessen "Gedicht" "Die Hetzer" mit den beiden Zeilen beginnt: "Es waren die englischen Friedensbrecher / Von jeher die kecksten der kecken Großsprecher!" Ja, auch das gilt als ein Gedicht, auch wenn sich sämtliche Geschmacksnerven dagegen sträuben und Anführungsstriche fordern - dennoch galt es einmal als veröffentlichungswürdig.


Titelbild

Bertolt Brecht: "Wie ich mir aus einem Roman gemerkt habe.....". Früheste Dichtungen.
Herausgegeben von Jürgen Hillesheim.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
235 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3518417673

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